Rezension: Sigrun Casper – Der Wortjongleur (konkursbuch, 2015)

Mit “Der Wortjongleur” erfindet die arrivierte deutsch Autorin Sigrun Casper ihrem guten Freund, dem frühverstorbenen Dichter Mario Wirz (1956-2013), eine mögliche Kindheit. Ein berührender Roman über unüberwindbare Vorurteile, unauffindbare Vergangenheiten und die Suche nach dem treffenden Wort.

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Kilian Schelk heisst die Figur, die Mario Wirz’ Inkarnation im Kindesalter sein könnte: In den späten Fünfzigerjahren lebt er mit seiner Mutter Marianne (das wäre dann Anne-Marie Wirz) und der bösartigen Grossmutter in einem abgelegenen Haus. Der Grossvater, ein gewichtiger NS-Funktionär, hatte es im Zweiten Weltkrieg, der seit einigen Jahren vorbei ist, “zum Repräsentieren” gebaut. Kilians Schwester Miriam ist 14 Jahre älter, wohnt mit ihrem Ehemann in Berlin. Ihr Vater ist im Krieg gestorben, während die Identität von Kilians Vater, eine einmalige Affäre der Mutter, ihm vorenthalten bleibt.

Kilian ist früh bereits sprachbegabt, er ist “der eigenwillige Junge, der sich so ungewöhnlich klar und originell auszudrücken versteht”. Als die Grossmutter Mitte der Sechziger Jahre stirbt, müssen Mutter und Sohn das Haus verlassen und werden vom Sozialamt in eine Wohnung in einer Metallarbeitersiedlung gewiesen. Hier ist Kilian für viele nur der “Bankert”, also das uneheliche Kind. Mutter und Sohn werde voller Hass beäugt und ignoriert, Türen werden ihnen buchstäblich und übertragen vor den Augen zugeschlagen. Nur in Mariannes ehemaliger Schulkollegin Sigrid findet das ungleiche Paar zunächst eine Verbündete.

Kilian versucht die Welt zu begreifen, indem er den Dingen Worte zuweist. Er liest und schreibt, versucht “das eigene kleine Leben im Lesen (zu) vergessen” und begreift sich früh schon als Dichter.

In Tagträumen stellt er sich vor, er wäre ein Zauberer, der vier Stunden am Tag Verkniffenheit in Lächeln verzaubert. Wenn sie nämlich lächeln, dann merken die Leute auf einmal, wie anstrengend es ist, sich in Vorurteile zu verbeissen. Nicht, dass sie nun alle dicke Freunde werden, aber die Feindschaften, die braucht man auf einmal nicht mehr. Wandel durch Annäherung ans eigene Herz!”

Spielerisch verbindet Sigrun Casper (*1939) Ereignisse und Worte deutscher Nachkriegsgeschichte mit den Erfahrungen des fantasiebegabten Kindes Kilian, das der Welt ihren Sinn anzudichten versucht. Der Kampf gegen Vorurteile ist durchgehendes Thema, zumal als der pubertierende Knabe in der Liebe zum Kameraden Matthias seine Homosexualität zu entdecken und erkunden beginnt. Die Liebe und den Vater finden: das sind die Ziele des Heranwachsenden und beide, so zeigt sich, sind nicht ohne Hindernisse zu erreichen. Und manchmal entdeckt man am Ende des Wegs, dass das Ziel nicht das ist, was es in der Vorstellung gewesen ist…

“Der Wortjongleur” ist das berührende Portrait eines starken Mutter-Sohn-Gespanns im Kampf gegen Vorurteile und Vergangenheit. Herzlich, aber nicht kitschig. Empathisch, aber nicht sentimental.

Casper, Sigrun. Der Wortjongleur. Tübingen: konkursbuch Verlag Claudia Gehrke. 256 S., gebunden. 978-3-88769-573-6


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