|Rezension| "Adorkable: Zwei, die sich hassen... und lieben" von Sarra Manning


"Wir müssen reden", sagte Michael Lee mit ernster Stimme zu mir, gerade als ich auf dem St.-Judes-Flohmarkt einen Schritt zurück aus der improvisierten Umkleidekabnie trat, einem Räumchen aus vier quadratisch angeordneten Ständern mit Gardinen daran und einem blinden Spiegel, in dem ich mich gerade ausgiebig selbst bewunderte.
"Eigentlich sind wir alle Freaks" - Das ist das Lebensmotto der siebzehnjährigen Jeane Smith, die ohne Haribos, Hundewelpen und Twitter nicht leben kann. Sie ist das Mädchen mit den schrecklichen Klamotten und den verrückten Haarfarben, doch was kaum einer weiß, ist, dass sie einen erfolgreichen Lifestyleblog names "Adorkable" führt, ständig in ferne Länder eingeladen wird und als Stimme ihrer Generation bezeichnet wird. Der achtzehnjährige Michael Lee hingegen trägt Markenklamotten und ist der beliebteste Typ der ganzen Schule - außerdem ist er ein absoluter Anti-Dork! Doof nur, dass seine Freundin Scarlett (laut Jeane das dämlichste Mädchen überhaupt!) in Jeanes Freund Barney verliebt ist - und umgekehrt. Und doof nur, dass Michael ziemlich gut küssen kann. Zwei völlig unterschiedliche Welten stoßen gegeneinander und beide müssen feststellen, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint.
"Adorkable" ist einfach absolut "adorable" geschrieben. Da das Buch abwechselnd aus der Sicht von Jeane und Michael geschrieben ist, ändert sich auch der Schreibstil dementsprechend, sodass man immer genau weiß, in welchen Kopf man gerade hineinschaut. Insgesamt betrachtet ist der Stil aber sehr schön zu lesen und einfach wunderbar frisch und verrückt. Viele verschachtelte, aber trotzdem leicht verständliche Sätze sorgen für Anspruch ohne dabei den Jugendbuchaspekt zu verlieren, da das Buch dennoch leicht und flüssig lesbar ist, was eine erfrischend schöne und ausgeglichene Mischung darstellt.
Haribo gibt es in tausend (wenn nicht sogar mehr!) verschiedenen Varianten - für jeden Geschmack ist etwas dabei und so ziemlich jeder liebt es. Die Attribute süß, bunt und verrückt treffen aber nicht nur auf Haribos zu (auch wenn die Jeane, die Protagonistin des Buches, völlig besessen von Haribos ist!), sondern tatsächlich auch auf "Adorkable" selbst. Es gibt wenige Bücher, die gerne mal aus der Reihe tanzen und sich dabei sogar trauen mit einigen Klischees zu brechen oder mit diesen zu spielen, aber "Adorkable" reißt sich geradezu darum! Überhaupt ist dieses Buch einfach völlig anders und viel direkter als andere Jugendbücher, was es für mich einfach zu einem besonderen Leseerlebnis gemacht hat. Wer nämlich denkt, er wisse, was absonderlich sein bedeutet, hat Jeane Smith noch nicht kennengelernt!
Müsste ich "Adorkable" nur mit Adjektiven beschreiben, würden mir direkt eine ganze Menge davon einfallen: kunterbunt, abgedreht, erfrischend, humorvoll, zuckersüß, charmant, knallhart ehrlich und einfach dork-ig! Das besondere an dem Buch aber ist, dass das noch lange nicht alles ist, was die Geschichte um Jeane und Michael zu bieten hat, denn neben all dieser Abgedrehtheit, findet man in dem Buch auch allerlei andere Problematik, die ihm die gewisse Ernsthaftigkeit verleiht. Die Mischung aus knallig bunten Haribomomenten und ziemlich ernsten und traurigen Tiefs macht das Buch einzigartig - und so glaubhaft. Die Geschichte wirkt aus der Realität gegriffen, denn sein wir doch mal ehrlich - genauso ist auch das Leben und das zeigt Sarra Manning mit einer besonderen Eindringlichkeit, die dem Leser zeigt, wie wichtig es ist, man selbst zu sein.
Die Geschichte lebt natürlich durch ihre Figuren und genau die sind es auch, die dem Buch diesen Charme verleihen. Allen voran ist da natürlich Jeane Smith, die sich schon lange dazu bekannt hat, anders zu sein, als die anderen und eine selbsternannte Katastrophe ist. Sie ist Dramaqueen, Zicke, Nervenbündel, Flohmarktverliebt und Haribosuchti in einem und trotzdem steckt noch viel mehr in ihr. Da sie alleine lebt, steckt eine Einsamkeit in ihr, die sie erst noch verstehen muss und die im Laufe des Buches eine tragende Rolle spielt. Ihr Verhalten und ihre Art waren trotz Dominanz und Merkwürdigkeit für mich immer nachvollziehbar und verständlich, besonders im Hinblick auf ihr Leben, was ihr dieses besondere Bindung mit dem Leser einbringt. Nach und nach gewöhnt man sich an ihre Art und ihren schrillen Kleidungsstil und plötzlich sieht und akzeptiert man sie, wie sie eben ist.
 
Doch auch Michael ist eine interessante Figur, wenn auch nicht ganz so selbstständig wie Jeane. Seine Antipathie zu Jeane wird schon ganz am Anfang der Geschichte deutlich und auch Jeane ist nicht unbedingt gut auf Michael zu sprechen, der im Grunde ziemlich spießig ist. Er ist Muttersöhnchen, Sportstar und Mädchenschwarm, der sich sein Leben vorschreiben lässt, aber irgendwo nervt ihn die Alltäglichkeit und die Normalität. So entwickelt sich dann auch die Beziehung zwischen ihm und Jeane, obwohl die Skepsis bis zum Ende bleibt. Das ist auch mein einziger Kritikpunkte an der Geschichte: Ich hatte nie das Gefühl (bis zum Schluss nicht!), dass Michael sich komplett fallen lassen kann, was Jeane betrifft. Er wirkte immer distanziert und entwickelt sich nur bedingt weiter, was ein bisschen schade ist.
Neben den Protagonisten sind jedoch auch die Randfiguren glaubwürdig und spannend. Hier tümmeln sich so einige Klischees und Charakterzüge, mit denen gespielt und teilweise auch gebrochen wird. Das ist das schöne an der Geschichte: Sie schaut hinter die Fassade! Natürlich bekommt man durch die Innensicht der Protagonisten Vorurteile, aber die Geschichte an sich steckt die Figuren nicht in Schubladen und holt sie dann nicht mehr raus, sondern sie lässt selbst die Nebencharaktere Entwicklungen durchmachen und zeigt unterschiedliche Sichtweisen. Außerdem wird - Oh, Wunder - die Sexualität nicht unter den Teppich gekehrt. Ganz im Gegenteil: Die Geschichte ist auf jeder Ebene ehrlich und direkt, was sie so besonders erfrischend und durchweg lesenswert macht.
"Adorkable" ist alles, was ein gutes und anspruchsvolles Jugendbuch ausmachten sollte. Im Grunde beschreibt der Titel die Geschichte perfekt, denn es ist nichts anderes als völlig durchgedreht und doch so glaubwürdig und ehrlich. Mit viel Humor, Charme und Einfühlsamkeit beschreibt Manning das Leben zweier unterschiedlicher Jugendlicher, die sich im Laufe der Geschichte selbst und gegenseitig finden, was zeitweise tieftraurig und absolut lustig ist. Eine Geschichte, die von ihren Figuren lebt und aus dem Leben gegriffen sein könnte. Sie trifft den Zeitgeist mit Twitter, Facebook und co. und geht kritisierend und gleichzeitig motivierend auf die Generation Y ein. Gesellschaftskritik, buntes Durcheinander und ganz viel Süßigkeiten und Liebenswürdigkeit in einem - das alles und viel mehr ist "Adorkable", eine Geschichte, die ich jedem ans Herz lege, der tiefgründige Jugendbücher mag und der, wie wir alle eigentlich, ein kleiner Dork ist.
Sarra Manning ist Autorin und Journalistin udn lebt in London. Sie arbeitete für verschiedene britische Jugendzeitschriften und war Chefredakteurin von Just Seventeen und Elle Girl UK. Ihre Beiträge erschienen in der Elle, Grazia, InStyle und im Guardian. Die Autorin hat bereits zahlreiche Bücher für Jugendilche und Erwachsene veröffentlicht. Bisher ist allerdings lediglich "Adorkable" in Deutschland erschienen. [via Bloomoon]
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