Wüterig. Wüterig ist ein Wort, das mein Opi geprägt hat. Er benutzt es gern im Zusammenhang mit Gartenarbeit. Wenn er von seinem Tag berichtet und eigentlich ja nur dies und das machen wollte. Dann aber von jetzt auf gleich doch durch irgendeine Sache wüterig wurde und direkt noch das Beet Kartoffeln mitbestellt hat. So ähnlich erging es mir die Tage bei meiner vierstündigen Radtour quer über die Insel Fuerteventura. Nur das ich irgendwie keine Wahl hatte, denn mitten im Land umzukehren oder abzubrechen macht nur wenig Sinn.
Angekommen auf der Insel, Rad wieder zu einem Stück zusammengebastelt, Temperatur-, Wellen- und Strömungs-Check im Atlantik beim ersten Freiwasserschwimmen in diesem Jahr und Equipment-Station im Hotelzimmer aufgebaut. Innerhalb der ersten drei Tage auf der Insel ist das Wichtigste erledigt, inklusive kurzem Besuch des Surf-Spots La Pared, um Ebbe und Flut einschätzen zu können.
Bevor es aber entspannend werden sollte, wollte ich natürlich auch die Radbedingungen abklären. Der turbulente Landeanflug auf die Insel ließ schon nichts Gutes verhoffen. Bei der ersten Ausfahrt hatte ich aber einen entscheidenden Vorteil. Die Wahl meiner Strecke fiel natürlich auf eine kürzere Distanz, um den Muskeln zu erklären, dass am nächsten Tag um die vier Stunden auf dem Programm stehen.
Zwischen Mittagssnack und Strandnachmittag ging es raus ins Dickicht von Wolken und ab in eine ordentlich frische Brise. Gegenwind, einige Hügel dann und wann, Gegenwind und schon war die Runde vorbei. Alles locker, alles gut.
Wenn man am Morgen danach aufwacht, als wäre nichts gewesen und die Sonne am hellblauen Himmel langsam aufgeht, sind die Bedingungen für die Streckenbesichtigung der nahenden Challenge Fuerteventura bestens.
Auch wenn mein Trainingsplan so eine ganz lange Runde nicht mehr vorsieht, möchte ich auf Nummer sicher gehen. Also locker und rund die vorprogrammierte Route auf dem Edge nachfahren. Mawaii Sonnencreme an jedem noch so kleinen Fleckchen Haut verteilt und ab auf’s Rad.
Mit locker war es aber nach sechs Kilometern schon vorbei. Von da an ging es fast eine Stunde nur immer bergan. Die Sonne zog höher und höher und mit dem ersten Plateau kurz vor dem Gipfel war eigentlich eine kurze Pause angesetzt. Stattdessen weigerte ich mich aber abzusteigen, riss den Reißer des Trikots auf und strampelte wüterig nach oben. Meine Übersetzung reichte gerade so. Immer Kette links. Würde es weiter nach Links gehen, ich hätte jeden einzelnen Kranz dankend angenommen. Der Anfall war mit der böigen Abfahrt schnell vergessen. Meine Bremsbelege drohten mit dem Carbon meiner Felgen zu verschmelzen. Zum Glück ging es dann noch ein weiteres Mal bergan und die langgezogene Abfahrt habe ich freudig erwartet, wenn gleich der Wind mein Vorderrad immer wieder ordentlich zum Wackeln brachte.
In Pajara angekommen, endlich. Zwei Stunden vorbei, aber das war Nebensache! Der Esel in der Dorfmitte war eine willkommene Abwechslung, um den wackligen Beinen und Armen ein wenig Trost und Kraft zu spenden.
Der nächste Berg geradezu zu ein kleiner Witz. Erdmännchen und rasende Kaninchen sorgten für Erheiterung.
Wieder eine rasante Abfahrt bevor es zum alles entscheidenden Finale kommen sollte. Die langgezogene Straße auf dem Wall oberhalb der Felder mitten im Land war ebenso windanfällig wie die Küstenstraßen. Wo man auch fährt – Wind, Steppe, Wind, Hitze, Wind, gleißende Sonne, flimmernde Straßen. Gut, dass mein Oberteil knallrot ist. So erscheine ich etwas blasser und nicht der Ohnmacht nahe. Bevor ich aber abbiege, um die letzte Anhöhe zu nehmen, muss ich Sündigen!
Ich brauche dringend Wasser. Fülle alle Flaschen auf und nehme noch einen halben Liter Pepsi dazu. Zucker. Seit Ewigkeiten echter Zucker. Mein Körper weiß nicht, ob er vor Erschöpfung oder durch Zuckerschock vom Rad kippen soll. Etwas erfrischt, fahre ich wieder ein Stück zurück zur eigentlichen Strecke und rase der langen vorletzten Steigung entgegen. Eine halbe Stunde tobe ich, fauche, brabble vor mich hin. Mein Edge zeigt 32 Grad an. Sorgt nicht gerade für Besserung der Laune.
Wüterig. In diesem Moment fällt mir mein Opa und dieses Wort ein. Ich sehe ihn mit einem Spaten verschwommen durch die Hitze auf dem Feld. Ich strample. Ich steige ab, ich fluche. Das muss doch wohl ein Witz sein! Ich fahre weiter. Das muss ein Scherz sein! Aber lieber jetzt etwas Kraft lassen und dafür beim Rennen exakt wissen, wann ich essen, trinken, bremsen, Gas geben muss.
Danach hieß es nur noch einige Hügel bis nach La Pared nehmen, wo mich endlich wieder kühlere Meeresluft erwartet. Die Abfahrt kurz nach diesem kleinen Ort ist die heiß erwartete Belohnung für knapp vier Stunden Ausfahrt durch die Vormittagssonne und Mittagsglut. Langgezogen, ab und an ummantelt von Felsen, seichte Kurven, flimmernder Asphalt, Eidechsen am Wegesrand. Es geht bis nach Costa Calma hinab. Mein Puls und meine Temperatur regulieren sich. Meine Kraft kehrt zurück.
Meine anvisierte Zeit am Wochenende für die Radstrecke bei der momentanen Witterung wird knapp vier Stunden betragen. Ich weiß, was kommt und freue mich trotz alledem!