Popayán wird zu recht als eine der schönsten Städte Kolumbiens beworben. Die Altstadt hat trotz einem verheerenden Erdbeben 1983 ihre Anmut bewahrt, was einem aufwendigen Wiederaufbau geschuldet ist. In Popayán ist mir erstmals die hohe Zahl an Kirchen aufgefallen, was vielleicht daran liegt, dass sie sich um das Zentrum scharren. Wie Krähen um Müll. Viele stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die Wohnhäuser sind größtenteils weiß gehalten.
Auf der Straße begegnete mir ein älterer Herr. Er trug Milchkannen und abgebrochene gelbe schiefe Zähne. Er schämte sich dennoch nicht für sein Lachen. Er fragte mich nach meinem Namen und woher ich komme. Trotz seines Alters war sein Haar noch rabenschwarz. Als wir auseinander gingen, wünschte er mir alles Gute. Dann bekreuzigte er mich. Wenige Schritte später fragte er, ob ich an Gott glaube. Ich verneinte. „Aber im Exitus, im Exitus sehen wir uns wieder“ rief er mir noch hinterher.
Ich beobachte ein kleines Mädchen im Park. Sie versuchte Tauben zu füttern. Ich aß ein Laib Brot. Ihre Mutter musste immerzu lachen. Ihr gegenüber saß ein älterer Herr auf dem Bordstein. Im Sonntagsgarderobe. Eismänner bimmelten.
Wieder sprach mich ein älterer Herr an. Er begann das Gespräch wie alle Leute anfangen, die etwas verkaufen wollen. Er jedoch war sehr originell: Er hielt ein kleines Sägeblatt vor meinen Augen. Darauf standen Tierchen aus rohen Kartoffeln geschält – winzig wie Fingernägel. Die Augen hat er aufgemalt. Er wusste sogar das deutsche Wort für Uhu. Beim Elefanten mussten ich ihm helfen.
Auf meinen Nachhauseweg sah ich ein Obdachlosen. Unsere Blicke trafen sich: Ich spüre die Hand meiner Mutter. Sie geht viel zu schnell, mit viel zu großen Schritten. Wir müssen noch in einen Geschäft auf der Georgstraße. Neben dem Eingang eines Juweliers sitzt ein Mann auf der Straße. Seine Kleidung ist abgerissen und schmutzig. Sein Bart reicht ihm bis zur Brust. Er riecht. An seiner Seite liegen volle Plastiktüten. Obwohl ich erst sieben oder acht bin, fühle ich, dass dieser Mann Leid erträgt. In seinen Augen liegt etwas, was ich erst viele Jahre später zu benennen weiß: Hoffnung und Verzweiflung. Die heiße Luft des Gebläses hinter der Glastür schlägt mir ins Gesicht. Mein Haar weht nach oben. Wir befinden uns längst auf der Rolltreppe. Und ich spüre noch immer diesen Blick in meinem Herzen. Ich habe damals oft die Augen geschlossen und geöffnet, sie mir gerieben. Das Bild aber ist geblieben. Ich frage mich, ob er noch lebt.