Fakten:Außergewöhnliche Geschichten (Histoires extraordinaires)
FR, IT, 1968. Regie: Roger Vadim, Louis Malle, Federico Fellini. Buch: Roger Vadim, Pascal Cousin, Louis Malle, Clement Biddle Wood, Daniel Boulanger, Federico Fellini, Bernardino Zapponi, Edgar Allan Poe (Vorlage). Mit: Jane Fonda, Peter Fonda, Alain Delon, Brigitte Bardot, Terence Stamp, James Robertson Justice, Salvo Randone, Francoise Prévost, Marlène Alexandre, David Bresson, Peter Dane, Georges Douking, Philippe Lemaire u.a. Länge: 117 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:Drei Regisseure setzen drei Geschichten von Edgar Allan Poe um. Eine despotische Gräfin wird ein geheimnisvolles Pferd zum Verhängnis, ein Mann wird sein Leben lang von einem Doppelgänger verfolgt und ein Schauspieler begegnet dem Leibhaftigen.
Meinung:Ein hochinteressantes, partiell großartiges – sogar meisterhaftes – Kleinod. Drei namenhafte Regisseure verfilmen drei Geschichten von Edgar Allan Poe, zusammengefasst unter dem eher unspektakulären Titel „Außergewöhnliche Geschichten“. Wie so oft sind nicht alle Teile gleichwertig, was eine Bewertung insgesamt erschwert und besonders denen nicht gerecht wird, die herausstechen. In diesem speziellen Fall fällt leider die erste Episode von Roger Vardim („Barbarella“) etwas aus dem qualitativen Rahmen, sonst wäre das ein wirklich außergewöhnlicher, fantastischer Film. Louis Malle („Fahrstuhl zum Schaffot“) steigert sich bei seiner Episode deutlich und Federico Fellini („La Strada“) veredelt das Werk mit seinem finalen Beitrag, der nicht weniger ist als ein Meisterwerk und allein schon das Ansehen mehr als nur rechtfertigt.
1. Metzengerstein.Eine junge, bildhübsche Gräfin regiert grausam über ihr Reich. Jane Fonda strahlt mit ihrem (von Ehemann Roger Vardim) lassiv in Szene gesetzten Sexappeal eine enorme Kraft aus, eine weibliche Version des Caligula, zwischen purem Sadismus und sündhaften Orgien. Als sie ihr Cousin (Peter Fonda) zurückweist, schlägt die verwöhnte Göre zurück, geht einen Schritt zu weit und beschwört damit ihr eigenes Ende herauf, welches in Form eines mysteriösen, schwarzen Hengstes sie symbolträchtig ins Fegefeuer führt.
Die idyllischen Landschaften der Gräfin.
Die Vorlage ist unverkennbar ein typischer Stoff von Poe (wie auch die weiteren Folgen des Films). Die Hauptfigur – in dem Fall Jane Fonda – ist voller Sünde und erntet am Ende das, was sie einst gesäht hat. Eingeholt von den Geistern der Vergangenheit, von der Schuld, kommt das Schicksal auf geheimnisvollen Sohlen (oder eher Hufen) daher. Die Story hat was, nur gelingt Vardim nicht eine so packende Umsetzung. Die verspielte Ausstattung, der schön bizarre Score und die Präsenz der Fonda stechen hervor, der surreale Touch wird leider nicht so effizient und verstörend ausgearbeitet wie bei Malle und besonders Fellini. Der leicht verruchte Look der Episode sowie sein schmuddeliger Tango von Sex, (sehr) dezentem Grusel und gerechter Strafe üben einen nicht zu leugnenden Reiz aus, der große Funke wird dabei trotzdem nicht entfacht. Ein ganz netter Auftakt, der allerdings nur bedingt Lust auf mehr macht.2. William Wilson.
Der verzweifelte William Wilson gesteht im Beichtstuhl, einen Mord begangen zu haben. Er erzählt dem Pater seine Lebensgeschichte, in der er seit Kindertagen von einem Doppelgänger verfolgt wird.
Ein schönes Gesicht entstellt nichts.
Schon der Beginn der Episode steckt „Metzengerstein“ locker in die Tasche. Louis Malle begeistert mit einer effektvollen, ausdrucksstarken Inszenierung, hat mit Alain Delon ein wahres Ass im Ärmel und zudem eine deutlich bessere Geschichte erwischt. Das Duo Malle/Delon, unterstützt von einer betörenden Brigitte Bardot, setzt die psychologisch wie moralisch hochinteressante Geschichte um das andere Ich, den bösen oder guten Zwilling, Engelchen und Teufelchen, der fleischgewordenen Antimaterie packend und handwerklich seht stark um. Eine verstörende, clevere Geschichte, die so auch locker einen ganzen Film tragen könnte und von einem Hitchcock nicht besser hätte verfilmt werden können. Hitchcock und Poe, das wäre was gewesen...3. Toby Dammit.
Ein ehemaliger Shakespeare - Schauspieler kommt nach Rom, um seine gefallene Karriere mit einem religiösen Italo-Western endgültig zu begraben. Er erlebt einen Trip zwischen Wahn und Wirklichkeit, um am Ende den Teufel persönlich zu treffen.
Mit Vollgas in die Hölle.
Die mutigste, extravaganteste und eindeutig beste Episode liefert Federico Fellini ab. Er interpretiert die Vorlage von Poe sehr eigen, transportiert sie in die Gegenwart und macht daraus einen dellirischen Fiebertraum, der auf einem kaum wahrnehmbaren Grat von verzerrter Realität, wunderschön-verstörendem Wahnsinn und psychologischer Dekonstruktion tanzt. Ein surrealer Horrortrip wie bissige Entlarfung und Abrechnung mit dem selbstverliebten, wohl oft idiotischen Zirkus des Filmgeschäfts, das Fellini hier genüsslich und künstlerisch auf höchtem Niveau ohrfeigt. Terence Stamp spielt, als hätte er seine Seele an den Teufel verkauft, Fellini inszeniert es, als wäre er eben dieser. Bilder, Beleuchtung, Einstellungen, Ausstattung, Schnitt, Setdesign, jeder Nebendarsteller und Komparse, alles scheint nicht von dieser Welt. Voller Symbolik und Metaphern schwelgt Fellini in seiner Komposition, kompromisslos und unnachahmlich brennt er ein diabolisches Höllenfeuer ab, welches einen aufsaugt, mitreißt und mit einem grandiosen Ende belohnt. Ein unfassbarer Ritt, ein Genuss auf allen Ebenen, für sich isoliert gesehen ein zweifelloses Meisterwerk.Am Ende steht das Gesamtwerk: Episode eins schwächelt, zwei gefällt sehr, drei zieht einem die Schuhe aus und gibt sie nicht zurück. Wenn der Auftakt besser wäre, großartig ohne jeden Zweifel. So steigert sich der Film von okay bis famos. Klare Empfehlung und wenn man etwas in seinem Leben gesehen haben sollte, dann Fellinis abartig geile Poe-Variante, die so wohl niemand auch nur versucht hätte. Chapeau.
7,5 von 10 Pferden, Doppelgängern und Ferraris.