Rezension | "Heldentage" von Sabine Raml

| Heyne fliegt | Hardcover | 304 Seiten | €14,99 | Amazon |


Lea ist fünfzehn und hat viele Träume: Sie will schreiben. Sie will rennen, ohne je außer Puste zu sein. Sie will so wunderschön sein wie ihre beste Freundin Pola. In ihren Träumen ist Lea eine Heldin. Im richtigen Leben klappt es manchmal nicht: Gerade hat sich Lenny, Leas erster Freund, von ihr getrennt. Sie vermisst ihn schrecklich. Leas Mutter versinkt in ihren eigenen Problemen und kann Lea nicht helfen. Aber es gibt ja noch Pola und die Clique – und einen tollen neuen Jungen an der Schule, der sich unbegreiflicherweise für Lea interessiert ... Im Laufe eines langen Sommers findet Lea heraus, dass sie eigentlich doch auch eine Heldin ist, jeden Tag ein bisschen.
Helden sind Menschen mit Superkräften - Menschen, die irgendetwas in der Welt bewirken, sie ein Stückchen besser machen, als sie ist. Lea alias Spaghetti wäre gerne eine solche Heldin. Eine, an die man sich erinnert und die etwas besonderes ist; eine Heldin, die einen warmen und vollen Bauch hat - und eine Heldin, die nicht einsam ist. Denn in Wirklichkeit sieht Leas Leben ganz anders aus: ihr Vater lebt seit Jahren auf Ibiza und schickt dann und wann eine Postkarte, ihre Mutter trinkt und kümmert sich nicht um Lea und ihr Freund Lenny hat sich gerade von ihr getrennt - kein wirkliches Heldenleben, findet Lea. Doch manchmal sind es gerade Menschen wie Lea, die Helden sind - Alltagshelden, die nicht an den Dingen zerbrechen, die auf ihnen lasten. Menschen, die das Leben mit anderen Augen sehen und genau davon erzählt "Heldentage" auf eindringliche Art und Weise. Leise Töne brüllen dem Leser eine traurige, wie schöne Geschichte entgegen, die mich zwar nicht gänzlich überzeugt hat, aber auf jeden Fall etwas ganz besonderes ist.
Und das liegt nicht nur an der Thematik und der einzigartigen Protagonistin, sondern vor allen Dingen auch am Schreibstil. Und hier liegt gleichzeitig Kritik und Lob, denn obwohl mich der Stil teilweise etwas im Lesefluss gestört hat, kann ich dennoch sagen, dass ich ihn als sehr prägnant empfinde. Kurze Sätze, viele Metaphern und Personifikationen führen zu einer bildhaften und jugendlich gehaltenen Sprache, die viel mit Slang und Anglizismen spielt. So gut der Ansatz auch ist, manchmal wirkt das ganze in meinen Augen etwas hölzern und 'gewollt', vielleicht schon etwas zu abgehoben. Sicherlich hat es auch einen besonderen künstlerischen Aspekt, aber rein lesetechnisch muss ich sagen, dass ich zeitweise meine Probleme mit dem Stil hatte und vor allen Dingen auch mit Leas Gedankenwelt, die so unfassbar oft abdriftet und sich durch einige Wiederholungen oder unnötige Ausschweifungen manchmal etwas zäh liest. Ich kann schon verstehen, warum das so ist, schließlich hat Lea sonst nicht viel, woran sie sich klammern kann, dennoch fiel es mir manchmal schwer, ihr zu folgen und ihr als Leser nahe zu sein.

Ansonsten finde ich, dass Lea eine besondere Figur ist, die definitiv eine wahre Alltagsheldin ist, was sie im Laufe des Buches jedoch erst einmal selbst bemerken muss. Ständig versteckt sie sich hinter ihrer Scham und ihren Ängsten, ihrer trinkenden Mutter und ihrer Krankheit (sie hat Asthma) und sieht nicht die Dinge, die sie wirklich ausmachen - zum Beispiel ihren Mut mit Dingen umzugehen oder ihre Beständigkeit. Auf jeden Fall macht es Leas Charakter manchmal schwer, eine Bindung zu ihr aufzubauen, allerdings kann man sie auch nicht nicht mögen - dafür macht man zu viel mit ihr durch und erlebt ihr Schicksal als besonders traurig. Neben Lea hat mir vor allen Dingen ihre beste Freundin Pola gefallen - hier hätte ich gerne noch mehr über die Beziehung der beiden gelesen (beispielsweise wie sich die beiden kennengelernt haben!), denn Pola ist das genaue Gegenteil von Lea. Der Freundschaftsaspekt ist eines der Dinge, die mir in "Heldentage" besonders gut gefallen haben, aber auch die Liebesaspekte fand ich gelungen. Gerade die Tatsache, dass all das ein wenig in den Hintergrund rückt und dennoch immer präsent ist, fand ich sehr gut umgesetzt.
Sabine Raml behandelt in "Heldentage" ein sehr sensibles Thema und das auf eine sehr verständnisvolle Art. Die Situation löst sich nicht einfach auf und plötzlich ist alles perfekt, sondern entwickelt sich realistisch und ist auch am Ende der Geschichte nicht aus der Welt. Dieser authentische Umgang mit Alkoholismus, häuslicher Gewalt, Armut und verschiedenen Ängsten ist bemerkenswert gut und gibt dem Buch die gewisse Tiefe. Sowieso liest sich die Geschichte um Lea und co. sehr realistisch und glaubwürdig - sie ist (leider) aus dem Leben gegriffen und könnte überall so oder ähnlich gerade in diesem Moment geschehen und das macht sie so traurig, aber auch gleichzeitig so authentisch. Das Leben spiegelt sich in vielen unterschiedlichen Facetten in "Heldentage" und sind nicht immer gut - aber ganz sicherlich auch nicht immer schlecht und so ist gerade Lea ein Lichtblick und eine wahre Heldin.

Irgendwie haben wir alle "Heldentage" und auch Tage, an denen wir gerne so wären, wie unsere Vorbilder. Das macht das Leben in all seinen Facetten aus und diese Tatsache bringt "Heldentage" auf verständnisvolle, traurig schöne und authentische Art und Weise auf den Punkt. Mit einer einzigartigen und schwierigen, aber auch gleichzeitig sympathischen Protagonistin und einigen gut ausgearbeiteten Nebenfiguren und einer sensiblen Thematik ist "Heldentage" zwar sicher kein einfaches, aber doch ein sehr wertvolles Buch. Auch wenn es mich nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte und mich gerade der Schreibstil, auch wenn er sehr besonders ist, an manchen Stellen gestört hat, so kann ich Leas Geschichte doch jedem ans Herz legen, der ein authentisches und tiefgehendes Buch lesen möchte, in dem es um eine Heldin geht, die noch nicht weiß, dass sie eine Heldin ist.

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