Kontext Wochenzeitung, 25.03.2020
Wegen Zweifeln an der polnischen Rechtsstaatlichkeit lehnt es das Oberlandesgericht Karlsruhe ab, einen Beschuldigten an das Nachbarland auszuliefern. Wie weit ist die Aushöhlung bürgerlich-demokratischer Prinzipien in Warschau vorangeschritten? Ein Überblick.
Es herrscht dicke Luft zwischen Warschau und Brüssel – mal wieder. Und es ist abermals der Umbau der polnischen Justiz, der für Spannungen sorgt. Dieser wurde von der Rechtspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS), auf deutsch Recht und Gerechtigkeit, bereits 2015 eingeleitet. Doch diesmal scheint die im vergangenen Jahr wiedergewählte polnische Regierungspartei den lange schwelenden Konflikt auf die Spitze treiben zu wollen. Denn die neuen Regelungen im Rahmen der Justizreform dürften die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in Polen irreversibel beschädigen.
Diese Bedenken treiben offenbar auch die Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe um: In einer am 9. März bekannt geworden Entscheidung lehnten sie es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ab, einen Tatverdächtigen, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, an das Nachbarland auszuliefern. Angesichts der derzeitigen Entwicklungen in Polen bestünden „tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung einer echten Gefahr der Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren ausgesetzt sein würde“.
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