Republik oder Imperium

Die am 17. September 1787 im Konvent von Philadelphia beschlossene US-Verfassung ist kein gutes Vorbild für ein demokratisches Europa

Von Thomas Wagner

„…Denn weder die soziale noch die demokratische Frage wurden auf dem Verfassungskonvent in Philadelphia (25. Mai bis 17. September 1787) im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung gelöst. Statt dessen verwendeten die überwiegend aus den wohlhabenden Schichten stammenden Verfasser der Konstitution viel Energie darauf, eine umfassende Teilhabe der Massen (Arme, Arbeiter, Kleinbauern, Handwerker, Frauen, Sklaven, Indianer usw.) am gesellschaftlich erzeugten Reichtum und den politischen Entscheidungen zu verhindern. »Mit dem praktischen Sinn erfahrender Geschäftemacher verstanden es die Besitzenden, daß sie den gewöhnlichen Bürgern und den Revolutionären gern ein paar Sätze in der Verfassung konzedieren können, solange ihre reale Macht und die Machtlosigkeit der Produzierenden gesichert ist.« (Georg Knepler: Macht ohne Herrschaft. Die Realisierung einer Möglichkeit, Berlin 2004, S. 171) Der widersprüchliche und zutiefst ambivalente Charakter der US-Verfassung aber wird zumeist unterschlagen, wenn sie heute als gleichsam urdemokratisches Vorbild für die politische Einigung Europas ins Gespräch gebracht wird.

Nicht ohne Grund sahen die Eliten der nordamerikanischen Ostküste ihren politischen Einfluß und ihre Eigentumsrechte durch die schwer zu kalkulierenden Aktivitäten des als Kanonenfutter allerdings gern gesehenen »Pöbels« gefährdet. Denn schon Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung (4.7.1776) hatte eine mächtige Bauernbewegung in North Carolina den Aufstand gegen wohlhabende und korrupte Beamte geprobt. In der Zeit von 1766 bis 1771 konnte diese sogenannte Regulatorenbewegung nur durch einen massiven Einsatz des Militärs an einem demokratischen Umsturz gehindert werden. Antielitäre Motive begeisterten auch einen Großteil jener Menschen, die in den Städten gegen die britische Bevormundung revoltierten. »Handwerker verlangten politische Demokratie in den Kolonialstädten: offene Sitzungen repräsentativer Versammlungen, öffentlich zugängliche Emporen in den gesetzgebenden Häusern und die Veröffentlichung von namentlichen Abstimmungen, so daß die Wähler ihre Volksvertreter überprüfen konnten. Sie wollten Versammlungen unter freiem Himmel, so daß die Bevölkerung an der Politik teilnehmen könnte, gerechtere Steuern, Preiskontrollen und die Wahl von Handarbeitern und anderen einfachen Leuten in Regierungspositionen.« (Howard Zinn: Eine Geschichte des amerikanischen Volkes, Bd. 2., Berlin 2006, S. 14)

Tatsächlich hatten 69 Prozent der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung Posten als Kolonialbeamte Englands inne.« (ebd., S. 37) Auch der Kontinentalkongreß, der die aufständischen Kolonien während des Krieges regierte, war von wohlhabenden Männern dominiert, die über die Grenzen der einzelnen Kolonien und späteren Bundesstaaten hinaus durch Klüngel, berufliche und familiäre Verbindungen miteinander verbandelt waren. Durch den Sieg im Unabhängigkeitskrieg entstand eine Situation, die es dieser Gruppe der kolonialen Elite erlaubte, »diejenigen zu ersetzen, die loyal gegenüber England waren, kleinen Landeigentümern einige Vorteile zu verschaffen, und arme weiße Arbeiter und Pachtbauern weitgehend in ihrer alten Situation zu belassen«.

Aus Furcht, die erwarteten Konflikte zwischen Arm und Reich könnten zu ihren Ungunsten entschieden werden, ersannen die Delegierten in Philadelphia eine Reihe von Verfassungsmechanismen, mit deren Hilfe die Interessen der Wohlhabenden gewahrt werden und die Einrichtung von radikaldemokratischen Gemeinwesen verhindert werden sollten, wie sie 1776 in Pennsylvania und 1777 auch in Vermont konstituiert worden waren und den Einspruch von Politikern hervorgerufen hatten, die in demokratischen Verfassungen vor allem eine Gefahr für die wirtschaftliche Prosperität und den Fortbestand der gerade errungenen Souveränität des Staatenbundes zu erkennen glaubten. Sie bemühten sich daher, die noch zu schaffenden Verfassungsorgane dem unmittelbaren Einfluß des Volkes zu entziehen. »Da der amerikanische Unabhängigkeitskrieg im Namen des ›Volkes‹ geführt worden war, mußte nach Ansicht der Gestalter des neuen Amerika deshalb an irgendeinem Punkt auch ›das ganze Volk‹ zu Rate gezogen werden. Sinn und Zweck der Verfassung jedoch war einzig und allein, dafür zu sorgen, daß diese Hinzuziehung extrem beschränkt blieb, damit eben keine ›Schrecken der Demokratie‹ zu gewärtigen wären.
…“

Thomas Wagner ist Autor des Buchs »Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus«, Köln, PapyRossa 2011

Quelle und gesamter Text: http://www.jungewelt.de/2012/09-17/009.php



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