Recht, Gesetz und Herrschaft

Dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei Dinge sind, ist für die meisten, die schon einmal mit dem deutschen Justizsystem Bekanntschaft machen mussten, nichts Neues. Der Rechtsstaat ist allerdings auch gar nicht dazu da, es jedem recht zu machen – im Gegenteil, das ganze Rechtssystem ist notwendig, weil es in der Welt und auch in diesem unserem Lande prinzipiell ungerecht zugeht. Wobei das ja auch mit der Gerechtigkeit wieder so eine Sache ist. Es ist nämlich keineswegs so, dass alles gut wäre, wenn es nur ein bisschen gerechter in der Welt zuginge. Genau das aber wird den Bürgern mit der Installation eines Rechtssystems ja eingeredet: Dass alles mit rechten Dingen zuginge. Denn es gibt ja Gesetze, an die sich ein jeder zu halten hat, und wer dagegen verstößt, bekommt seine gerechte Strafe – ohne Ansehen der Person, wie es so schön heißt.

Dabei ist Justizia keineswegs blind: Wird ein armer Wicht erwischt, der einen Schinken oder eine Tafel Schokolade geklaut hat, dann kann das, sofern das schon öfter vorgekommen ist, eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Schleust ein prominenter Steuerhinterzieher wie Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel Millionen am Finanzamt vorbei, dann gibt das zwei Jahre auf Bewährung – ja, und eine saftige Geldstrafe, die dem Konto von Herrn Zumwinkel vermutlich zuzumuten ist. Das Beispiel mit den Linken, die gern hart rangenommen werden, während man die Rechten dummerweise nicht einsperren kann, weil sie alle V-Leute sind, hatten wir gestern schon.

Die Staatsmacht im Einsatz.

Die Staatsmacht im Einsatz.

Trotzdem ist das eigentliche Problem ein sehr viel prinzipielleres: Das ganze Rechtssystem, selbst wenn es halbwegs nachvollziehbar funktioniert, wird überhaupt erst notwendig, weil von vorn herein klar ist, dass Menschen mit den herrschenden Regeln in Konflikt kommen müssen. Und zwar nicht, weil Menschen den angeborenen Drang haben, einander an die Gurgel zu gehen und sich immer alles gegenseitig wegzunehmen. Das wird zwar immer mal wieder behauptet, ist aber Unsinn. Sondern weil die Welt so eingerichtet ist, dass jeder halt sehen muss, wo er bleibt. Glück und Wohlstand für alle Menschen sind im herrschenden System nicht vorgesehen. Im Gegenteil, es wird alles dafür getan, dass die Mehrheit der Menschen nicht zufrieden ihr Leben genießen können – genau das ist ja der Ansporn, sich den ganzen Tag abzurackern, um am Ende doch von allem nicht genug zu haben, weil die Früchte ihrer Arbeit jemand anders einsteckt.

Der ständige Druck und die Unzufriedenheit mit den Zuständen, die man aufgrund der herrschenden Ideologie, dass jeder seines Glückes Schmied sei, als persönliches Pech begreift, obwohl sie doch systembedingt so sein müssen, haben natürlich Auswirkungen. Wenn man sich einmal ansieht, warum Menschen umgebracht werden, zeigt sich, dass es relativ wenige “Standardsituationen” gibt: Mord aus Eifersucht, Mord aus Habgier und Mord um andere Verbrechen zu verdecken. Genau genommen ist Eifersucht auch eine Form von Habgier – es geht also fast immer um Besitz. In einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen, von den Dingen, die sie zum Leben brauchen, durch die Institution des Privateigentums systematisch ausgeschlossen werden, ist das Haben-müssen ein echtes Problem: Der Normalo, der nicht als reicher Erbe auf die Welt kommt, ist gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt irgendwie anders zu verschaffen. Die meisten Menschen bemühen sich mit ehrlicher Arbeit, ihren Lebensunterhalt zu erlangen, was durchaus mühsam ist. Arbeit kostet in der Regel viel Lebenszeit, ist oft furchtbar öde und bringt dann auch noch wenig ein.

Pfiffigere Zeitgenossen sparen sich die ganze Mühe und zocken einfach ihre Mitmenschen ab, die so blöd sind, ihre Lebenszeit mit ehrlicher Arbeit zu verschwenden. Hier gibt es viele Möglichkeiten, von der Anlageberatung über Bankraub, Einbruch, Drogen- und Menschenhandel, Schutzgeld- und überhaupt Erpressung, bis hin zur Gründung eines x-beliebigen Unternehmens, mit dem man seine Angestellten ausbeuten kann. Es gibt also sehr lukrative Geschäftsmodelle – deshalb ist der Staat gefordert, jeweils einen Riegel vorzuschieben, damit es nicht zu arg wird: Den Leuten Verträge für die Riesterrente ausschwatzen ist okay, mit der Knarre in die Bank spazieren, eindeutig nicht. Leute schäbigste Löhne zu bezahlen ist okay, aber nur, wenn es sich um ordentlich gemeldete Staatsbürger handelt. Illegale schwarz zu beschäftigen geht gar nicht, denn das schadet dem Standort.

Wie man es auch dreht und wendet, es geht niemals um die Menschen, sondern immer nur darum, das System aufrecht zu erhalten. Man muss halt eine relevante Anzahl von Menschen motivieren, die nötige Drecksarbeit zu machen, um einen Staat inklusive Wirtschaftssystem und Justizapparat überhaupt am Laufen zu halten. Und genau dafür werden die Regeln gemacht, an die sich jeder zu halten hat. Sie ändern zwar nichts daran, dass wenige Leute viel besitzen und dass viele täglich um ihr Überleben kämpfen müssen. Das Rechtssystem organisiert lediglich die aus diesen Verhältnissen notwendigerweise entstehenden Konflikte – es bestraft Bankräuber und Steuerhinterzieher, Falschparker und Ladendiebe. Auch wer von den Behörden um den kläglichen Hartz-IV-Satz betrogen wird, kann beim Sozialgericht klagen. Und dort bekommen viele sogar Recht – aber längst noch nicht genug zum Leben. Trotzdem ist dem Recht genüge getan.

Das Gewaltmonopol des Staates

Dass unser Rechtssystem Gewalt nicht abschafft, sondern ausübt, wird vielen erst klar, wenn die geballte Staatsmacht auffahren muss, um geltendes Recht durchzusetzen. Ob das nun Auseinandersetzungen um Castortransporte, Stuttgart 21 oder besetze Häuser sind, Zwangsräumungen, wenn ganz normale Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können, Abschiebungen, wenn Nichtdeutsche gewaltsam in ihre Herkunftsländer verfrachtet werden oder auch mal eine Steuerprüfung – es soll keiner glauben, dass er hier machen könne, was er wollte. Der Arm des Gesetzes schlägt vielleicht mal mehr oder mal weniger hart zu – aber zuschlagen tut er.

Insofern ist das Rechtssystem, selbst wenn es ordentlich funktionieren würde, keine feine Sache. Denn es dient vor allem dazu, das herrschende System aufrecht zu erhalten. Insofern herrscht niemals das Recht; es ist nur ein Mittel, um die Gewalt des Staates aufrecht zu erhalten. Tatsache ist, dass das geltende Recht die Gewalt einzelner einschränkt – es gibt hierzulande keinen Diktator mehr, der tun und lassen kann, was er will, auch marodierende Raubritter, die den Bauern den Hof anstecken, wenn sie den Frondienst verweigern, sind mittlerweile eher selten. Natürlich gibt es noch eine Menge Ausbeuter, die sich als Menschenfreunde darstellen, weil sie als Unternehmer miserabel bezahlte Arbeitsplätze schaffen, aber die tun das im Rahmen der geltenden Gesetze – und sie zwingen niemanden, sich für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen. Das besorgt die Staatsmacht, in dem sie das Privateigentum (der Besitzenden) per Gesetz schützt und die Hartz-IV-Keule schwingt. Der einzelne Bürger kann ohnehin niemals machen, was er will. Die allermeisten arrangieren sich damit – man kann sich ja auch arrangieren, das ist ja der große Vorteil in einem System, in dem allgemeinverbindliche Regeln herrschen. Jeder Mensch weiß, was erlaubt und verboten ist, und sollte man mal nicht ganz sicher sein, gibt es garantiert einen, der es einem schon beibringt. Aber ist das wirklich dermaßen erstrebenswert?

Ließen sich die Konflikte, die sich im täglichen Leben ergeben, nicht viel angenehmer und nachhaltiger für die Menschen lösen, als mit der Installation eines Rechtssystems, das am Ende doch nur der Erhaltung dieser konfliktreichen Zustände dient? Die allermeisten Verbrechen verschwänden ganz von selbst, wenn die Menschen genug zum Leben hätten – niemand müsste abgelaufene Kekse aus einer privaten Mülltonne klauen, Kinder an Zuhälter verkaufen, die Welt mit überflüssigen Kram vollrümpeln und die Umwelt vergiften. Und ich bin mir auch sicher, dass es auch um die Luxusdinge sehr viel weniger Stress gäbe, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, die ein entspannteres Verhältnis zum Eigentum hätte. Wenn jeder einen Maserati haben könnte, ist es viel weniger interessant einen zu besitzen. Vermutlich wollen die allermeisten Menschen ohnehin keinen, wenn es genügend andere Möglichkeiten gäbe, um von A nach B zu kommen.

Und der andere große Bereich, die Eifersucht? Auch hier sind viele Gründe im System zu suchen: In einer Gesellschaft, in der erwartet wird, dass sich die Menschen nicht nur lieben, sondern sich auf Gedeih und Verderb aneinander ketten – die Ehe ist noch immer eine private Wirtschaftsgemeinschaft und wird als solche subventioniert – ist es kein Wunder, dass sich die Erwartungen aneinander ins Unermessliche steigern. Denn auch Liebe wird in diesem System zum Geschäft: Man investiert Emotionen und Zeit, ja, und durchaus auch Geld, da kann man doch schließlich erwarten, dass der Partner oder die Partnerin ihren Teil auch erfüllt. Dazu kommt, dass von der Liebe, von der Beziehung erwartet wird, dass sie einen glücklich macht – denn das Leben ist ja hart und stressig genug, da kann man ja wohl davon ausgehen, dass wenigstens zuhause alles gut ist. Wenn er oder sie dann aber mit einer oder einem anderen rummachen, kommt der Ausraster schnell. Interessant auch, dass sich die Leute ausgerechnet an den Menschen vergreifen, die sie doch angeblich lieben. Es kommt vergleichsweise selten vor, dass jemand seinen Chef verprügelt oder umbringt – auch wenn der es am Ende viel eher verdient hätte.

In einer Gesellschaft, in der sich jeder und jede darauf verlassen könnte, ein sicheres Auskommen zu haben, könnte auch Liebe und Partnerschaft sehr viel entspannter betrachtet werden. Es ist ja aktuell durchaus so, dass Menschen, die sich lieben, nicht zusammen ziehen und keine Familie gründen, weil sie etwa durch die Hartz-IV-Gesetze gezwungen würden, den jeweils mittellosen Partner durchzufüttern, sofern sie selbst mehr als das Existenzminimum verdienen. Und viele Paare, die geglaubt haben, dass ihre Liebe stark genug sei, um derartige Belastungen auszuhalten, stellen später fest, dass sie sich geirrt haben, siehe oben. Liebe ist eine schöne Sache, aber eben kein Ersatz für eine vernünftige materielle Lebensgrundlage, die den Menschen systematisch vorenthalten wird.

Die Tatsache, dass in diesem Lande auch Liebe und Partnerschaft gesetzlich geregelt werden (müssen), ist ein beschämender Beweis dafür, dass den Menschen auch in dieser Beziehung systematisch Unrecht getan wird, denn sonst wäre das alles gar nicht nötig! Man sollte ja annehmen, dass sich die Menschen, die sich lieben, schon umeinander kümmern werden, genau wie um ihre Kinder. Weil aber die materielle Grundlage fehlt, auf der man das einfach tun könnte, schreibt der Staat vor, wer sich in welchem Maße um wen zu kümmern hat – insbesondere, wenn es mit der Liebe vorbei ist. Auch hier wird wieder deutlich, dass Gesetze nur dazu da sind, notwendig auftretende Konflikte zu regeln, anstatt prinzipielle Probleme zu lösen.



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