Psychotherapie mit Migranten muss die Herkunftskultur berücksichtigen

Aus: Gehirn&Geist;, Juli-August 2012
Menschen mit türkischen oder orientalischen Wurzeln neigen dazu, seelische Konflikte in körperlichen Beschwerden auszudrücken. Deren Ursache sehen die Betroffenen aber weniger in psychischen als vielmehr in äußeren Faktoren oder in magischen Einflüssen. Welche Rolle solche kulturellen Besonderheiten in der Psychotherapie spielen, erläutert der Psychologe Jan Kizilhan in der aktuellen Ausgabe des Magazins Gehirn&Geist; (7-8/2012).
Kizilhan leitet die Arbeitsgruppe Migration und Rehabilitation der Universität Freiburg. Die Situation von Zuwanderern in Deutschland kennt er aus eigener Erfahrung: 1973 emigrierte er als Sechsjähriger mit seiner Familie aus der Türkei. Mehrere Studien legen inzwischen nahe, dass die kulturelle Herkunft auch die Art psychischer Erkrankungen beeinflusst.
So fand Kizilhans Arbeitsgruppe 2011 unter türkischstämmigen Migranten überdurchschnittlich viele Fälle somatoformer, also organisch nicht erklärbarer Schmerzen. Im Gegensatz zu psychischen Erkrankungen, die unter Migranten schnell zu Ausgrenzung führen, sind körperliche Leiden "erlaubt". Deshalb verschweigen viele türkischstämmige Patienten psychische Konflikte und klagen stattdessen über Schmerzen. Ärzte können oft nur schwer entscheiden, ob welche Ursachen den Beschwerden zu Grunde liegen.
Um Missverständnissen vorzubeugen, sind bei Patienten mit Migrationshintergrund neben den traditionellen Werten und der Rolle der Familie auch kulturell bedingte Vorstellungen über den Heilungsprozess zu berücksichtigen. So sind es türkischstämmige Migranten in der Regel nicht gewohnt, gemeinsam mit dem Therapeuten ein Modell zur Erklärung der Beschwerden zu entwickeln. Vielmehr erwarten sie, dass der "Doktor" nach der ersten Stunde eine vollständige Erklärung liefert. Deshalb ist es wichtig, Art und Ablauf der Behandlung klar zu erläutern. Das gilt auch für weitere Therapiebausteine, zum Beispiel die körperliche Aktivierung: Die meisten Betroffenen glauben irrtümlicherweise, sie müssten bei Krankheit ruhen.
Die psychosomatische Behandlung von Migranten verläuft laut einer Studie der Universität Bremen von 2010 im Schnitt weniger erfolgreich als bei deutschstämmigen Patienten. Hauptgrund: Die Beschwerden sind bei Migranten zu Beginn der Behandlung schon stärker chronifiziert. Nach der Vorstellung vieler Betroffener dringt die Krankheit von außen in den Körper ein und hat ihre Ursache zum Beispiel in "schwarzer Magie". Daher suchen sie bei allen möglichen Problemen – ob Depressionen, Epilepsie oder auch familiären Schwierigkeiten – zunächst traditionelle Heiler auf, die das Tragen magischer Gegenstände oder andere Rituale empfehlen.
Migration stellt einen bedeutenden Stressfaktor dar, denn neben Erinnerungen an Armut, Naturkatastrophen oder Krieg lasten häufig der Verlust des sozialen Umfelds und unsichere Zukunftsaussichten auf der Seele. Besonders Menschen aus familienorientierten und patriarchalischen Gesellschaften suchen dabei oft Halt in traditionellen Bräuchen und Normen – was Konfliktpotenzial für das Zusammenleben in der neuen Heimat birgt.

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