Fragen wir heute, womit der 31. Oktober in Verbindung gebracht wird, so landen wir nicht selten bei einem verspäteten „Weltspartag“, einem verfrühten „Allerheiligen“ oder einem „kultigen Halloween“. Der Reformationstag, ein Tag der Dankbarkeit und der Freude – nicht nur für die Protestanten –, ist in Vergessenheit geraten. Man mag sich fragen, woran es liegt. Ist es der starke Drang der Bürger, sich lieber mit „Süßem und Saurem“ abzugeben? Basteln wir lieber an Kürbissen und klingeln beim Nachbarn an der Tür, statt in einer gewissen Ehrfurcht vor das zu treten, was Luther und die vielen anderen Gläubigen, die von einem Umbruch in einer Einheitslandschaft der Kirche waren, auf den Weg gebracht haben – mit Mut und Durchhaltevermögen? Oder ist es wie bei vielen anderen Feiertagen auch das reine Unwissen darüber, dass der 31. Oktober ein geschichtsträchtiger Tag in unserer Vergangenheit ist?
Wahrscheinlich kommen viele Gründe zusammen – und doch merken wir in den letzten Jahren zunehmend, dass auch junge Zweifler wieder entdecken, dass man aus dem Reformationstag „doch etwas machen kann“. Viele Ideen für Projekte, Gottesdienste an unterschiedlichen Orten, Aktionen, um die Aufmerksamkeit derjenigen zu wecken, die noch immer im Schlaf der Gleichgültigkeit über das, was wirklich einen Wendepunkt in unserer Gesellschaft darstellt, verweilen. Und nicht nur das: Der Reformationstag kommt aus seiner pauschalen Bewertung und Kommentierung heraus, die ihm über viele Jahrzehnte immer wieder teils langweilend und wenig „reformatorisch“ zugebilligt wurde. Als Tag, an dem Katholiken und Protestanten über den Wert der Unterschiedlichkeit nachdenken, als Tag, von dem Reformen in die Moderne ausgehen können, wird er heute nicht mehr nur allein gesehen.
Zweifelsohne: Der Reformationstag ist der Tag, an dem sich etwas bewegt. Er zeigt auf, dass Dynamik Veränderung bringt. Dass das Einstehen für Neues sich lohnt. Doch ist gerade mit der Begrifflichkeit der „Reform“ heute eine allzu einseitige Auslegung verbunden. Reform – das kennen wir politisch, als auch gesellschaftlich häufig als die vereinnahmte Umschreibung derer, die für einen Fortschritt einstehen. Einen Fortschritt, der heute nur noch eine Richtung zu kennen scheint: Nicht selten von (gemeinhin durch „linke“ Ansichten beschriebenen) Vertretern „gepachtete“ Aufrufe, die Gesellschaft „liberaler“, „toleranter“ und „offener“ zu gestalten, sind Reformen heute meist als der Aufbruch zu Neuem, Gewagtem und „schon längst Notwendigem“ zu verstehen. Bürgerrechts- und Menschenrechtsinitiativen, Globalisierungsgegner als auch Politiker aus dem Gesundheits-, Finanz-, Sozial- oder Wirtschaftsbereich sind heute scheinbare „Eigentümer“ der „Reform(en)“.
Doch ist nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem Reform – und damit auch Reformation und ihr entsprechender Gedenktag – als Start in die Rückbesinnung gesehen werden kann? Der Reformationstag als Tag des Bekenntnisses – der Tag zum Aufbruch in ein schamloses Einstehen dafür, dass Tradition, Bewährtes und Unverfälschtes unsere Gesellschaft mindestens genauso bereichern wie all das Bestreben, unseren Alltag noch besser, noch spektakulärer, noch „abgefahrener“ zu gestalten.
Der Reformationstag als der Augenblick, an dem man klare Linie bezieht. Die Reform wagen, wieder mit einem klaren „Nein“ zur Präimplantationsdiagnostik zu stehen. Die Reform wagen, sich nicht mit der Ansicht zu verstecken, dass Abtreibung nicht einfach so „nebenbei“ den „Fehler“ des letzten Seitensprungs ausradiert. Die Reform wagen, selbstverständlich hinterfragen zu dürfen, ob statt „Multi-Kulti“ nicht eher die behutsame Integration das Mittel für eine ordentliche demografische und volkswirtschaftlich sinnvolle Entwicklung unseres Landes – und damit unserer Zukunft – gelten kann.
Nutzen wir den Reformationstag für Reformen, die keiner erwartet – und die dennoch einen Aufbruch ermöglichen. Einen Aufbruch, der sich so manchem Zeitgeist in den Weg stellt.
Dennis Riehle