Rezension: Adam Zagajewski – Die kleine Ewigkeit der Kunst (Hanser, 2014)

“Die kleine Ewigkeit der Kunst” ist ein ‘Tagebuch ohne Datum’, in dem uns Adam Zagajewski (*1945) in die Gegenden, in denen sein Denken, Leben und seine Kunst wurzeln. Ein berührendes, angeregtes und anregendes Prosawerk dieses ausgezeichneten polnischen Lyrikers und Essayisten.

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Titel: Die kleine Ewigkeit der Kunst
Original: Lekka przesada (2011)
Autor: Adam Zagajewski
Übersetzung: Bernhard Hartmann, Renate Schmidgall
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3-446-24612-6
Umfang: 320 S., flexibler Einband

2014 wurde Adam Zagajewski mit dem Eichendorff-Literaturpreis ausgezeichnet, der Schriftsteller würdigt, die aus Schlesien stammen, oder sich in ihrem Werk der schlesischen Kultur widmen. Zagajewskis Beziehung zu Schlesien beginnt im Jahr seiner Geburt: 1945. In dem Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wurde die Familie Zagajewski aus dem ukrainischen Lemberg nach Schlesien vertrieben (‘umgesiedelt’). Diese Vertreibung bildet einen der thematischen Fixpunkte dieses “Tagebuchs ohne Datum”, ein immer wiederkehrendes Motiv. Die verlorene Stadt, die Umsiedlung, an der manch einer gestorben ist. Nicht so Adam Zagajewskis Vater, der aber dennoch bis ins hohe, von Demenz geprägte Alter eine besondere Beziehung zu Lemberg hatte, die der Autor in berührenden, feinfühligen Szenen beschreibt. “Die kleine Ewigkeit der Kunst” entführt den Leser in die Gegenden, in denen der Mensch und Künstler Adam Zagajewski seine Wurzeln hat.

Neben der Familiengeschichte und seiner eigenen, von unterschiedlichen Wohn- und Arbeitsorten (Krakau, Paris, Houston) geprägten Biographie, schreibt Zagajewski vor allem über die Kunst, namentlich: Literatur und klassische Musik. Da ist einerseits die polnische Literaturszene, mit der ihn nicht nur literarische, sondern auch persönliche, freundschaftliche Erlebnisse verbinden: Zbigniew Herbert und Czeslaw Milosz , andererseits die deutschsprachige Literatur, aus der er Thomas Mann, Robert Musil und Gottfried Benn häufig zitiert, und drittens der rumänische Skeptiker und Misanthrop Emil Cioran. Sie alle prägten mit ihrem Denken und ihren Schriften Zagajewski auf die eine oder andere Weise, sie alle sind ihm unentbehrlich.  Daneben finden viele weitere Künstler, etliche davon Lyriker wie Zagajewski selbst, Erwähnung.

Mit Anspielungen, Zitaten und scharfen Beobachtungen, die mal an die Reisenotizen eines Cees Nooteboom, mal an die Aphorismen eines Elias Canetti erinnern, entsteht so datumslose Eintragung für datumslose Eintragung ein Bild von Adam Zagajewski selbst. Ein ernsthafter, man könnte sagen konservativer Künstler, dem der “allgegenwärtige Nebel der Ironie”, wie er die postmoderne Kunst dominiert, nicht ausreicht. Zagajewski ist ein Künstler von erhabener Seriosität, von ehrvoller Verpflichtung der Wahrheit, der Erfahrung des Konkreten, gegenüber (“(ich) schreibe nur über Dinge,die ich selbst gesehen habe”) und von dezidierter Schärfe der Meinungen. Sein Ideal ist die eigenständige Suche nach der Wahrheit, gedankliche Systeme, wie sie die heutigen Geisteswissenschaften dominieren, sind ihm zuwider (“…letztlich sind Systeme gift für den Verstand, ein Schandfleck des intellektuellen Lebens”).

Als “Schlüssel zum Verständnis der Kunst” schliesslich bezeichnet Zagajewski den Enthusiasmus, also einen, seinem ursprünglichen Wortsinne nach, Zustand von Gott eingegebener, beseelter Inspiration. In diesem Schluss zeigt sich deutlich die Feierlichkeit und Überzeugung, die Sprache und Denken Zagajewskis tief durchdringen. Das hat Potenzial zu polarisieren, Gemüter zu erregen, etwa wenn er ausschweifend und verherrlichend über Werke von Bach oder Chopin spricht, aber jedes Auftauchen von populärer Musik als “primitiv” abtut. Der Grat zwischen Schärfe der Meinungen und Ignoranz ist ein schmaler, doch Zagajewskis gelingt es zumeist, auf der richtigen Seite zu bleiben, denn in den meisten Fällen, in denen er kritisiert, wird man ihm Recht geben. Und wenn er bewundert – hierzu zitiert er selbst ein (angebliches) Wort von Paul Claudel: “Celui qui admire, n’a jamais tort.” (Der, der bewundert, hat niemals Unrecht.) und sagt, “dass im geistigen Sinne Bewunderung und Enthusiasmus etwas viel Höheres sind als Kritik, Sarkasmus oder eine rein ironische Haltung.” Ich bin gewillt, ihm auch hierin Recht zu geben.

Zagajewski, Adam. Die kleine Ewigkeit der Kunst. Tagebuch ohne Datum. Hg. v. Michael Krüger. Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann und Renate Schmidgall. EDITION AKZENTE. München: Hanser 2014.


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