Was wissen wir schon über das Leben in Saudi-Arabien? Nichts. Fast nichts. Außer, dass dort gern gesehene Käufer moderner Panzer wohnen; dass es dort Frauen eher erlaubt wird, zu verbrennen als Auto zu fahren. Doch wie die Menschen dort leben; das wissen wir selten.
Die Girls von Riad – Cover
Das Buch von Rajaa Alesanea kann dem abhelfen. Beschreibt es doch den normalen Wahnsinn eines Lebens unter der Scharia und wie junge Menschen damit umgehen.
Es ist dies ein Buch voller verratener Liebe, Enttäuschungen, schwachen Menschen; Männern wie Frauen.
Eine Unbekannte berichtet via Mails, die sie an jeden Freitag verschickt, über das Leben von vier Freundinnen: Kamra, Sadim, Lamis und Michelle. (Diese Mailingliste existiert noch heute; ist allerdings inzwischen mit Müll verstopft.)
Die vier jungen Mädchen zwischen Schulabgang und Studium können verschiedener kaum sein. Und doch vereint sie eines: die Sehnsucht nach Liebe, Nähe, Zärtlichkeit. Doch unter den Augen einer Gesellschaft, die Sexualität nicht toleriert – es sei denn, in der Ehe und auch dort eher versteckt – in der junge Menschen nicht einfach nur junge Menschen sein dürfen… in einer Gesellschaft unter der Scharia ist es nicht möglich, sein eigenes Leben zu leben. Sondern das, das andere, vorrangig die Eltern, für einen auswählten. Und so wundert es wenig, dass selbst die sehnsüchtig herbeigesehnte Hochzeit nicht die Erfüllung der Träume sein kann. Sondern der Beginn einer tiefen Enttäuschung.
Wo die Frauen in dem Buch stark sind und versuchen, eigene Wege zu finden und zu gehen, enttäuschen die Männer immer und immer wieder. Sie bekennen sich selten zu denen, die sie lieben – oder wenn, dann zum Schaden derer, mit denen sie verheiratet werden ohne es zu wollen. Das jetzt genauer auszuführen würde bedeuten, dass ich die Geschichten aus dem Buch nacherzählen müsste… lest also selbst!
Die anonyme Autorin der Mails berichtet (in eben den Mails) auch immer wieder davon, dass sie starken Zuspruch und abgrundtiefen Hass erlebte, seit sie mit dem Veröffentlichen der Mails begann. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Rajaa Alsanea die Verfasserin der Mails war. Es spricht einiges dafür. Allerdings auch einiges dafür, dass es sich um einen Kunstgriff der Autorin handelte, um das Buch veröffentlichen zu können. Aber letztlich spielt das keine Rolle. Denn “Die Girls von Riad” sind in der arabischen Welt eingeschlagen wie eine Bombe. Laut Klappentext ist das Buch inzwischen sogar in Saudi-Arabien erschienen. Nachdem es – so steht zu vermuten – über den Libanon in Massen gedruckt, das Land erschütterte.
Ich wünsche mir, dass Sie … zu sich selbst sagen: … das ist eine sehr konservative Gesellschaft. Die Frauen leben dort unter der Herrschaft der Männer. Aber sie sind voller Hoffnungen, Pläne, Ziele und Träume… Und hoffentlich sehen Sie auch, dass einige der Frauen damit beginnen, sich Schritt für Schritt ihren eigenen Weg zu suchen… (aus dem Vorwort der Autorin)
Ich kann für mich sagen, dass das Buch genau das erreicht hat. Das Buch ist von der ganzen Art und Anlage her nicht vergleichbar mit Nafisis “Lolita lesen in Teheran” – es ist aber trotzdem genau wie jenes dazu geeignet, einen Blick hinter den Schleier zu werfen.
Nic
Rajaa Alsanea - Die Girls von Riad, TB, 1. Auflage 2008, Goldmann, ISBN 978-3-442-46656-6, Euro 8,95