Reise in die Überflüssigkeit

Von Stefan Sasse
Wir erleben derzeit den Absturz zweier Parteien, die für die Konstituierung des Fünf-Parteien-Systems seit 2005 entscheidende Konstanten waren: der FDP und der LINKEn. Beide machen sich selbst derzeit in einem Ausmaß überflüssig, das kaum für möglich gehalten wurde. Die eine Partei wird dabei von den Ereignissen überrollt, die andere dagegen hat sich von den Ereignissen ohnehin schon seit der Bundestagswahl abgekoppelt. FDP wie LINKE leiden an der Altlast ihrer eigenen Ideologien. Sie wirkten anziehend, als der Überdruss mit den ehemaligen Volksparteien CDU und besonders SPD in der Zeit der Großen Koalition eine Spitze erreichte, und als dieser Überdruss sich in der Wahl des jeweils konzentrierten Kondensats einiger Kernpunkte der beiden Großen - der LINKE für die SPD, der FDP für die CDU - manifestierte. Auf die aktuelle Krise aber kennen beide keine Antworten. Ihre gewaltigen Verluste in der Wählergunst sind deshalb nur konsequent.
Das deutsche Parteiensystem ist im Grunde relativ um die "Mitte" zentriert. Die CDU, SPD und Grünen besetzen vor allem diese Mitte, die hier so definiert sein soll, als dass sie keine großen Veränderungen am status quo wünscht und Reformen eher auf die kleinen auftauchenden Probleme zentriert sehen will. Dass es sich bei Menschen dieser Geisteshaltung um die überwältigende Mehrheit handelt, daran sollte eigentlich inzwischen niemand mehr ernsthafte Zweifel haben. Dabei ist es erst zwei Jahre her, dass ein guter Teil der Wähler von der ganzen Mitte die Schnauze voll hatte. 16% bekam die FDP, die Partei des rechten Randes, knapp über 11% bekam die LINKE, die Partei des linken Randes. In aktuellen Umfragen würde die FDP ganz knapp den Wiedereinzug schaffen, während die LINKE unter ihr Ergebnis von 2005 gerutscht ist und ein Ende des Abwärtstrends kaum absehbar ist. In Berlin sieht die Lage für sie noch drastischer aus; hier hat sie seit 2006 rund zwei Drittel ihrer Prozenze eingebüßt. Eine neu entdeckte Liebe für CDU und SPD gibt es nicht. Der große Profiteur der Verluste der beiden Randparteien sind die Grünen. Es scheint derzeit unwahrscheinlich, dass sie diese Gewinne werden halten können; ausgeschlossen ist es aber nicht. Was aber sind die Ursachen für die Verluste von FDP und LINKEn?
Die FDP erleidet bereits seit ihrer Regierungsübernahme Verluste in den Umfragen. Das ist die direkte Folge einer Klientelpolitik, die Ihresgleichen sucht. Alles, was die FDP anfasst, stinkt nach Käuflichkeit, sondert geradezu eine Duftspur der Korruption ab. Das begann mit dem Mövenpick-Gesetz und geht nun nahtlos in die Idee über, die geplante Erhöhung der Pflegeversicherung kapitalgedeckt zu veranstalten. Das Schlimme dabei ist, dass diese Käuflichkeit nach allem Dafürhalten auch gegeben ist - niemand kann ernsthaft argumentieren, dass die FDP hier nicht aufs Schärfste Partikularinteressen verkörpern würde. Ein immer größerer Teil der Wähler aber muss erkennen, dass er nicht dazugehört. Falls sich tatsächlich jemand nach dem Gerede von Steuersenkungen Hoffnungen gemacht hat, dass er damit gemeint sein könnte, dürften diese Hoffnungen begraben sein. Ein neues Programm außer das Erfüllen von Spender-Interessen und das Senken von Steuern auf Pump aber hat die FDP nicht. Stattdessen schafft sie es, auf dem außenpolitischen Parkett, dass sie 2009 mit solcher Verve für sich reklamierte, eklatant zu versagen.
Da wäre zum einen die Libyen-Intervention. Die Enthaltung im Sicherheitsrat löste ein allgemeines Kopfschütteln aus, und nun hat Ströbele auch noch enttarnen können, dass deutsche Stabsoffiziere irgendwie doch involviert sind. Falls noch irgendjemand Zweifel an Westerwelles und der FDP Kompetenz in Fragen Außenpolitik hatte, kann er diese nun beiseite legen: es gibt keine. Überrollt wird die FDP aber auch von den Ereignissen der aktuellen Wirtschaftskrise (die auf eine Schuldenkrise zu verkürzen absolut fahrlässig wäre). Die Story von den effizienten Finanzmärkten ist von der Wirklichkeit so gründlich zerlegt worden, dass die FDP inzwischen völlig aus der Zeit gefallen wirkt. Immerhin lernt sie auch nicht daraus. Den zarten Ansatz von etwas kritischerer Sicht auf die Dinge, den Brüderle im Westerwelle'schen Machtvakuum durchzusetzen versucht hat, hat Rösler bereits zurückgedreht. Der ach so smarte FDP-Chef dreht die Zeit wieder voll auf den Oppositionskurs der FDP. Krise? Welche Krise?
Dabei gäbe es für die Liberalen derzeit auch so genug Probleme. Rings um sie herum knirscht und kracht es im Gebälk, und alles was ihr einfällt ist den Maastricht- und Lissabonvertrag zur Heiligen Kuh zu erklären und ein markiges "Euro-Bonds niemals!" in die Welt zu rufen. Einige der üblichen CDU-Querulanten, deren Zwischenrufe wohl als "Schärfung des konservativen Profils" gelten sollen, schließen sich dem an. Ein politischer Veteran wie Schäuble ist clever genug, einfach nur das Offensichtliche auszusprechen: das nach Stand der Dinge Eurobonds illegal sind. Das ist richtig. Und das ist sicher auch jedem bewusst. Nur, wen interessiert das? Niemand kann ernsthaft damit rechnen, dass Eurobonds in diesem oder auch den nächsten zwei Jahren eingeführt werden. Nur, wenn die Lage es erforderlich macht werden Verträge eben geändert bzw. neue Verträge geschlossen. Und dann ist das Problem gegessen, und die CDU kann sagen, dass sie stets nur rechtliche Bedenken hatte. Die FDP steht dann das nächste Mal mit einem realitätsfernen "Niemals!" da.
Für die Mövenpick-Fraktion ist das besonders ärgerlich, weil die SPD bereits mit generösen Angeboten zur Kooperation bei der Euro-Krise in den Startlöchern steht, wenn man nur ein paar kleine Forderungen erfüllte - die die FDP auch ablehnt. Wenn es also tatsächlich hart auf hart kommt, die Schutzschirme nicht mehr reichen und drastischere, weitreichendere maßnahmen ergriffen werden müssen, hat die FDP nur zwei Möglichkeiten: sie kann entweder, wieder einmal, umfallen und doch mitmachen. Oder sie kann den Koalitionsbruch in Kauf nehmen und ihre Rolle als Opposition auf der Regierungsbank konsequent zu Ende bringen. Beides dürfe ihr kaum signifikante Gewinne jenseits von 5% bescheren. Und das Beste ist: die Partei ist vollständig selbst schuld. Sie ist inzwischen vollkommen überflüssig, hat sich selbst vollkommen überflüssig gemacht.
Auf demselben Überflüssigkeitspfad befindet sich auch die LINKE. Wo sich die FDP noch immer in der Liberalisierungseuphorie der 90er und 2000er Jahre vor dem Finanzcrash wähnt, in der die Finanzmärkte hip waren und der Schlachtruf der Deregulierung den Eintritt in das neue Wirtschaftswunderland versprach, schlägt die LINKE gerade noch einmal die ideologischen Gefechte des Kalten Krieges. Voll alt-sozialistischen Vokabulars verfasst die Parteiführung ein Glückwunschschreiben an Fidel Castro, dessen Kuba ihm gerade unterm Hintern wegbricht, bewundert seine "kämpferische Vergangenheit" und spricht Glückwünsche für den ständigen Widerstand gegen die USA, den Todfeind aller Linken, aus. Vom Ton dieses Schreibens könnte man annehmen, dass Reagan gerade eine Rede über das Reich des Bösen gehalten hat; irgendetwas mit der aktuellen Realität zu tun jedenfalls hat das Ganze nicht.
Aber das macht nichts. Die andere Lieblingsbeschäftigung der LINKEn ist gerade das Relativieren des Mauerbaus und anderer Unappetittlichkeiten der DDR. Es rächt sich, zum wiederholten Male, dass nie eine Sprachregelung für den Umgang mit der DDR-Vergangenheit gesucht wurde. Ungeschickt rutschen die Funktionäre dafür von einem Fettnäpfchen ins nächste. Sitzen bleiben bei einer Gedenkminute für die Mauertoten? Die Mauer zur historischen Notwendigkeit erklären? Feststellen, dass nicht alles in der DDR schlecht war? Erklären, dass das Ziel die Überwindung des Systems sein soll? Gibt es eigentlich in dieser Partei irgendjemanden, der sich auf politische Kommunikation versteht? Ich weiß schon, was ihr eigentlich sagen wollt. Klar war die Mauer eine "historische Notwendigkeit" - aus Sicht der DDR zu ihrem eigenen Erhalt. Das bezweifelt auch keiner. Nur seid ihr im Landtag, nicht einem historischen Proseminar. Ist euch eigentlich klar, was die Symbolik eurer Handlungen ist?
Scheinbar nicht. Seit 2009 diskutiert man über die LINKE nur noch bezüglich des Lebensstils von Klaus Ernst, die Mauer, die DDR, noch einmal die Mauer, noch einmal die DDR, die "Systemfrage" (was auch immer das sein soll), noch mal Klaus Ernst, der neuste Ausrutscher von Gesine Lötzsch und dazwischen das Gerücht, dass Oskar Lafontaine eine Intrige im saarländischen Landtag zum Bruch der dortigen Jamaika-Koalition gesponnen hat, die fehlschlug. Und man kann beim besten Willen nicht die bösen Medien dafür verantwortlich machen. Man kann natürlich wie die NachDenkSeiten ein Glückwunschschreiben Merkels an Vietnam zur Wiederwahl des dortigen Präsidenten zitieren. Nur: Merkel ist Bundeskanzlerin, und solche Glückwünsche diplomatische Etikette. Niemand in der CDU würde auf die vertrottelte Idee kommen, ein Glückwunschschreiben an Vietnam aufzusetzen, während man nicht an der Regierung ist. Oder für irgendeine andere nicht hasenreine Nation (und bitte, kommt mir jetzt nicht mit den USA oder Großbritannien).
Seit zwei Jahren steht die LINKE für nichts mehr. Antworten auf die aktuelle Krise hat sie genausowenig wie die FDP. Ein unbestimmter Systemwechsel wird gefordert. Wie der aussehen soll oder wie man den umsetzen will, dazu schweigt man wohlweislich. Ein Ausstieg Deutschlands aus NATO, EU und Euro vielleicht? Einfach mal so, unilateral? Und am besten auch aus WTO, GATT und UNO, wo wir gerade dabei sind? Zutrauen würde man es ihr jederzeit. Dazwischen reiht die Partei PR-Desaster an PR-Desaster und ist gründlich in der Vergangenheit stecken geblieben. Der Karren der LINKEn steckt genausotief im Dreck wie der der FDP, nur haben die Leute sie noch nicht so satt, und gibt es deutlich mehr geschworene Feinde der SPD auf Seiten der Wählerschaft der LINKEn als für die CDU auf Seiten der FDP. Die Konsequenz ist die zunehmende Bedeutungslosigkeit beider Parteien. Sie kommt verdient, für beide. Wer solche Freunde hat, der braucht keine Feinde.
Links: SpOnFAZZeitZeit

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