Rendite fraglich

“Junge Welt”, 29.12.2012
Warschaus Traum vom »Schiefergas-Kuweit«. Trotz etlicher Unsicherheiten setzt Polen weiterhin auf das ökologisch desaströse Fracking. Sogar US-Investoren steigen aus

Laß uns mal darüber reden« – unter diesem Motto scheint eine Informationskampagne zu stehen, die in etlichen Woiwodschaften Nordpolens die Akzeptanz für die umstrittene Förderung von sogenanntem Schiefergas erhöhen soll. Neben geplanten Informationsveranstaltungen in den betroffenen Gemeinden haben die verantwortlichen Regierungsstellen auch einen Beauftragten ernannt, der den Dialog zwischen Energieindustrie und Bevölkerung fördern soll. Auch eine Internetseite ist eingerichtet. Es gehe um einen »professionellen Dialog«, bei dem die »individuellen Vorbehalte« der betroffenen Anwohner berücksichtigt würden, erklärten Vertreter der Woiowodschaft Pomorze. Allein in der Woiowodschaft Pomorze wurden bereits 13 Probebohrungen durchgeführt. Insgesamt sind in Polen in den vergangenen Jahren 30 Bohrstätten entstanden.
Bislang setzten die Unternehmen, die an dieser Erdgas-Bonanza zu partizipieren hoffen, beim Umgang mit der Bevölkerung eher auf die Schocktherapie: In der polnischen Lokalpresse fanden sich Berichte über verunsicherte Landwirte oder Grundstücksbesitzer, die auf ihren Feldern unangekündigt, mit Sondierungsarbeiten beschäftigte Angestellte von Gaskonzernen vorfanden. Zumeist suchen diese Erkundungstrupps nach geeigneten Plätzen für Probebohrungen, um hierdurch einen genaueren Überblick über die in Tongesteinschichten befindlichen Gaslagerstätten zu gewinnen. Diese rüden Methoden der Energiekonzerne haben mit dazu beigetragen, daß sich in vielen betroffenen Regionen Polens langsam Widerstand gegen die auch als Fracking bezeichnete Schiefergasförderung formiert. Inzwischen haben Bürgerinitiativen erste Demonstrationen vor Förderanlagen in der Region Pomorze durchgeführt. Zur Abschreckung ließ der polnische Inlandsgeheimdienst ABW jüngst sogar Überwachungsprotokolle von einem Koordinationstreffen der Fracking-Gegner den Medien zuspielen. In diesen wurde ihnen vorgeworfen, die »öffentliche Ordnung und Sicherheit Polens« zu gefährden.

Denkt man an die enormen Umweltverwüstungen in den USA, wo die massive Anwendung des Fracking zu einem regelrechten Erdgasboom führte, scheinen die Befürchtungen der Anwohner nur zu berechtigt. Bei der hydraulischen Frakturierung werden gigantische Mengen einer mit hochgiftigen und krebserregenden Chemikalien versetzten Flüssigkeit unter hohem Druck in die gashaltigen Schiefergesteinschichten gepumpt, die sich in Tiefen von 1000 bis 2000 Metern befinden. Dort wird der Chemiecocktail – der durch die Grundwasser führenden Schichten hindurchgepumpt werden muß – über horizontale Bohrungen in dem Schiefer verteilt, den er dann zum Aufplatzen bringt und so das darin enthaltene Gas freisetzt. Neben an der Oberfläche austretenden Chemikalien oder der Verunreinigung des Grundwassers sind auch Fälle bekannt, bei denen das Fracking lokale Erdbeben auslöste.

Dennoch ist Warschau entschlossen, Polens Schiefergasvorkommen auszubeuten. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge könnten diese den Gasverbrauch des Landes für 20 bis 50 Jahre decken. Der staatsnahe polnische Ölkonzern PKN Orlen kündigte an, 2016 mit der kommerziellen Förderung von Schiefergas in drei Förderanlagen zu beginnen. Umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro will der Energiemulti, an dem der polnische Staat mit rund zehn Prozent beteiligt ist, bis 2017 in dieses Vorhaben investieren. Ähnliche Aktivitäten entfaltet der staatlich kontrollierte Energieversorger PGNiG, der fürs kommende Jahr rund ein Dutzend Probebohrungen plant.

Es ist kein Zufall, daß gerade polnische Unternehmen sich verstärkt um die Schiefergaslagerstätten bemühen. Mitte 2012 hat etwa der US-Multi Exxon bekanntgegeben, sein Engagement in Polen einzustellen. Die in Probebohrungen untersuchten Lagerstätten seien nicht ergiebig genug. Zudem gehen neue Schätzungen vom Staatlichen Geologischen Institut davon aus, daß die Schiefergasvorkommen nicht aus 5,3 Billionen Kubikmeter, sondern nur zwei Billionen bestehen. Die Erschließung der Lagerstätten sei »an einem toten Punkt« angekommen, berichtete jüngst das Bergbauportal Nettg. Nur bei einem Viertel der 120 vergebenen Konzessionen würden tatsächlich Erschließungsarbeiten durchgeführt. Die Zurückhaltung insbesondere der erfahrenen US-Unternehmen führte Nettg auf die unterschiedliche geologische Zusammensetzung der polnischen Lagerstätten zurück, bei deren Erschließung die in den USA erfolgreichen Methoden nicht effizient seien. Es sei noch nicht geklärt, »wieviel Gas in Polen lagert und ob sich dessen Förderung überhaupt rentiert«, konstatierte das Bergbauportal.

Die polnische Regierung verschleudert somit vermittels seiner verbliebenen staatsnahen Energiekonzerne Milliardenbeträge an eine umweltschädliche Energiequelle. Das Kalkül: Warschau will die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen verringern. Um Polen zum erträumten »Schiefergas-Kuwait« zu machen, ist Premier Donald Tusk offenbar bereit, die hohen ökologischen und auch betriebswirtschaftlichen Risiken einzugehen.


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