Prekär

Prekäres Leben. Zahlen, Gedanken, Untersuchungen und ein Interview (Audio)

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Trotz Arbeit nicht genug Geld für das Nötigste – Arbeitswelt heute – Foto: © Klaus-Uwe Gerhardt / Pixelio.de

Guy Ryder, Syndikalist aus Liverpool und Chef der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf, brachte heute den Bericht seiner Organisation über die global zu verzeichnenden Arbeitsverhältnisse an die Öffentlichkeit. Trocken und niederschmetternd das Ergebnis: Dreiviertel der weltweit untersuchten Arbeitsverhältnisse sind temporär, von der Bezahlung schlecht, ohne Kündigungsschutz und Krankenversicherung. Dreiviertel der weltweiten Arbeitsbeziehungen fallen in die Kategorie prekär.

Die Verteilung des verbliebenen Viertels gesicherter, unbefristeter und nach anständigen Tarifen bezahlter Arbeit geht vor allem nachMitteleuropa und Teile Nordamerikas, einige Wirtschaftsoasen inklusive. Kontinental sind die großen Verlierer vor allem Afrika und Asien. Ca. 200 Millionen Menschen mit guter Qualifikation sind offiziell arbeitslos gemeldet.

Die Zahlen, die der britische Gewerkschafter vorgestellt hat, sind ein Beleg für die These, dass die Welt objektiv immer reicher geworden ist, aber der Reichtum so ungerecht wie niemals zuvor verteilt ist. Obwohl die jährlich produzierte Menge an Lebensmitteln in der Lage wäre, 12 Milliarden Menschen am Leben zu halten, stirbt alle fünf Sekunden ein Mensch des Hungers. Die Zahl der Superreichen ist gewachsen, der Reichtum selbst ist gewachsen und der überwiegende Teil der Weltbevölkerung, der als arm zu bezeichnen ist, ist auch gewachsen. Das sind Fakten, die die These sehr ausdrücklich bestätigen, dass wir uns nicht am sonnigen Ende der Geschichte befinden, sondern am Beginn eines weltweiten Klassenkampfes, der gerade erst begonnen hat.

Die letzten Dekaden, die unter der Maxime des Wirtschaftsliberalismus gestanden haben, in denen Staaten demontiert, Arbeitnehmerrechte geschreddert und die Privatisierung mit Peitschenhieben voran getrieben wurde, haben den Grundstein für zukünftige Verwerfungen gelegt.

Sie standen unter dem Zeichen des Kampfes Reich gegen Arm. Sie haben die Welt in eine krisengeschüttelte Sphäre verwandelt, in der die jungen Generationen zunehmend ihrer Perspektivlosigkeit Ausdruck verleihen, entweder durch destruktive Verzweiflungstaten oder durch bornierten Konsumismus, je nachdem, wo sie das Schicksal hineingeboren hat.

Die großen Agenturen dieses Krieges der Reichen gegen den Rest der Welt sind Weltbank und Weltwährungsfonds, die genau dann aufschlagen, wenn die Länder, die als nächste in den Beutebestand überführt werden sollen, in politische, wirtschaftliche und militärische Krisen geraten sind. Als vermeintliche Retter treten sie auf, die Koffer voller Geld, das es nur gibt, wenn sich die Massakrierten dazu verpflichten, die Sozialstruktur des Landes abzuwickeln, die jeweiligen Filetstücke der eigenen Ökonomie zu verkaufen und gesetzliche Grundlagen für eine hohe Ausbeutungsquote der Arbeitnehmer zu schaffen.

Guy Ryder forderte, nachdem er den schrecklichen Bericht vorgestellt hatte, die Staaten auf, ihre jeweilige Arbeitnehmerschaft vor dem beschriebenen Trend in den wirtschaftlichen Ruin und die Rechtlosigkeit zu schützen. Das ist ein nobler Appell, der angesichts der jüngsten Geschichte allerdings ungehört verhallen wird, solange Organisationen wie der IWF den Fuß bereits in Ländern haben. Die naheliegende und unbedingte Überlegung, die dieser Bilanz folgen muss, liegt jedoch auf einem anderen Sektor. Der Kampf von Reich gegen Arm muss umgewandelt werden in den Kampf von Arm gegen Reich. Angesichts der realen Verhältnisse auf diesem Planeten geht es darum, aus dem Feldzug gegen gut bezahlte Arbeit ein Feldzug gegen die Ausbeutung zu organisieren. Koalitionsrechte müssen erkämpft werden, wo sie noch nicht existieren und sie müssen dort genutzt werden, wo es sie gibt. Nur der Zusammenschluss gegen den ungezügelten Reichtum und seine Agenturen bietet eine Perspektive auf Besserung. Dazu gehört auch, dass die Ideologen des Wirtschaftsliberalismus aus den Regierungen fliegen.

Wer nicht Herr seiner selbst ist, schrieb Robespierre, ist Sklave eines anderen. So einfach ist das! (A)
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In Deutschland hat Prof. Dr. Irene Götz vom Institut für Europäische Ethnologie in München zusammen mit Barbara Lemberger das Buch “Prekär arbeiten, prekär leben – Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf ein gesellschaftliches Phänomen” veröffentlicht, herausgekommen 2009 im Campus Verlag. Mehrere Autoren und Autorinnen untersuchen die unterschiedlichen Perspektiven in der öffentlichen Diskussion und analysieren in Fallstudien, was unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen für die Betroffenen bedeuten und wie diese ihre Situation gestalten. Wally Geyermann von Radio Z befragte Frau Götz eingangs, welche Hauptkonnotation sie dem Begriff “Prekariat” zuschreibt. Interview mit Prof. Dr. Irene Götz zu prekären Arbeitswelten. Die Recherche für das Buch „Prekär arbeiten, Prekär leben“, herausgegeben von Prof. Dr. Irene Götz, startete 2007. Welche Entwicklungen des Themas Prekarisierung hat sie seither beobachten können?

Hier das Interview mit Prof. Dr. Irene Götz zu prekären Arbeitswelten:

Teil 1:
http://zappa.radio-z.net/uploads/audio/Goetz_1WAV-2015-04-29.mp3

Teil 2:
http://zappa.radio-z.net/uploads/audio/Goetz2WAV-2015-04-29.mp3

Autorin: Wally Geyermann | Format: MPEG-1 Layer 3 |
Teil 1: Dauer: 5:38 Minuten, Teil 2: Dauer: 5:06 Minuten
(B)

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Quellen – weiterführende Links

Foto: © Klaus-Uwe Gerhardt / Pixelio.de
(A) Textbeitrag von Dr. Gerhard Mersmann
(B) Text und Audio-Beitrag von: Radio Z, darf unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz verwendet werden Creative Commons Lizenzvertrag  Das Interview führte Wally Geyermann


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