Reportage; Gedanken ums Leben im sozialen Brennpunkt – Teil 3 - Über Doppelleben

Gefangen zwischen Uppern und Downern
Zwei Leben zuführen ist eindeutig nicht einfach. Am Tag probieren ein ordentlicher Schüler zu sein und während des Nachmittags bzw. der Nacht der Typ, der andere mit Drogen beliefert. Ich schlief schlecht und wenig. Ich war schon damals ab und an stoned in die Schule gegangen, wenn ich mir sicher war es nüchtern nicht ertragen zu können, meistens schlief ich dann irgendwann im Unterricht ein und bekam genau so wenig mit, wie wenn ich gleich zu Hause geblieben wäre, aber wozu verkaufte ich schon dieses weiße Pulver, wenn ich es selber nicht benutze. Natürlich kannte ich Leute, die auf dem Zeug kleben geblieben waren, aber ich kannte auch Leute, die auf Gras kleben geblieben waren. Ich blieb auf Gras nicht hängen, also warum sollte ich auf Speed hängen bleiben. Ich war mit sicher, dass mir so etwas nicht passieren konnte, also wurde es zur Gewohnheit, dass ich mir überall, wo ich wollte eine Nase legte und zog. Ich zog auf der Schultoilette, zog bei Burger King und zog einmal sogar unter den Kameras der U-Bahn Station meines Viertels.
Ich war dauernd auf Nase, dem entsprechend schlief ich noch weniger und wenn ich schlafen wollte, rauchte ich mir eine Tüte um runter zukommen. Morgens kam ich schlecht aus dem Bett, also zog ich. Abends kam ich schlecht ins Bett, also rauchte ich. Irgendwann schien ich wohl doch gefangen in diesem Kreislauf. Zum Frühstück Upper und zum Abendbrot Downer.
Leitmotiv: Ich scheiß drauf!
Das für mich schöne am Speed war die Einstellung mit der ich durch den Tag ging. Regte ich mich früher über Sachen schnell auf oder war zu einfühlsam, wenn es Freunden schlecht ging, erreichte ich nun eine „Ist mir ganz egal“-Einstellung mit der ich sehr gut durch den Tag kam. Sicher habe ich in der Zeit einige Leute verprellt oder schlecht behandelt, aber es war mir egal. Ich war drauf. Bahnte sich doch irgendwann ein schlechtes Gewissen an oder drohten mich meine eigenen Gedanken zu zerfleischen, legte ich mir eine neue Nase oder rauchte eine Tüte. Mein Abitur hatte ich irgendwie in einem meiner beiden Leben gemacht und nachdem ich eine ganze Zeit lang nur gefeiert hatte, fing ich einen legalen Job an. Anfangs mit der Absicht mir mein Leben nur noch so lange mit Handel zu finanzieren bis das erste Gehalt eintraf, aber wenn du oft und viel arbeiten gehst, fragt dich niemand woher dein ganzes Geld kommt. Ich hatte also meine Tarnung gefunden. Ich ging legal arbeiten und wo ich früher ein Doppelleben als Ticker und Schüler geführt hatte, führte ich nun ein Doppelleben als Lagerarbeiter und Ticker. Nur eine einzige Regel legte ich mir selber auf, nie stoned zur Arbeit gehen. Die 8 Stunden des Kistenpackens und Tragens zogen sich so schon ewig hin, da brauchte ich mir meine Motivation nicht noch zusätzlich durch Gras zu mindern. Ich kiffte weniger, zog dafür aber um so mehr. Beruhigte mich selber aber damit, dass ich es unter Kontrolle habe und wenn nicht: Scheiß drauf!
Die Polizei, Vorladungen und andere Probleme
Nicht nur die Wohnungsbaugesellschaft hatte Jungs wie mich auf dem Kicker, sondern auch die Polizei. Ich weiß nicht, wie oft ich in dieser Zeit den Adler machen musste. Den Adler machen ist ein Ausdruck für die Position, welche man einnehmen muss, wenn man sich einer Leibesvisitation unterziehen muss. Die Untersuchung an sich war für mich schon immer reine Schikane, aber einen „Bullen“ gab es in meinem Viertel, der machte sich regelmäßig einen Spaß daraus meine Gruppe und mich zu filzen und diese Prozedur unnötig in die Länge zu ziehen. Meinen Ausweis behielt er regelmäßig länger als nötig und das obwohl in meiner Akte kein Eintrag zu finden war bei einer „Personen F“, wie es über Funk immer hieß.
Bei den Leuten mit denen ich unterwegs war sah das jedoch anders aus. Die Palette reichte von Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz über Diebstahl bis hin zu Körperverletzung. Jedes mal wenn jemand dabei war bei dem schon mal ein Verstoß gegen das BtmG festgestellt worden war, untersuchte man uns besonders gründlich. Selbst die Sohle aus meinen abgetragenen Boots musste ich entfernen, damit ich da drunter nicht 1 oder 2 Gramm versteckte. Ironischerweise sind sie nie auf die aufgeschnittene Innentasche meines Parkers gekommen, durch die alles in den Saum und das Innenfutter der Jacke fiel.
An einem Tag aber wurden wir alle zu Beschuldigten bzw. Tatverdächtigen. Wir saßen im Park, irgendjemand war dabei eine Tüte zu drehen, die Blättchen lagen auf dem Tisch, als ein Polizist auf dem Motorrad an uns vorbei fuhr, stehen bliebe, wendete und zurück kam. „Einmal die Personalausweise bitte!“ Bei der anschließenden Durchsuchung fanden sie bei keinem von uns direkt etwas, aber im Umkreis von 5 Metern lag eine Dose, in der sich noch Reste von Gras befanden. Nach Aussage des Polizisten seien wir nun alle Tatverdächtige, da ja sicherlich keiner von uns zugeben würde, dass es sich um seine Dose handele. Wegen so einer dummen Sache erhielt ich meinen ersten Akteneintrag und die erste Vorladung, die mich zum nachdenken brachte.
Was wäre gewesen, wenn sie das Amphetamin gefunden hätten, was ich dabei hatte? Was wenn sie mich mal erwischten, wenn ich mit einer größeren Menge unterwegs war. Ich war durch einen dummen Zufall in das Visier gekommen und wenn ich Pech hatte würden die zukünftigen Kontrollen genauer werden. Nicht mehr so oberflächlich, nicht mehr so zufällig, sondern gezielt auf uns abgestimmt.

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