[Rezension] Schattenstunde

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Autor/in: Penny Hancock
Verlag:
Goldmann
Seitenzahl: 448 Seiten
Genre:
Psychothriller (unter Vorbehalt, siehe Rezi)

Dieser Blick! Er weckt wieder dieses seltsame Gefühl in mir, eine Erinnerung an ein Gesicht aus der Vergangenheit, das ich nicht recht zuordnen kann.
Oder verbirgt sie nur etwas vor mir, weiß sie vielleicht mehr über das Leben, als man ihr zutraut?
- Dora, S. 149


Inhalt in einem Satz:
Als Businessfrau Dora die Situation mit Job, Haushalt, Kind und pflegebedürftigem Vater über den Kopf wächst, stellt sie das marokkanische Hausmädchen Mona ein, doch schon bald entfacht zwischen den beiden ein Machtkampf, der sich immer mehr zuspitzt, bis es kein Zurück mehr gibt…

Wenn man sich Mühe gibt, sage ich mir, findet man immer einen Weg zu bekommen, was man braucht. Konzentrier dich. Genau das musst du jetzt tun. “Wenn das Geld knapp wird”, hat Ali oft gesagt, “werden wir erfinderisch.”
Ich werde dafür sorgen, dass Leila die Schule besucht. Ich werde Ali finden. Und dann, inshallah, fahren wir zusammen nach Hause, und ich muss nie wieder hinter einer anderen Frau herputzen.

- Mona, S. 33


Meine Meinung:
Dieses Buch weicht ziemlich von meinen gewohnten Lesevorlieben ab, aber ich hatte zwischendurch Lust auf einen packenden Psychothriller. Bekommen habe ich etwas völlig Anderes, aber nicht weniger Begeisterndes. Etwas, das sich meiner Meinung nach kaum in ein Genre einordnen lässt und das ich mit keinem anderen bisher gelesenen Buch vergleichen kann. Einen Glücksgriff, den ich nicht bereut habe. :)

Schattenstunde zu beschreiben, fällt mir gar nicht so leicht. Wir lesen hier aus zwei grundverschiedenen Sichtweisen die Geschichte der beiden jungen Frauen Dora und Mona, die trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft beide auf den ersten Blick ganz sympathisch wirken. Die Marokkanerin Mona stammt aus ärmlichen Verhältnissen und nimmt eine Anstellung bei Dora an, um Geld für ihre Familie in der Heimat zu verdienen. Hausherrin Dora hingegen ist gestresst von ihrer Lebenssituation und sich ihrer “besseren Stellung” durchaus bewusst, aber dennoch zu Beginn freundlich und dankbar für Monas Unterstützung im Haushalt.

Jedoch wendet sich das Blatt mit der Zeit, denn je mehr Mona in Doras Leben eingebunden wird, je mehr sie deren kranken Vater und den Sohn versorgt, desto mehr fühlt sich Dora aus ihrer eigenen Rolle verdrängt und kämpft um die Anerkennung ihrer Familie. Somit ist dieses Buch auf psychologischer Ebene unheimlich interessant, denn wir erleben mit, wie die Situation Schritt für Schritt aus den Fugen gerät, wie Misstrauen und Missverständnisse, Macht, Abhängigkeit und die Abgründe der menschlichen Psyche in eine Geschichte verwoben werden, von der man nicht mehr loskommt.

Mir ging es jedenfalls so, dass ich sehr schnell in einer Sogwirkung gefangen war und unbedingt weiterlesen wollte. Woran das lag, kann ich mir gar nicht so genau erklären, denn an sich strotzt die Handlung nicht vor Action und der Schreibstil kam mir auch nicht ungewöhnlich vor. Aber ich konnte mich einfach unheimlich gut in diese Geschichte hineinversetzen und fand es extrem spannend, die Entwicklungen der beiden Protagonistinnen zu beobachten.

Das Spiel mit zwei verschiedenen Sichtweisen auf eine einzige Grundsituation war hier beeindruckend in Szene gesetzt. Was mich vermutlich besonders packen konnte, war die nachdenklich stimmende Rollenverteilung. Dora sieht Mona ganz klar als Mensch zweiter Klasse und beginnt mit der Zeit, sie das spüren zu lassen. Dabei ist Mona eine wunderbare, starke, stolze und intelligente Frau, die genauso fühlt und denkt, wie jede andere.

Gleichzeitig fand ich die unterschiedlichen Prioritäten armer und reicher Menschen sehr schockierend. Während Dora sich nach einer Massage nach einem anstrengenden Arbeitstag sehnt, steht bei Mona die gesamte Lebensgrundlage auf dem Spiel, was Dora gar nicht weiter beachtet. Stattdessen hegt sie Misstrauen und fühlt sich in ihrer “Gutmütigkeit” ausgenutzt. Dieses Buch zeigt dem Leser einmal wieder - wenn auch vergleichsweise überspitzt - wie gut wir es eigentlich haben und mit welchen Luxusproblemen wir uns herumschlagen, während andere Menschen viel existenzielle und bedeutendere Sorgen mit sich herumtragen müssen.

Doch diese Beobachtungen sind bei weitem noch nicht alles, was Schattenstunde zu bieten hat. Denn ca. im letzten Drittel verwandelt sich die Geschichte tatsächlich noch in einen packenden Psychothriller, der sich nicht mehr aus der Hand legen lässt. Schattenstunde ist nicht leicht in einer Rezension abzuhandeln, denn die Geschichte hält einfach noch so viel mehr bereit.

Deshalb würde ich euch einfach empfehlen, dem Buch selbst eine Chance zu geben, bevor ich hier zu sehr ins Detail gehe. Selbst wenn euch das Genre oder die Beschreibung nicht sofort ansprechen, kann ich euch Schattenstunde nur wärmstens ans Herz legen. Ich garantiere euch, ihr werdet dieses Leseerlebnis nicht vergessen.

“Sie sind mein Hausmädchen”, erinnere ich sie. “Sie entscheiden hier nicht, was wann zu tun ist. Das ist mein Haus, Mona. Ich bestimme die Regeln.
Es ist nicht Ihr Haus. Nicht Ihre Straße. Nicht Ihr Zuhause.“
- Dora, S. 306


Mein Fazit:

Auch wenn die Genrebeschreibung Psychothriller meiner Meinung nach nur teilweise zutrifft, ist Schattenstunde ein mitreißendes und nachdenklich stimmendes Buch mit großem Mehrwert, das ich jedem empfehlen kann, der sich für die Abgründe der menschlichen Psyche interessiert oder einfach mal eine völlig andere Geschichte lesen möchte.

Bewertung: 📖 📖 📖 📖 📖 (5/5) + Lieblingsbuch 📚

Vielen herzlichen Dank an das Bloggerportal und an den Goldmann-Verlag, die mir dieses besondere Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben!


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