Rezension: Rolf Niederhauser – Seltsame Schleife (Rotpunktverlag, 2014)

Nach über zwanzigjähriger Publikationspause meldet sich der Schweizer Schriftsteller und Journalist Rolf Niederhauser mit dem weit ausgreifenden Romanwerk “Seltsame Schleife” zurück. Dessen Protagonist Pit Dörflinger kommt als eine Art Homo Faber fürs digitale Zeitalter daher. Auf über 700 Seiten begleiten wir ihn auf seiner Odyssee durch die Untiefen des wilden Südamerikas und seines eigenen Bewusstseins.

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Titel: Seltsame Schleife
Autor: Rolf Niederhauser
Verlag: Rotpunkt
ISBN: 978-3-85869-584-0
Umfang: 736 Seiten, gebunden

1997: Pit Dörflinger, 32, ist Forschungsassistent am  M.I.T.  in Cambridge, Massachusetts, wo er an einem Artificial-Life-Projekt mitarbeitet. Er ist ein Schweizer Auswanderer,  seit langem in den Staaten, mit der Texanerin Lillith zusammen. Aus seiner Perspektive erfahren wir den grössten Teil der Geschichten und Gedanken, die die “Seltsame Schleife” ausmachen. Bisweilen mischt sich eine auktoriale Aussenperspektive darunter: eine Stimme, die Dörflingers Aufzeichnungen im Internet aufgestöbert hat und sich nun auf dessen Spuren nach Amerika begibt…

Amerika: alles beginnt damit, dass Dörflinger zur Familie seiner Freundin nach Texas fahren soll, um dort Weihnachten zu verbringen. Er verspürt nicht die geringste Lust; fährt los; kommt vom Weg ab (Homo Faber, die Erste); landet in Mexiko bei seinem alten Studienfreund Guido und dessen Tochter. Mit diesen unternimmt er eine Reise auf die Galapagos-Inseln. Von da aus fliegt er nach Bogotá, Kolumbien, und von da wiederum startet er eine unerhörte Odyssee durch dieses von Bürgerkrieg und Drogenhandel gebeutelte Land. Er schliesst sich der ehemaligen Guerillera Flor Marina an, die nun für eine Friedensbewegung aktiv ist, und reist ihr nach; begegnet ihrem Gefährten Ramon und glaubt – hier kommt die Krux des Ganzen -, diesen ermordet zu haben, ohne sich daran erinnern zu können.

Letztlich sitzt  Dörflinger in Buenaventura, der Stadt, in der er seinen Geburtsort vermutet, und schreibt auf, was ihm widerfahren ist. “ich versuche fest zu halten was gewesen ist!”, schreibt er. Er ist sich sicher, Ramon – versehentlich – erschossen zu haben, “dass nirgends eine entsprechende meldung auftaucht, beweist gar nichts.” Einer der Unterschiede Dörflingers zu seinem Grossvater Homo Faber ist, wie Autor Rolf Niederhauser in einem Interview sagte, dass Faber am Ende mit einer Wahrheit konfrontiert wird, Dörflinger aber bloss glaubt mit einer Wahrheit konfrontiert zu sein; einer Wahrheit, die man ihm als Leser nur schwerlich abnimmt.

Dörflinger ist ein unzuverlässiger Erzähler. Er sagt: “Ich selber behalte praktisch nichts was ich nicht aus einem systematischen zusammenhang herleiten kann”. Seine deutsche Grammatik und Orthographie sind bisweilen mangelhaft und durchsetzt von vielen englischen und spanischen Ausdrücken; er hat jahrelang kein Deutsch mehr geschrieben, ja vielleicht überhaupt nicht geschrieben. Er ist Mathematiker, glaubt an den Ursprung des Bewusstseins in der Materie und versucht “das konzept des menschlichen bewusstseins (…) in eine algorithmische form zu bringen”.  Unablässig durchsetzt er die Nacherzählung seiner Geschichte mit Gedanken solcher Art. Immer wieder im Zentrum seines überbordenden Gedankenkosmos steht die Frage nach Innen- und Aussenwelt. Ihm schwant, dass die “Aussenwelt” nicht input ist, sondern output, das heisst: bloss die Projektion innerer Spannungen auf eine vom Bewusstsein zu kontrollierende Umgebung. Innen und Aussen werden nicht mehr unterscheidbar – womit wir beim Möbiusband sind, jener Seltsamen Schleife mit nur einer Kante und einer Fläche, die dem Buch nicht nur den Titel, sondern auch die Struktur leiht, denn:

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Intellektueller Kopfstand: Niederhausers Schleife fordert vorwärts und rückwärts.

Richtig gesehen: da steht was Kopf. “Seltsame Schleife” liest sich erst von vorne nach hinten (Kapitel “Die Reise”), dann retour (“Die Rückkehr” und Epilog “Die Recherche” aus der auktorialen Aussensicht, Dörflingers Existenz anzweifelnd!). Gelesen wird dabei jeweils nur die rechte Seite. Die eigenwillige Struktur  ist eine Spielerei, entspricht der Erzählung und den darin entwickelten Gedanken jedoch optimal.

Autor Rolf Niederhauser (*1951) hat die Orte des Geschehens selbst besucht, war früher auch in journalistischem Auftrag in Zentralamerika unterwegs. Er weiss, von was er schreibt, und lässt seinen Protagonisten Dörflinger so lebhafte Szenen süd- und mittelamerikanischen Lebens, Liebens und Leidens zeichnen. Was die Gedanken zu Bewusstsein, Künstlicher Intelligenz, Informatik, usw. betrifft, so ist festzustellen, dass diese bisweilen sehr ausufernd, verzettelt, manchmal wirr daherkommen. Denn, so sagt Niederhauser, im Gegensatz zum Homo Faber sei der Dörflinger kein grosser Vereinfacher, sondern ein Mann der komplexen Gedankengebilde. In der Tat.

Dem unablässigen Parlando der Hauptfigur zum Trotz, hat Rolf Niederhauser mit “Seltsame Schleife” einen über weite Strecken kurzweiligen, empathischen, zu weiteren Gedanken anregenden Roman geschrieben. Ein gelungenes Comeback!


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