Republikaner, die in Zügen sitzen

Republikaner, die in Zügen sitzen Kürzlich berichteten »Spiegel« und »Manager Magazin« von Deutschlands Pendlerströmen. Die Bereitschaft einen Arbeitsplatz, der 100 oder mehr Kilometer von der eigenen Haustüre entfernt ist, täglich aufzusuchen, sei in den letzten zehn Jahren sprunghaft angestiegen. Man darf sich also nicht wundern, dass wir in einer entsolidarisierten Gesellschaft leben. Denn lange Fahrtwege, immer auf dem Sprung zu sein, um die geplante Bahnverbindung doch noch zu kriegen, Stress in der Arbeit, zähe Stunden in Abteilen oder auf Autobahnen und ein Leben, das kaum in den heimischen Wänden stattfindet, erzeugt einen Typus, der für soziales Engagement und Solidarität wenig Energie aufwenden kann. Der Pendler ist mehr als andere mit sich selbst beschäftigt.

Das behauptet jedenfalls Claas Tatje, als er »Unterwegs in der Pendlerrepublik« war. Eine seiner darin vorgebrachten Thesen und Befunde war, dass Solidarität und Mobilität nicht zusammengehen. Kommunen, in denen sich die Bevölkerungsstruktur stark aus Pendlern zusammensetzt, würden demnach viel häufiger unter allgemeiner Desinteresse leiden, unter fehlenden Engagement in Gruppen und Vereinen, natürlich leidet auch das Ehrenamt darunter. Die res publica, die öffentliche Sache also, verwaist unter dem Zugriff langer An- und Abfahrtswege.
Tatje führt das nur kurz aus, er weist gewissermaßen darauf hin und belegt es noch kurz mit Studienergebnissen. Dann hangelt er sich zum nächsten Punkt seiner inhaltlichen Agenda. Aber zurück bleibt doch die Frage, was die Entsolidarisierung der letzten Jahre und Jahrzehnte mit dem Zeitmanagement zu tun hat, mit Wegen und Wartezeiten, mit Zugabteilen und Staus. Wobei das eigentlich gar keine Frage ist, sondern sich relativ logisch erschließt. Der öffentliche Raum braucht, wie alle anderen Interessensgebiete auch, die Zeit der darin enthaltenen Subjekte. Mangelt es daran, verwaist der öffentliche Auftrag jedes Einzelnen. Wenn es an Zeit und Energie der Vereinsmitglieder mangelt, schließt ein Verein eines Tages das Kassenbüchlein und trifft sich nicht mehr. Die res publica kann das nicht. Sie wird weiterbetrieben ohne das allgemeine Interesse.
Über die Weimarer Republik sagte man, dass sie eine Republik ohne Republikaner gewesen sei. Das trifft mit anderen Vorzeichen auch auf diese Berliner Republik zu. Damals mangelte es an Republikanern, also an Menschen, die sich als Entscheider in öffentlichen Dingen fühlten, weil sie es nie gelernt hatten - heute mangelt es an Republikanern, weil sie in Zügen und Staus festsitzen, keine Zeit, keine Kraft mehr haben, weil sie sich verausgaben auf ihren Weg zwischen Arbeitsplatz und Wohnort, viele hundert Kilometer in der Woche abspulen und danach den Feierabend als sich berieselndes Zeitkontigent betrachten, in dem für komplexe gesellschaftliche Themen lieber kein Termin reserviert sein sollte.

Dass wir vereinzeln und uns entsolidarisieren, das wissen wir schon wesentlich länger, hat mit dem Druck am Arbeitsmarkt zu tun. Das ist die etwas oberflächliche Betrachtung des Phänomens. Spezifischer gesprochen sind es Überstunden und das Pendeln, die etwaige Republikaner zu Einzelkämpfern im neoliberalen Sinne des schlanken Staates werden lässt. Nicht, weil sie das bewusst so wollten, sondern weil sie die Müdigkeit und Ausgelaugtheit dazu zwingt. Sie sind Produkt ihrer Lebensumstände und je mehr für eine mobilisierte Gesellschaft getan wird bzw. je großzügiger die Politik das Pendeln subventioniert, desto eher schwindet die Kohäsion der res publica, wird sie zur Waisin, zum Spielplatz von Interessensgruppen, die nicht im Sinne aller Öffentlichkeit entscheiden, sondern ihrer eigenen Bevorteilung wegen politisch streiten.
Tatje stellt die Pendler nicht als Opfer hin. Viele entscheiden sich bewusst für ein Häuschen im Grünen und einen Arbeitsplatz 120 Kilometer weiter. Sie wissen sehr wohl, was sie tun, wenn sie es tun. Aber darum geht es im Moment nicht. Je mehr Arbeitnehmer räumlich (und zeitlich) flexibilisiert werden, desto mehr driftet die republikanische Idee ab, kommt es zu entsolidarisierten und vereinzelten Konzepten, in denen Hilfebedürftige auf sich alleine gestellt bleiben. Desinteresse beflügelt solche Entwicklungen. Und der Pendler ist, ohne von Einzelfall zu Einzelfall entscheiden zu wollen, a priori ein an der öffentlichen Entwicklung, an der Allgemeinheit, am sozialen Miteinander eher desinteressierter Zeitgenosse. Was ihm abgeht sind Kraft und Zeit. Pendeln zehrt aus. Es ist das Pendeln des neoliberalen Zeitgeistes.

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