Reifeprozesse

Es fing mit den Mandarinen an. “Neulich kam er schon wieder zu spät”, sagte die junge Kindergärtnerin ganz besorgt am Telefon, “und wissen Sie, was er gemacht hat? Er hat mit Mandarinen jongliert. Und hat einfach nicht gemerkt, dass er reinkommen muss.” In der Stimme der Kindergärtnerin schwang jetzt Empörung mit und ich wusste, dass ich ein Problem hatte, auch wenn es in meinen Augen nicht sonderlich schlimm ist, wenn ein Fünfjähriger sich auf dem Kindergartenweg im Spiel vergisst. Wir zwei, der FeuerwehrRitterRömerPirat und ich, mussten also zu unserem ersten Gespräch antraben. 

Im zweiten Gespräch ging es um die Finken, die der Junge herumgeschmissen hatte. Ein schweres Vergehen in den Augen der Kindergärtnerin, ein physikalischer Versuch in den Augen unseres Sohnes, der nur wissen wollte, ob die Hausschuhe in der Luft bleiben, wenn man sie fliegen lässt. 

Im dritten Gespräch – das war dann schon in der Schule – ging es darum, dass unser Sohn die Zusammenarbeit verweigert, wenn ihm etwas nicht passt. “Er starrt dann stur geradeaus und bringt kein Wort mehr über die Lippen”, sagte die Lehrerin, mit ihrem Latein offensichtlich bereits am Ende, weil sie “so etwas noch nie erlebt” hatte. Nun, für “Meinen” und mich war das nichts Neues, so hatte sich der FeuerwehrRitterRömerPirat schon immer verhalten, wenn ihm etwas nicht passte. Auch wir waren zuweilen mit unserem Latein am Ende, aber wir wussten, dass er schon mitmacht, wenn er bereit ist dazu. Und wenn er mal bereit ist, dann macht er sogar richtig gut mit. “Das wird schon mit der Zeit”, sagten “Meiner” und ich nach jedem Gespräch. 

Aber es wollte einfach nicht werden. Die ersten zwei Jahre verwunderte uns das nicht sonderlich, denn die Lehrerinnen und er hatten das Heu eindeutig nicht auf der gleichen Bühne. Im dritten Jahr aber verstanden auch wir die Welt nicht mehr, denn er mag seine Lehrerin wirklich und sie zeigte sich auch immer und immer wieder bereit, ihn zu verstehen. Noch mehr Elterngespräche, Überprüfen des Hausaufgabenheftes, Tests bei der Schulpsychologin, Analysen und Fragebogen – alles ziemlich wirkungslos. Zum Ende des Schuljahres bekamen wir eine lange Liste präsentiert auf der all die Tage aufgeführt waren, an denen der FeuerwehrRitterRömerPirat zu spät gekommen war oder an denen er die Hausaufgaben nicht gemacht oder zu Hause vergessen hatte. Es war eine sehr lange Liste und offen gestanden sank mir an dem Tag das Herz in die Hose, obschon die Lehrerin uns mehrmals vorgewarnt hatte. Würde das denn nie bessern? Natürlich wusste ich noch immer, dass das Kind etwas drauf hat und das er kann, wenn er will. Aber würde er jemals wollen?

Seit Beginn des neuen Schuljahrs ist auf einmal alles anders. Keine Ermahnungen mehr am Morgen, jeden Tag rechtzeitig aus dem Haus, freiwillig sagt er uns, welche Hausaufgaben er hat, ja, er lässt gar mit sich verhandeln, wann diese gemacht werden müssen. Nein, er ist nicht wie ausgewechselt, er ist noch immer in der Lage, seinem kleinen Bruder wegen nichts eins überzubraten, aber er zeigt jetzt im Schulalltag plötzlich den FeuerwehrRitterRömerPiraten, den wir von anderen Situationen kennen, Situationen, in denen er äusserst motiviert war.

Noch wage ich nicht, ein Jubelgeschrei anzustimmen. Zu oft haben wir in den vergangenen Jahren in der Schule antraben müssen, weil sich doch nichts geändert hatte. Dennoch glaube ich, dass es diesmal anders ist, denn diesmal sind nicht wir, die stupsen und ermahnen, sondern der FeuerwehrRitterRömerPirat der zeigen will, dass er es kann. Wenn das so weitergeht, kann ich wieder glauben, was ich schon immer für richtig gehalten hatte: Wenn er reif dazu ist, wird er es auch machen.

Zu dumm, dass unser Schulsystem keinen Raum lässt für solche Reifeprozesse. 

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