Geht das überhaupt noch in unserer heutigen Gesellschaft? Immer auf Abruf, 24 Stunden, sieben Tage in der Woche – das Schlafen wird dabei zu einer Zeitverschwendung.
Schon mal in der Hängematte versucht? Oder wie sagte schon Kurt Tucholsky: "Gebt den Leuten mehr Schlaf, und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind." Bild pixabay
In der modernen Lebens- und Arbeitswelt ist der Mensch nur noch schlafend wirklich unerreichbar. Die Zeit fürs Schlafen aber kommt uns zunehmend abhanden. Das werden jetzt auch viele in der "Weihnachts-Freizeit" erleben: Die Umstellung auf "Nichtstun" fällt schwer. Der erholsame Schlaf will einfach nicht kommen.
Nickerchen?
Wann haben Sie das letzte Mal ein Nickerchen gehalten? Haben dem nachmittäglichen Formtief widerstandslos nachgegeben, die Beine langgemacht, die Augen geschlossen und sind für eine süße Auszeit in den Dämmerschlaf geglitten? „Nickerchen“ ist ein schönes Wort, aber es ist fast aus dem Wortschatz verschwunden. Man hat einfach keine Zeit dazu. „Power Napping“ – Energieschlaf – heißt das heute. Der Power-Nap ist zweckgerichtet, er soll den Mittagsmüden wieder in den Leistungsmodus bringen, nicht länger als zehn Minuten dauern. Man verzichtet deshalb auch gerne darauf. Der Mittagsschlaf? Ein Anachronismus. Und so, wie es aussieht, kommt uns auch der Nachtschlaf immer mehr abhanden.
Dauer-Jetlag?
Schlafforscher sehen die Gesellschaft bereits im Dauer-Jetlag: „Wir haben relativen Schlafentzug – alle“, sagt der Neurologe Prof. Geert Mayer vom Schlafmedizinischen Zentrum im hessischen Schwalmstadt. „In unserer Informationsgesellschaft schlafen wir ein bis eineinhalb Stunden kürzer als noch in den 1960er Jahren.“ Das Robert-Koch-Institut hat in einer groß angelegten „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ nach der Schlafqualität und -dauer der Deutschen gefragt. Mit deutlichen Ergebnissen: Ein Drittel der Befragten litt an Schlafstörungen, sie schlafen mindestens drei Mal pro Woche schlecht ein oder durch. Zwölf Prozent der Studienteilnehmer schlafen pro Nacht nicht mehr als fünf Stunden.
Schlafräuber?
Es sei der Rhythmus der modernen Arbeits- und Konsumgesellschaft, der uns den Schlaf raubt, schreibt der New Yorker Jonathan Crary in seinem Essay „24/7 – Schlaflos im Spätkapitalismus“, der ruhelose Takt der Sieben-Tage-die Woche-rund -um-die -Uhr-Verfügbarkeit von Angebot und Nachfrage. Immer stand-by, immer auf Abruf. Es gibt kaum noch Phasen, außer denen des Schlafens, in denen der Mensch sich dem Prozess des Produzierens und Konsumierens entzieht. Fernsehen, Internet und das Tummeln in sozialen Netzwerken füllen die freien Minuten. Die Bildschirme von Handy, Tablet und TV leuchten auch im Schlafzimmer weiter. Sie halten wach, fressen Stunden der Schlafenszeit. Und sie bringen die innere Uhr aus dem Takt. Eine kleine Studie der Psychiatrischen Universitätskliniken in Basel hat gezeigt, dass das blaue Licht von LED-Bildschirmen den Schlaf Wach -Rhythmus stört. Normalerweise steigt mit zunehmender Dämmerung der Pegel des „Schlafhormons“ Melatonin, das LED-Licht aber unterdrückt die Produktion dieses Hormons. Wer bei LED-Beleuchtung und an LED-Bildschirmen arbeitet, bleibt wacher und konzentrierter. Genauso wie derjenige, der bis zum Schlafengehen multimedial an Spielkonsolen, Computern und Tablets aktiv ist. Die fehlende Melatoninproduktion wirkt sich deutlich auf die Schlafqualität von Erwachsenen und Kindern aus. Bereits jedes fünfte Grundschulkind kann laut einer „Kinderschlafstudie“ der Universität Köln von 2011 nicht richtig ein- oder durchschlafen.
Droge Schlafmangel?
Schlafmangel hat Konsequenzen: „Ohne ausreichend Schlaf funktionieren wir einfach nicht adäquat“, sagt der Schlafexperte Dr. Hans-Günter Weeß. Nach 17 Stunden Wachsein sei die menschliche Reaktionsfähigkeit ähnlich eingeschränkt wie bei einem Blutalkoholpegel von 0,5 Promille. 22 Stunden ohne Schlaf hätten eine Wirkung wie 1,0 Promille. Körper und Geist brauchen die Auszeit des Schlafens, um zu regenerieren. Wie viel Stunden Schlaf ein Mensch dazu benötigt, ist individuell sehr unterschiedlich. Kurzschläfer sind schon nach fünf Stunden putzmunter, Langschläfer kommen erst nach acht bis neun Stunden wirklich in die Gänge. Allerdings wüssten viele Leute gar nicht mehr, wie viel Schlaf sie brauchen. Da fehle die Selbstwahrnehmung, stellt Schlafforscher Geert Mayer fest. Dazu trage die ständige mediale Verfügbarkeit bei.
In Zukunft dauerhaft wach?
Der so überaus unproduktive Schlaf erscheint in seiner „tiefen Nutzlosigkeit und Passivität“ zunehmend als „Zeitverschwendung“, diagnostiziert Jonathan Crary. Schlaf sei heute eine Erfahrung, die nicht mehr als Naturnotwendigkeit gelte, so der Professor für Kunsttheorie, und er stellt dem modernen Menschen die Perspektive eines dauerhaft wachen Bewusstseins in Aussicht: „Wer sollte etwas dagegen haben, wenn man dank neuartiger Pillen hundert Stunden lang durcharbeiten kann? Würde nicht eine flexible und reduzierte Schlafdauer mehr persönliche Freiheit bedeuten, die Möglichkeit, sein Leben mit individuellen Bedürfnissen und Wünschen besser in Einklang zu bringen? Würde nicht weniger Schlaf die Chancen erhöhen, sein Leben voll auszuleben?“
Im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums arbeiten Wissenschaftler daran, zu entschlüsseln, wie es ein kleiner Sperlingsvogel, die Dachsammer, schafft, bei ihren Langstreckenflügen ganze sieben Tage und Nächte wach zu bleiben. Und warum sollten wir nicht auch danach streben, den Schlaf zu überwinden?
Quelle In-online.de
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