Rezension: Edith Pearlman – Honeydew (Ullstein 2015)

Als Alice Munro 2013 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wurde das Interesse auch der europäischen Öffentlichkeit auf eine Textform gelenkt, die hier zu einem Dasein im Schatten des Romans verdammt ist: die Kurzgeschichte. Munros perfektionierte Miniaturen verschafften auch anderen Autorinnen des Genres Aufmerksamkeit.

honeydew

Eine von ihnen ist Edith Pearlman (*1936), die seit mehreren Jahrzehnten Kurzgeschichten verfasst, jedoch erst mit dem Sammelband “Binocular Vision” (2011) in Amerika grössere Bekanntheit erlangte. Eine Nomination für den National Book Award for Fiction war dabei die Krönung des Lobes. Mit ihrem aktuellen, satte 20 Erzählungen fassenden Sammelband  “Honeydew” findet sie nun auch ihren Weg auf den deutschsprachigen Markt. Später Ruhm für eine Autorin, die einmal gesagt hat, es sei sehr wichtig für Schriftsteller, unbemerkt zu bleiben.

“Honeydew” – Honigtau – ist eine geschönte Bezeichnung für die Exkremente bestimmter Insekten, die “als den Boden bedeckender feiner Frost mit einem Geschmack von Honig” beschrieben wird. Honigtau sei das, was in der Bibel als Manna – das Wunder Gottes für die hungernden Anhänger Moses’ – empfangen werde. So zumindest erklärt es in der titelgebenden Erzählung, das magersüchtige Mädchen Emily, das seine überragende Intelligenz dem Studium von Insekten widmet, unter denen sie vor allem Ameisen für dem Menschen überlegene Wesen hält.

Ein scheinbar göttliches Zeichen, das in Tat und Wahrheit nichts anderes ist, als die Ausscheidung eines Ungeziefers: In dieser starken Metapher kommt zum Ausdruck, was vielen von Pearlmans Geschichten zugrunde liegt. Nämlich die Enttarnung naiv-verklärter Illusionen, hinter denen sich oft nichts als lapidare Alltäglichkeit verbirgt.

“Nachts sind alle Katzen grau” sagt in einem der besten dieser Texte – “Drei Richtige” – eine Mutter zu ihrer neunzehnjährigen Tochter und deren Freundinnen, die in Träumen vom perfekten Ehemann schwelgen. Schliesslich überzeugt sie die Mädchen, die Namen von zwölf Jungen auf Zettel zu schreiben und eine Liebeslotterie zu veranstalten. Der gezogene Junge soll danach erobert, im besten Falle geheiratet werden. Die Mutter sagt:

“Ihr werdet sehr glücklich sein. Oder sagen wir glücklich. Glücklich genug.”
“Glücklich genug?”
“Glücklich genug”, wiederholte Sallyanns Mutter für die Prinzessin. “Das ist mehr, als andere Menschen gewährt bekommen.””

Edith Pearlman erzählt davon, was vom Leben, von der Liebe, vom Glück übrigbleibt, nachdem sie von allen romantischen Illusionen, allen Traumgespinste und aller Theatralik entbunden wurden. Viele dieser Geschichten machen Frauen in einem Alter zwischen fünfzig und sechzig zu Protagonistinnen. Geschiedene Frauen, einsame Frauen. Eine Schuldirektorin, die eine Affäre mit dem Vater einer Schülerin hat (“Honeydew”). Eine sich wohltätig engagierende Frau, die erst dank einem Mädchen, das in der Organisation über ihre Genitalverstümmelung berichtet, zu sich selbst und zur Liebe findet (“Was die Axt vergisst, daran erinnert sich der Baum”). Eine Fusspflegerin, die ihren Kunden Hornhaut und Lebensbeichten abnimmt (“Zartfuss”).

Viele dieser Geschichten sind Geschichten über Körper. Oftmals befinden sich die Figuren in intimen Situationen – jedoch bei weitem nicht immer sexuell -, sie wirken verunsichert, sich ihres Platzes in der Welt nicht gewiss. Manchmal werden die Körperfunktionen als Metaphern verwendet, etwa beim jungen Lyle (“Erst mal sehen”), dessen Augen ihm pentachromatisches Sehen ermöglichen. Das heisst konkret: er nimmt wesentlich mehr Farben und Nuancen wahr als die meisten anderen Menschen. Was zunächst als Gabe erscheinen mag, wird in dieser Geschichte, die ebenfalls zu den besten der Auswahl gehört, zu einer Bürde, mit der Lyle nicht leben will.

Topographisch sind die meisten der Erzählungen in der fikitiven Kleinstadt Godolphin, Massachusetts, verankert, die vermutlich nach Pearlmans Wohnort Brookline, Mass., geformt ist. Thematisch und literarisch schöpft die Autorin aus dem reichhaltigen Erfahrungsschatz, den ihre fast 80 Jahre hergeben. Die zwanzig in “Honeydew” vereinten Geschichten – zwischen sechs und fünfundzwanzig Seiten in der Länge – sind nicht alle von gleicher Qualität. Einige sind bloss nett, einige wenige gar etwas richtungslos (“Traumkinder”). Jedoch sind genügend hervorragende, lange nachhallende Texte vorhanden, um die Anschaffung der ganzen Sammlung zu rechtfertigen.

Ob Edith Pearlman die “beste Erzählerin der Welt” ist, wie das dankbare The-Times-Zitat auf dem Buchrücken verkündet, ist zu bezweifeln. In ihren besten Moment ist sie aber auf jeden Fall eine Meisterin ihres Fachs, der es stilistisch gelingt, mit Leichtigkeit von schmuckloser Beschreibung zu barocker Üppigkeit zu wechseln, und ganze Welten auf wenigen Seiten plastisch erlebbar zu machen.

Pearlman, Edith. Honeydew. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel. Berlin: Ullstein 2015. 320 S., Leineneinband. 9783550080999.


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