Rezension | “Allee der Kosmonauten” von Anne Krüger

Rezension | “Allee der Kosmonauten” von Anne Krüger

Autorin: Anne Krüger

Seiten: 400 (Hardcover)

Verlag: Script5

Sprache: Deutsch

ISBN: 978-3-8390-0172-1

Die Autorin...

Anne Krüger wurde 1975 geboren, als mitten im Kalten Krieg eine amerikanische Apollo- und eine sowjetische Sojus-Kapsel im Weltraum aneinander ankoppelten. Statt Kosmonautin zu werden, arbeitete sie nach dem Studium in diversen Jobs mit Bodenhaftung, bis sie sich vor einigen Jahren als Hörspielautorin selbstständig machte. Die Open-Mike-Finalistin lebt mit ihrer Familie und einer Katze in ihrer Geburtsstadt Berlin, allerdings nicht in der Allee der Kosmonauten.

Als Kind wollte Mathilda Unterwasser vieles werden; Osterhase, Partisanin, Kindergärtnerin, aber am allerliebsten Kosmonautin. Juri Gagarin und Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall, waren ihre Helden. Doch während einer Fahrt im Riesenrad, bei der sie ihrer besten Freundin auf die Bluse kotzte, zerbrach der große Traum. Die Realität holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück.

Jetzt, mit Ende zwanzig, hat Mathilda längst das Gefühl, dass jeder einen Platz in einer schnellen Rakete ergattert hat, nur sie nicht. Alle, selbst ihre alten Freunde aus Kindertagen, rasen ihr davon. Mathilda hingegen fristet tagsüber nicht nur ein trauriges Dasein als Kassiererin, sondern wurde von jetzt auf gleich von ihrem Langzeitfreund abgeschossen. Der Fall in ein schwarzen Loch scheint unausweichlich. Aber die junge Möchtegern-Kosmonautin träumt noch immer vom fliegen und hofft, dass irgendjemand da draußen ihr die Sterne vom Himmel holt.

Meiner Ansicht nach...

Wenn man auf Google >Allee der Kosmonauten< eingibt, spukt die Suchmaschine über 300.000 Ergebnisse aus. Das ist nicht schlecht, für eine schnöde Hauptverkehrsstraße der Berliner Bezirke Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf (Quelle: Wikipedia). Besonders hübsch ist sie auch nicht und für Berliner ist es nur eine ganz normale Schnellstraße, wurde mir gesagt.
Doch man findet auch eine christliche Rockband unter den Suchergebnissen, die sich nach der Allee benannt haben und deren Entdecker niemand geringerer ist, als wie Herbert Grönemeyer.

Nun denn; in Mathilda Unterwassers (Protagonistin von Anne Krügers gleichnamigen Debüt) Welt ist diese Straße Teil ihrer Kindheit gewesen. Dort lernte sie ihre besten Freunde kennen und beschloss Kosmonautin zu werden.

"Als Kinder waren wir auf unsichtbaren Pferden durch die Straßen gejagt, wiehernd schnaubend, die Zähne gebleckt. Damals hatten wir uns unbesiegbar gefühlt..."

Mathilda auf Seite 76 ~ Allee der Kosmonauten

Doch wie jeder von uns im Leben, wurde auch Mathilda erwachsen. Die Träume wurden kleiner und wichen letztendlich komplett der Realität. Kurz vor der großen dreißig sieht die Berlinerin plötzlich rot. Ihr Freund Magnus hat ihr nach drei Jahren Fernbeziehung den Freifahrtsschein gegeben und Mathilda verliert die Balance. Sie strauchelt und beginnt sich zu fragen, wieso sie eigentlich jemals erwachsen werden musste. Und überhaupt findet sie es neuerdings richtig ätzend, dass ihre Freunde so moralisch und pflichtbewusst sind. In einem Anflug von Euphorie will sie ihr Leben komplett umkrempeln. Wenn das aber mal so einfach wäre, denn das Leben zeigt Ellbogen nun mal die kalte Schulter. Für Mathilda beginnt ein reinster Drahtseilakt.

Die Autorin Anne Krüger hat sich mit ihrem Debüt ALLEE DER KOSMONAUTEN wagemutig an ein Thema gewagt, welches leider viel zu sehr belächelt und unterschätzt wird. Die erste schwierige Phase im Leben eines jungen Erwachsenen - genannt Quarterlife Crisis - kann schlimme Existenz- und Platzangst mit sich bringen. Unsicherheiten überschatten das tägliche Leben. Fragen wie: "Bin ich wirklich glücklich, da wo ich jetzt bin? Wer bin ich überhaupt? Ich wollte doch dies und das noch erleben." Man fühlt sich allein, missverstanden und ist irgendwie sein eigener Stolperstein.

Anne Krüger bietet dem Leser Mathilda Unterwasser. Und mein lieber Scholli, mit ihr hat man wirklich einiges zu ertragen. Mathildas Baustelle ist ihr eigenes Leben. Sie stolpert mit stets angezündeter Fluppe durch unsere graue, launische, schöne Hauptstadt Berlin. Sie sucht nach dem großen Glück und macht viel zu oft Halt bei diversen Männern, und hinterfragt dabei alles und jeden. Diese Frau war anstrengend und ja, selbst ich (ü30), suchte so manches mal im Kopf den Notausgang.

Der Erzählstil ist, ähnlich wie der gegenwärtige Gefühlszustand der Hauptfigur, eine Mischung aus wunderbar und verwunderlich. Die Autorin switcht wild zwischen dem gegenwärtigen Zustand, galaktischen Tagträumen und Rückblicke ihrer Protagonistin. Manchmal schien mir alles etwas zu wirr, theatralisch, dann wiederum euphorisch, gepaart mit ganz wunderbarer Situationskomik. Man muss eine gewisse Sensibilität für das Thema und dieser äußerst schwierigen Figur mitbringen. Ich wusste bei einigen Szenen nicht, ob ich lachen oder die Hände über den Kopf zusammen schlagen sollte. Aber nichtsdestotrotz musste ich weiterlesen, denn man bekommt immer wieder schöne und auch unglaublich traurige Erinnerungen aus Mathildas Leben serviert.

Rezension | “Allee der Kosmonauten” von Anne Krüger

ALLEE DER KOSMONAUTEN ist daher, mit all seinen Ecken und Kanten, wahnsinnig authentisch. Anne Krüger zeigt dem Leser, dass nicht nur Mathilda Unterwassers Leben kein Ponyhof ist. Jeder von uns bleibt bisweilen im eigenen Leben stecken, heulend und dabei ums sich schlagend. Aber man strampelt sich innerlich frei und wagt sich auf zu neuen Ufern.

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