Zweite reihe zu sagen, wäre gerühmt. weder Chuck Ragan noch Dan Adriano, weder Dave Hause noch Brian Fallon hatten jemals einen Nummer 1-Hit, keiner der vier - einst aktiv bei Bands wie Hot Water Music, The Loved Ones und Alcaline Trio - war schon mal auf Stadion-Tournee und selbst Fallon, mit seiner Band The Gaslight Anthem als eine Art Nachfolger von Bruce Springsteen früh vollendet, erfreut sich größerer Beliebtheit nur in kleinen Kreisen weltabgewandter Rock-Connoisseure.
Gerade das ist es aber. Chuck Ragan, ein schratiger Klotz von Mann, hatte schon vor drei Jahren die Idee, befreundete Rockmusiker zusammenzurufen, um auf einer gemeinsamen Tour die Folk-Wurzeln feiern, aus denen noch der letzte Hardcore-Songs seine Energie saugt. Programmatisch wird das Unternehmen "The Revival Tour" überschrieben, thematisch mischt es ein paar akustisch gestrippte Stücke aller Beteiligten mit ein paar bekannten Nummern aus der Geschichte, alles mal allein und mal in verschiedenen Konstellationen zusammen gespielt - und fertig ist ein dreieinhalbstündiger Konzertabend der Extraklasse.
Was vor allem an Dave Hause und Brian Fallon liegt, die einfach bessere Songs dabei haben als Adriano und Ragan. Hause, der sich mit seinem aktuellen Album "Resolutions"
direkt in die Tradition von Mellencamp, Neil Young und - natürlich - Bruce Springsteen begibt, darf sich für "Time will tell" und "Pray for Tucson" bejubeln lassen. Dann dimmt Ragan das Licht und gibt den wütenden Billy Bragg, gefolgt von Dan Adriano, der sich eher unstet durch ein paar Alcaline-Trio-Klassiker nuschelt, die genauso klingen wie seine brummigen Solo-Werke. Bei Ragan hilft Dave Hause an der zweiten Gitarre, so wie Ragan vorher bei ihm Mundharmonika und Bajo gespielt hat. Bei Adriano kommt Brian Fallon dazu, der Hardcore-Mann bedankt sich mit einem eingebauten "59´Sound"-Textschnipsel
Fallon selbst beginnt seinen Auftritt mit einer langen Geschichte darüber, wie Bruce Springsteen ihn eines Tages anrief, während er von seiner Frau Hollie gerade dazu verdonnert worden war, eine Party vorzubereiten. Fallon ist witzig, entspannt, ein Mann ohne Mission und ohne die Verantwortung, eine ambitionierte Band wie Gaslight Anthem auf das nächste Erfolgslevel singen zu müssen. Mit seinem Gitarrenroadie Ian Perkins spielt der 31-Jährige aus Red Bank, New Jersey, dann einige Stücke von Elsie,dem fantastischen Debütalbum seines Nebenprojekts The Horrible Crowes. Anschließend folgen Gaslight-Standards wie "Meet me by the Rivers Edge" und "Blue Jeans & White T-Shirts".
Alles wirkt ungeplant, spontan und lässig. "Meet me by the Rivers Edge" wollte Fallon gar nicht spielen, er tut es nur, weil Dave Hause seinen Ruf auf die Büpphne nicht hört und ein Fan in der ersten Reihe verspricht, ihm mit dem Text auszuhelfen. "Den weiß ich nämlich nicht mehr", sagt Fallon.
Das Wichtigste an dieser Tour sei nicht die Musik, sondern die Kameradschaft, schreiben die Beteiligten auf der Revival-Tour-Seite, und das ist gar nicht mal so falsch. Eine Stunde war am Nachmittag vor dem Auftritt in Berlin der Tätowierer im Backstage-Bereich des "Postbahnhof", um den Musikern ein Revival-Tour-Tattoo zu stechen.
Richtig gut wird es dann auch, als aus den musizierenden Kleingruppen eine große Band wird: Immer noch ohne Schlagzeug und Keyboards rocken Fallon und Co. jetzt ein paar Klassiker. Neil Youngs "Heart of Gold" baut die Brücke zu "Rockin´in the free World", es folgt die Tourhymnen "On the Bow", die ohne Instrumente und sogar ohne Mikrophone gesungen wird. Das folkinterpretation geht zusehends ins Irische, Brian Fallon macht aus dem schmissigen Rocker "American Slang" einen Tanzbodenschieber und aus dem finalen "The 59´Sound" wird ein Pogues-Brüller. Erst nachts um halb eins stöpselt der Mann am Mischpult schließlich seinen iPod an die Anlage. Es läuft Gillian Welch, "Paper Wings" vom 1996er Album "Revival". Ja, selbst die Revivals der Revivals haben jetzt schon Revivals.