GBS: Politik und Medien ignorierten die Proteste und feierten den Papst (26.09.2011)
Es war die größte kirchenkritische Demonstration, die in Deutschland je stattgefunden hat: Rund 15.000 Menschen gingen in Berlin auf die Straße, um gegen reaktionäre Dogmen, diskriminierende Sexualpolitik und verfassungswidrige Privilegien der katholischen Kirche zu protestieren. Auch bei den beiden anderen Stationen des Papstbesuches in Erfurt und Freiburg regte sich massiver Widerstand. In den deutschen Leitmedien wurden die lautstarken Proteste jedoch, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Stattdessen feierten sie die Papstrede im Bundestag als „intellektuelles Großereignis“, obgleich Benedikt XVI. vor dem Parlament längst widerlegte Positionen aus der philosophischen Mottenkiste herauskramte, die letztlich auf eine Aufhebung säkularer Rechtsnormen hinauslaufen.
„Keine Macht den Dogmen!“ lautete das Motto der Berliner Großdemonstration, zu der rund 70 Organisationen, darunter der Lesben-und-Schwulenverband Deutschland, der CSD Berlin, pro Familia und die Giordano-Bruno-Stiftung, aufgerufen hatten. Die fröhliche, bunte Demonstration führte vom Potsdamer Platz, auf der u.a. Uta Ranke-Heinemann sprach, zur Abschlusskundgebung auf dem Bebelplatz, wo David Berger („Der Schein des Heiligen“), gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon und Mina Ahadi („Zentralrat der Ex-Muslime“) die Forderungen der Protestierenden auf den Punkt brachten. Besonderen Beifall erhielt Michael Schmidt-Salomon, als er die deutschen Politikerinnen und Politiker dazu aufforderte, den „falschen Respekt vor der Amtskirche abzulegen“ und „endlich den Job zu erledigen, für den sie in einer modernen, offenen Gesellschaft bezahlt werden“. Die „duckmäuserische Haltung“, die viele Politiker gegenüber dem Papst an den Tag legten, sei „eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig“.
„Unwürdig“ war – abgesehen von wenigen Ausnahmen – auch die Berichterstattung in den deutschen Medien. Im Fernsehen, im Radio, in den Printmedien wurden regelrechte Jubelarien auf den Papst angestimmt. Unterschiede zwischen Boulevard-Journalismus und Feuilleton verschwanden zunehmend – nicht nur die BILD feierte „ihren“ Papst, auch die „seriöse“ FAZ stimmte fröhlich in den frommen Jubelchor ein. Dass die FAZ ihren Bericht über die Papstrede im Bundestag mit „Missionar der Vernunft“ betitelte, bezeichnete gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon als „besonders skandalös, da man davon ausgehen muss, dass die FAZ-Reporter im Unterschied zu anderen Berichterstattern verstanden haben dürften, was der Papst im Bundestag sagte“.
Krasse Geschichtsverfälschung
Als „krasse Geschichtsverfälschung“ wertete Schmidt-Salomon, dass der Papst vor dem Parlament behauptete, „dass die Idee der Menschenrechte und die Idee der Gleichstellung aller Menschen von der Überzeugung eines Schöpfergottes her entwickelt worden sei. Denn diese Rechte mussten von säkularen Kräften gegen den erbitterten Widerstand der kirchlichen Schöpfungsgläubigen erstritten werden. Über viele Jahrzehnte haben Päpste, Kardinäle, Bischöfe die Menschenrechte als gotteslästerliche Selbstanmaßung verdammt. Dies ist eine ebenso unbestreitbare Tatsache wie der scharfe Protest der katholischen Kirche gegen die Gleichstellung von Mann und Frau im deutschen Grundgesetz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass FAZ-Reportern diese historischen Hintergründe völlig unbekannt sind.“
Naturrechtsidee als Basis überholter Moralvorstellungen
Seriöse Journalisten sollten, so Schmidt-Salomon, auch wissen, warum Benedikt XVI. ausgerechnet das „Naturrecht“ zum zentralen Thema seiner Bundestagsrede machte: „Das Insistieren auf eine naturrechtliche Begründung von Rechtsnormen hat selbstverständlich nichts mit den Überzeugungen eines ‚grünen Papstes‘ zu tun, wie schlecht informierte Medienleute in die Welt hinausposaunten. Tatsächlich geht es hier um die vermeintliche ‚Natürlichkeit‘ beziehungsweise ‚Widernatürlichkeit‘ menschlicher Verhaltensweisen. Homosexuelle Handlungen beispielsweise gelten aus Sicht der katholischen Naturrechtslehre als ‚widernatürlich‘, da sie angeblich dem ‚göttlichen Heilsplan‘ widersprechen. Als Benedikt XVI. in seiner Rede gegen den Positivismus und für das Naturrecht argumentierte, verteidigte er damit nicht nur eine längst widerlegte philosophische Position. Letztlich rief er dazu auf, die säkularen Rechtsreformen der letzten Jahrzehnte, etwa die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, rückgängig zu machen. Schließlich beruhte die Aufhebung der alten Sittlichkeitsparagraphen, die ab den 1970er Jahren eine Liberalisierungswelle in Deutschland einleitete, auf der Überwindung eben jener Naturrechtsidee, für die der Papst so energisch im Bundestag eintrat.“
Fazit des gbs-Sprechers: „Dass die überwiegende Mehrheit der Parlamentarier und medialen Berichterstatter den reaktionären, pseudointellektuellen, päpstlichen Unsinn beklatschte, verdient das Prädikat ‚Besonders peinlich!‘. Ich bin sicher, dass nur die wenigsten Parlamentarier und Journalisten die reaktionären Vorstellungen des Papstes wirklich teilen. Die meisten von ihnen dürften einfach nur zu ungebildet sein, um zu begreifen, worauf die päpstliche Verteidigung der Naturrechtsidee hinausläuft. Das wirft kein gutes Licht auf das intellektuelle Niveau der Politik und der Medien in Deutschland. Denn wer nicht einmal die durchsichtige Rhetorik des Vatikans richtig einzuschätzen vermag, dem kann man wohl kaum zutrauen, dass er schwierige politische Aufgaben, etwa die Lösung der Finanzkrise, meistert. Man kann es den Bürgerinnen und Bürgern wahrlich nicht verdenken, dass so viele von ihnen jegliches Vertrauen in die Politik verloren haben.“
[Quelle: http://www.giordano-bruno-stiftung.de/]
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