Qualitätszeitungen kann man nicht essen

Erstaunlicherweise wurde mein Artikel über das Zeitungssterben viel mehr gelesen als der über Foodsharing – als ob die Leute jeden Tag eine Qualitätszeitung frühstücken würden und bald an Vitaminmangel sterben müssten, wenn es nur noch BILD oder die Welt gibt. Dabei ist es doch genauso schlimm, dass man mit minderwertigen Lebensmitteln aus einer lebensverachtenden Massenproduktion abgespeist wird – inzwischen hat der Kapitalismus ja nicht nur das Bier, sondern selbst Adventskalender ungenießbar gemacht, in deren Schokoladenfiguren Mineralölreste zu finden sind – angeblich vom mineralölverseuchten Recyclingpapier, in dem sie offenbar ohne schützende Plastik- oder Stanniolhülle gelagert wurden.

Meine Kritik am Foodsharing richtet sich übrigens überhaupt nicht gegen einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln an sich – im Gegenteil, der kann eigentlich gar nicht bewusst genug sein, denn man muss das Zeug ja jeden Tag essen – sondern gegen die Naivität, man könne ein bestimmtes Segment der Produktion ideell so aufwerten, dass es nicht mehr kapitalistischen Gesetzen unterworfen sei. Das geht halt nicht. Zumindest nicht, wenn man die kapitalistische Produktionsweise im Prinzip beibehalten will.

Auch das Zeitungswesen, ja der so genannte Qualitätsjournalismus ist ein solches Marktsegment, in dem zumindest der mündige Bildungsbürger aufheult, wenn dort die sonst überall ganz selbstverständlich herrschenden Gesetze des Marktes exekutiert werden. Und die werden derzeit ziemlich spürbar durchgesetzt, deshalb verschwinden immer mehr Qualitätsblätter vom Markt, während es den bunten Magazinen aus den Häusern Burda und Springer ziemlich gut zu gehen scheint. Das Geld geht nämlich dorthin, wo die meiste Werbung geschaltet wird, und nicht unbedingt dorthin, wo die besten, kritischsten und engagiertesten Journalisten tätig sind.

Auch der Zeitungsmarkt, und natürlich auch der Markt mit Onlinemedien, sind in erster Linie Märkte und eben keine fortwährenden Meisterschaftsbewerbe tätiger Idealisten noch Bildungseinrichtungen, wie fälschlicherweise auch immer wieder angenommen wird. Ganz ehrlich: Wer will denn für einen nur halb so dicken, aber dafür werbefreien Spiegel 15 Euro auf den Tisch legen? Es waren ja nichtmal genug Leute bereit, für eine weitgehend werbefreie FTD 2,50 Euro zu bezahlen, obwohl die anvisierte Zielgruppe bestimmt locker in der Lage wäre, diesen Obolus springen zu lassen. Ich weiß jetzt nicht, was die FR gekostet hat, aber ihr Schwesterblatt, die Berliner Zeitung, ist für einen Euro pro Printausgabe zu haben. Natürlich braucht es da schon einen ordentlichen Werbeanteil, denn von einem Euro pro Zeitung kann man kein Qualitätsblatt auf die Beine stellen, obwohl die Berliner Zeitung sich durchaus Mühe gibt, eins zu sein.

Ganz nebenbei: Es liegt eben nicht nur an den undankbaren Lesern, es liegt auch an der Werbeindustrie. Die Krise der Printmedien ist eine Krise der Printwerbung. Die ist einfach nicht mehr sexy. Marken sponsoren jetzt lieber Events, über die dann im Internet berichtet wird – und zwar nicht in der Online-Ausgabe von FTD oder Spiegel, sondern auf Facebook, Twitter und auf ganz vielen privaten oder nicht ganz so privaten Blogseiten, auf denen das Event viral wird – und das Geniale daran ist, für diese Art der Verbreitung muss dann gar nicht mehr bezahlt werden! Und wenn das ganze Internet darüber spricht, dann kommen irgendwann auch die konventionellen Medien aus dem Knick und machen mal einen Beitrag zur besten Sendezeit.

Und das alles für lau! Okay, vielleicht wird noch ein Pool von Auftragsbloggern mit einem Taschengeld versorgt, der was auch immer möglichst positiv oder besser pseudokritisch in ein paar einschlägigen Foren ins Gespräch bringt, aber wenn das Red-Bull- oder Nokia- oder Was-auch-immer-Event oder dann in der Zielgruppe erst mal im Gespräch ist, muss man nur noch aufpassen, dass es nicht allzu viele negative Kommentare gibt.

Auf der einen Seite kann man natürlich aufatmen, weil man sich nicht mehr so viel gedruckten Scheiß ansehen muss, auf der anderen Seite geht das bisherige Konzept viele Zeitungen und Magazine nicht mehr auf. Wie schwer es nahezu werbefreie Zeitungen haben, kann man beispielsweise an der jungen Welt sehen – sie muss zwar nicht irgendwelchen Werbekunden in den Arsch kriechen, dafür muss sie aber von den Verkaufserlösen leben, die man ja auch nicht unendlich nach oben treiben kann, gerade wenn man eine eher idealistische, aber dafür nicht sehr zahlungskräftige Zielgruppe hat.

Um den Bogen zum Anfang zurück zu schlagen: Wer Qualitätsmedien will, sollte jetzt nicht verlangen, dass die Werbetreibenden gefälligst wieder mehr Werbung schalten sollen, damit die Verlage genug verdienen, ihren Journalisten ordentlich Geld für richtig gute Artikel zu zahlen. Das ist nämlich nicht die Lösung. Im Zweifelsfall stecken die Verlagseigentümer die Kohle ein und lassen Praktikanten bunte Blätter zusammenstoppeln. Genau wie es nicht die Lösung ist, von den Leuten zu verlangen, sie sollten halt bewusster einkaufen, damit weniger Gift im Ei ist und am Ende weniger weggeworfen werden muss. Kein Verbraucher will ein dioxinbelastetes Frühstücksei. Und so mancher würde sehr gern nur im Bioladen einkaufen, kann es sich aber nicht leisten – vielleicht weil er gerade seinen Redaktionsjob bei einer Qualitätszeitung verloren hat. Oder weil er oder sie mit ihrem Niedriglohn trotz Vollzeitjab immer nur das billigste vom Billigen kaufen kann. Wie soll man solchen Leute mit mehr Idealismus kommen? Es ist geradezu übermenschlich idealistisch, zu solchen Konditionen überhaupt zu arbeiten!

Die Lösung wäre ein anderes System, in dem nicht Märkte und damit mächtige Marktteilnehmer darüber bestimmen, was und wie produziert wird, sondern in dem es tatsächlich um die konkreten Bedürfnisse der Menschen geht. Und wenn die ein Bedürfnis nach gesunder Nahrung haben, dann wird halt flächendeckend Bio produziert – egal, was das kostet, denn es ginge nicht ums Geschäft, sondern um die hochwertigen Lebensmittel für alle. Und wenn die Menschen ein Bedürfnis nach guten Zeitungen hätten, dann würden sich bestimmt Leute finden, die sie machen. Bei der derzeitigen Produktivität wäre es überhaupt kein Problem mit einem vertretbaren freiwilligen Arbeitsaufwand von wenigen Wochenstunden alle Menschen mit dem, was sie für ein gemütliches Leben brauchen, zu versorgen. Klar, um das zu erreichen, ist tatsächlich ein anderes Bewusstsein nötig. Und zwar eins, dass sich nicht mit dem korrekten Einkauf von Lebensmitteln oder Zeitungen erschöpft, sondern danach fragt, warum man überhaupt gezwungen wird, sich Dinge, die man zum Leben braucht, kaufen zu müssen.



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