Problemaufsteiger

"Erst bringst du ihnen das Fliegen bei. Und zum Dank sch***en sie dir auf den Kopf."
Vorstandsweisheit aus der SPD Gelsenkirchen
SPD Regierungsmitglieder, die der Öffentlichkeit ihre Bestechlichkeit als Aufstieg verkaufen, verraten die Idee der Sozialdemokratie.
Ja wir fallen allmählich in vordemokratische Strukturen zurück, getrieben von den oberen fünf Prozent. Das wäre aber nicht möglich ohne unsere Vorzeigeaufsteiger. Das Ideal der alten Bundesrepublik dient immer noch nicht den Aufstiegswilligen, sondern den Recruitern der Machteliten.
Sowohl an der Spitze großer Wirtschaftsunternehmen als auch in Regierungsämtern haben wir gezeigt bekommen, wie man den Ruf des Aufsteigers ruiniert und den Gegnern einer durchlässigen Gesellschaft Argumente liefert. Da war der Herr, der die Welt AG schmieden wollte, und etwas von Shareholder-Value faselte. Am Ende hatte er soviel Kapital vernichtet, dass ihm der größte Tagesgewinn erst dann gelang, als er seinen Rücktritt ankündigte.
Da war der Bundeskanzler, der sich -die Angebote seines Landes nutzend- nach oben arbeitete. Oben angekommen erklärte er der Schicht aus der er stammt, den Krieg: "Es gibt kein Recht auf Faulheit." Nein. Aber auf Arbeit. Und es gibt keinen Grund, sich selbst zum Maßstab für alle zu machen und womöglich zum Vorbild zu erklären.
Was läuft in den Köpfen dieser Problemaufsteiger ab?
Was ich selbst kenne ist: Wenn du der erste warst, der in deiner Familie, Verwandschaft Abitur machte und studierte, dann warst du auf dich alleine gestellt. Dann hat dich schon früh keiner wirklich verstanden, außer deiner Grundschulllehrerin. Aber immer gab es auch den einen Onkel, oder die Großmutter, die dich doch verstand, weil sie selbst mal in der Situation war, mehr zu wollen - aber dann nicht zu dürfen.
Du gehst aufs Gymnasium, machst aber deine Hausaufgaben allein. Deine Mutter kommt bei dem Stoff nicht mehr mit, sie hat auch keine Lust, ihn mit dir zu lernen. Sie hat zu tun. Du schaffst das Abi, und alle sind stolz. Stolz auf etwas, das sie aber nicht verstehen. Von dem sie aber wissen, dass dir jetzt "alle Türen offen stehen" und du mehr erreichen kannst als sie selbst. Damit meinen die meisten dann aber nicht so etwas wie Horizont oder ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben. Viele meinen damit nur: den größeren Fernseher, das größere Auto. Nicht mehr auf den Pfennig gucken. Weil du später nicht am Band oder der Drehbank oder im Lager arbeiten wirst, sondern "auf dem Büro", wo sie den ganzen Tag nur Telefonieren und am Computer sitzen..
Kann sein, dass du ein Gefühl der Isolation entwickelst, vielleicht auch einer diffusen Schuld, weil du offenbar mehr Chancen bekommen wirst, als sie, die immer nur vom Kriegsende und den Ruinen erzählt haben.
Auf dem Spielplatz wurdest du von prügelnden Nachbarskindern verfolgt. Natürlich nur von älteren. Du entwickeltest Strategien, Gewalt aus dem Wege zu gehen. Aber ganz kamst du nie drum herum. Hier legst du, nein legen sie vielleicht die Saat für deine spätere Abgrenzung, wenn es dir mal besser geht als ihnen.
Beim Bund warst du derjenige, der mit "beiden" konnte: mit den höheren Söhnen und den "Proleten". Also kamst du in die Problemgruppe und durftest den Trupp führen.
Später auf der Uni musstest du dich alleine organisieren, weil dir niemand aus Verwandtschaft und Freundeskreis helfen konnte. Deinen Traum vom Studium in Berlin oder München schiebst du vorerst auf. "Wie willst du dich denn da über Wasser halten?". Du ackerst dich durch, fragst dich, wie man sich dem vermeintlichen Studentenleben hingeben kann, wenn man nebenbei jobben muss, um nicht bis Ende zwanzig zuhause leben zu müssen. Als du dann auch anfängst, dein schon quasi immer vorhandenes Interesse für Politik auszuleben, gucken sie dich alle schief an: deine Familie, aber auch die Kommilitonen aus deinem Ingenieursstudium. Nach dem Abschluss promovieren die Guten weiter, aber du sagst -was gerne gehört wird: Ich will jetzt erst mal Geld verdienen. Und das kannst du auch, weil du schon seit dem Hauptdiplom Beziehungen in die Industrie aufbaust. Eigene natürlich, weil dich deine Familie nirgendwohin vermitteln kann.
Du trittst ins Berufsleben und denkst: Geschafft. Das verdanke ich nur mir. Und meinen Kommilitonen, oder wie du sie nennst: Studienkollegen. Du hast eine Antenne dafür entwickelt, wie man weiterkommt, wenn einem nichts geschenkt wird. Du weißt, wie man gefällt - aber auch, wie man sich dabei entfremdet. Du machst deine Sache gut ('good job!'), bekommst mehr Gehalt (mehr als du brauchst) und deine Arbeit interessiert dich.
Deine Eltern sind stolz auf dich. Erzählen gerne, was aus dir "geworden ist", haben aber nie verstanden, oder sich nie interessiert, was du jetzt machst. Für ihre Gespräche mit Nachbarn und Freunden genügt die Information, dass du "auf der Arbeit" Krawatte trägst und viel unterwegs bist. Und du erzählst gerne rum, wenn dein Chef dich lobt und du eine Gehaltserhöhung kriegst.
Du hälst die Zügel in der Hand und geniesst deine materielle Freiheit. Du hälst es für Freiheit, weil du dein eigenes Leben lebst. Und hier scheiden sich irgendwann die Geister.
Es gibt die, die die Ziele anderer verfolgen, als wären es eigene. Das Arbeiterkind glaubt an das Ethos der Leistungsgesellschaft. Es hat aber kein liberales Modell davon entwickelt, sondern eine Mischung aus protestantisch-mystischem Belohnungs- und Strafsystem und irdischem Obrigkeitsdenken. Die unbewusste Motivation ist das Lob von oben, kein innerer Maßstab. Man bekommt Zielvorgaben und entwickelt deshalb keine eigenen. Das aufsteigende Arbeiterkind will oben dazu gehören. Schulterklopfer bekommen, und das möglichst breit herum erzählen. Statusdenken bedienen.
Und diese Angebote kommen. Hast du erst auf dich aufmerksam gemacht, laden sie dich auf eine Zigarre ein und machen die Tür hinter dir zu. Machen dir Angebote. Es sind die, die anders als du wissen, dass das Leistungsprinzip bei Hofe nur ein Spiel ist, in dem man seine Rolle spielt. Den Unterschied zwischen Rolle und Persönlichkeit kennst du noch gar nicht. Aber jetzt lernst du es von den Kindern der oberen Mittelschicht und unteren Oberschicht. Die es verinnerlicht hat, danach zu fragen, was für sie drin ist, wenn sie einen Raum betritt. Erst recht, wenn man etwas von ihnen will.  Allein schon aus Selbstachtung. Dem Aufsteiger stellen sie schöne Belohnungen in Aussicht. Ein iPad, den Parkplatz, mehr Geld. Alles, was die anderen sehen lässt, dass sie dich gut (also nützlich) finden. Aber der Preis ist hoch. Nicht nur der persönliche Einsatz von Zeit und Kraft. Du wirst Menschen führen, d.h. verwerten müssen. Und aussortieren, wenn es mal nicht so läuft. (Jetzt kannst du es den Typen aus dem Sandkasten, auf dem Schulhof heimzahlen..)
Wer die Einladung in den exklusiven Club annimmt, muss die Mitgliedschaft in seinem alten Club kündigen und sich diesem als Vorbild empfehlen: "Ihr versteht, ich bin jetzt keiner mehr von euch. Ist nichts gegen euch. Ich weiß ja, dass ihr genau so handeln würdet, wenn ihr an meiner Stellt wärt." So denken die Führungsspitzen der deutschen Sozialdemokratie.
Die Denkfehler und Anmaßungen darin sind:
1. Sie halten sich für selbstbestimmt, verfolgen aber verordnete Ziele. Solange, bis ihnen die Entfremdung auf den Magen schlägt. Die Verstellung und Eitelkeit reicht sogar soweit, Menschen, die ihnen Haarfärbemittel unterstellen, juristisch verfolgen.
2. Sie unterstellen ihrer Umwelt den gleichen Charakterfehler, den sie selbst kultiviert haben.
3. Sie glauben ernsthaft, sie gehörten nach dem Jawort tatsächlich zum inneren und oberen Kreis.
Ein Frog sagt ja und erklärt denen, die er verlassen hat, anschließend die Welt. Zum Wohlgefallen derer, die die Einladung ausgesprochen haben. Wenn er zur Werke geht, zeigt er zuerst, dass er von keinen Sentimentalitäten mehr belastet ist und beginnt mit der Umverteilung von unten nach oben. Er saugt die Einsichten in den Liberalismus geradezu auf. Er hält sich ja selbst auch für einen Glücksschmied. Wer kein Glücksschmied sein will, na gut, der will halt nicht. Der soll denn Willigen, den Aufsteigern, die er auf dem Schulhof belästigt hat, aber nicht auf der Tasche liegen.
Das mit den politischen Lagern rechts und links erklärt er für unmodern. Ein rhetorischer Kniff, der es ihm fortan erspart, Position beziehen zu müssen. Modern ist, die neuen Chancen zu ergreifen, sich selbständig zu machen, an die Börse zu gehen, sich "etwas aufzubauen". Unmodern ist, sich dem Lamentieren hinzugeben, und dem Neid.
Dieser Typus stürzt irgendwann ab. Was sie für Eigenleistung hielten, war Gunst der Stunde. Das Husarenstück misslingt, es wird abgebrochen, rückgängig gemacht. Oder sie werden abgewählt. Beides natürlich ein Irrtum der Geschichte, der Gesellschaft, der Obrigkeit. Gut, gut. Sie sind nicht so, und wissen, wie viel (eigentlich: wie wenig) es braucht, um seinen Schmerz zu betäuben. Er privatisiert, gibt sich dem Weinberg oder der Schuhmanufaktur hin. Oder geht in den Aufsichtsrat. Er belästigt vielleicht noch zehn Jahre lang seinen Nachfolger. Die Öffentlichkeit, die ihn eigentlich nicht vermisst, erinnert er regelmäßig daran, dass es ihn noch gibt. Wenn ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, mischt er sich wieder in seine Partei, oder schickt seine Frau.
Aufsteigertum im Sinne dieser SPDler heißt, zu beweisen, dass man die SPD irgendwann nicht mehr braucht. Sich verkaufen zu können, und das auch durchzuziehen. Von zu Hause zu wissen, dass nur unten ist, wer unten sein will. Niemandem etwas schuldig zu sein. Oder zu glauben, durch den eigenen Aufstieg schon etwas zurückgegeben zu haben: Dem Land, dem Unternehmen. Dank zu erwarten, dafür dass man hinter sich die Zugbrücke zwar hoch gezogen hatte, sie aber nun wieder ein bisschen herunterlässt. Vorgeblich, um sich mit den Bauern zu identifzieren. In Wahrheit aber aus Heimweh, aus Einsamkeit, aus Sehnsucht nach Aufmerksamkeit.
All das hat nichts mit Peer Steinbrück zu tun. Steinbrück gehört zu einer anderen Gruppe, nämlich der, die in der SPD nicht rekrutiert sondern sie entführt.

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