Polizei kapert Piraten-Server

Seit Johnny Depp als charmant-besoffener Pirat Jack Sparrow (Captain! Jack Sparrow) über die Kinoleinwand torkelt, haben Piraten ein unglaublich positives Image. Besonders wenn sie als Freiheitskämpfer der Informellen Selbstbestimmung über die unendlichen Weiten der virtuellen Ozeane ziehen. Es gibt seit ein paar Jahren sogar Piratenparteien, die für freien Informationsaustausch über das Internet, informelle Selbstbestimmung und direkte Demokratie per Internet eintreten. Auch in Deutschland gibt es seit 2006 eine Piratenpartei, die regelmäßig Wahlergebnisse von 2 bis 3 Prozent einfährt, was für eine Ein-Themen-Partei bemerkenswert ist.

Derzeit ist die Piratenpartei in den Schlagzeilen, weil die Polizei am Freitagmorgen die Piratenserver abgeschaltet hat. Für die Piraten besonders ärgerlich, weil am Sonntag in Bremen gewählt wird. Es heißt, dass nicht gegen die Partei an sich ermittelt werde, sondern ein Rechtshilfeersuchen aus Frankreich vorliege. Über einen Server der Piraten soll eine Datei verbreitet worden sein, die für einen Angriff auf Server des französischen Energieversorgers Electricité de France benutzt werden könnte. EDF betreibt Atomkraftwerke und befürchtet Hackerangriffe. Das Netzwerk Anonymous, das schon im Zusammenhang mit der Verfolgung von WikiLeaks-Chef Julian Assange Hackerangriffe auf verschiedene Unternehmen und Behörden ausgeführt hat und sich ansonsten gegen die Scientology-Sekte engagiert, wird verdächtigt, derartiges zu planen. Nun beteuert die Piratenpartei, dass sie nichts mit den Aktivitäten von Anonymous zu tun habe und sie gern zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen würde.

Nun kann man sich darüber aufregen, dass die deutsche Polizei vermutlich total überreagiert hat – andererseits muss man auch mal sehen, dass die Chance, sich gründlich auf Piratenservern umzusehen, nicht so schnell wieder kommt. Nein, natürlich finde ich das nicht gut. Aber die Piraten sind ganz bestimmt keine Gefahr für unsere Demokratie. Eine Vereinigung, die ihre ganze Energie darauf konzentriert, dass die Leute wenigstens im Internet an all den Segnungen des modernen Lebens teilhaben können, anstatt daran zu arbeiten, dass man es im RL (real life, also im echten Leben) endlich mal besser hat, die müsste man erfinden, wenn es sie nicht schon geben würde.

Was hab ich denn davon, wenn ich informell total selbstbestimmt sein kann, dafür aber sonst nichts zu melden habe?! Es ist ja schön, wenn engagierte Datenschützer aufpassen, dass meinen Daten nichts passiert – lieber wäre es mir, wenn jemand aufpassen würde, dass mein Leben nicht total fremdbestimmt stattfindet. Ich kann mir doch nicht aussuchen, ob ich mit Konsumterror überzogen werde oder nicht. Genausowenig wie ich mir aussuchen kann, wie ich meinen Lebensunterhalt zu bestreiten habe. Lohnarbeit ist Knechtschaft, es geht nicht darum, etwas nützliches oder befriedigendes zu tun, es geht darum, Geld für Miete und Essen, Klamotten und was man sonst so zum Leben braucht aufzutreiben. Darüber könnten sich die Piraten auch mal Gedanken machen. Freier Zugang zu Information ist eine feine Sache, aber noch viel besser wäre doch der freie Zugang zu Nahrungsmitteln, Wohnraum, Kleidung und Bildung, ganz klassische Offline-Bildung wie Bibliotheken, Sprachkurse, Theater oder Kino. Warum soll das schöne freie Leben nur im Internet statt finden? Damit man im wahren Leben nicht so unter den unabwendbaren Sachzwängen leidet, denen wir nun mal alternativlos ausgeliefert sind?



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