Pfad zur Staatsbürgerschaft?

In der Geschichte um die 15jährige Gymnasiastin Bivsi R., die aus dem Unterricht geholt, abgeschoben und nun wieder zurück nach Deutschland gebracht wurde, jagt eine Enthüllung die nächste - und jede widerlegt die vorherige. Die FAZ hat nun in einem dreiseitigen Porträt die Schlussfolgerung gezogen, dass alles mit rechten Dingen zuging, sämtliche Kommissionen und Härtefallanträge ausgeschöpft waren und dass das Mädchen vor allem "ein Opfer seiner Eltern" sei, weil diese jahrelang die Behörden belogen haben, um nicht abgeschoben zu werden. Der Fall zeigt die vielen Probleme und Widersprüche des Asyl- und Aufenthaltsrechts in Deutschland. Ein konkretes Aushängeschild für seine Ungerechtigkeiten dagegen ist er nicht: Bivis Eltern hatten von vornherein keinen Anspruch, und als sie ihre Tochter bekamen war ihr Antrag schon seit drei Jahren negativ beschieden. Insofern ist sie tatsächlich ein Opfer ihrer Eltern. Sehr wohl allerdings dient der Fall als Aushängeschild für ein ganz anderes Problem: wen schiebt man eigentlich ab, und nach welchem Prinzip?
Denn auch wenn es natürlich Opportunismus der beteiligten Politiker ist, die dem öffentlichen Druck nachgegeben haben: es macht wirklich keinen Sinn, eine Schülerin, die in Deutschland geboren wurde, ihr "Heimatland" nie gesehen hat und auf dem besten Weg zum Abitur ist, abzuschieben. Es ist menschlich grausam und gesellschaftlich doof. Mir scheint das Hauptproblem in diesen und in vielen anderen solchen Fällen (man denke nur an die streichelnde Merkel) zu sein, dass wir in Deutschland keinen vernünftigen "patch to citizenship" haben, wie das im Englischen gewohnt griffig umschrieben wird.
In der Einwanderungsdebatte heißt es immer wieder, dass man ja talentierte und leistungswillige Leute unbedingt haben wolle. In üblich deutscher Manier scheiterte eine Green-Card-Initiative an bürokratischem Klein-Klein und zu eng gezogenen Regularien. Auf der anderen Seite, und auch da haben die Opportunisten in Bivsis Fall Recht, erlaubt unser System Kriminellen jahrelangen, wenn nicht jahrzehntelangen Aufenthalt in Deutschland wenn sie nur ihre Rechte kennen und ihren Pass weggeworfen haben. Aus rechtsstaatlichen Gründen lässt sich gegen letzteres wahrscheinlich nur wenig ausrichten, aber ersteres Problem könnte angegangen werden, um die aktuell reichlich arbiträre Abschiebepraxis pragmatischer zu gestalten. Dies ließe sich auch mit einer Verschärfung verbinden, wie wir gleich sehen werden.
Was mir vorschwebt - und das ist nur eine grobe Skizze, ich bin kein Einwanderungsjurist - wäre ein Pfad, an dessen Ende die deutsche Staatsbürgerschaft steht und der auf der Erfüllung bestimmter Kriterien beruht, die viele andere Länder für die Gestaltung ihres Einwanderungssystems benutzen. Ich mache hier drei relevante Subsets aus.
  1. Migrantenkinder unter 18 Jahren, die ein Gymnasium oder eine vergleichbare Schule besuchen, sind vor Abschiebung geschützt. Ihre Eltern (zwangsläufig) auch. Erreichen sie das Abitur oder die Fachholschulreife, erhalten sie direkt die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit dieser können sie dann wie jeder Staatsbürger für ihre Eltern bürgen, so diese keinen eigenständigen Aufenthaltstitel erworben haben oder im Land bleiben wollen. Diese Methode hat den Vorteil, dass Migranten mit Kenntnissen, die gesellschaftlich allgemein als wertvoll anerkannt werden, einen klaren Weg haben, im Land zu bleiben. Dazu kommt, dass man klar kommuniziert, was man in der Gesellschaft als wertvoll erachtet. Sie hat aber auch zwei massive Nachteile. Einerseits lastet die gesamte Verantwortung für den Aufenthalt nun auf einem Kind, was seelisch sicherlich problematisch ist. Und zum anderen hängt der komplette Aufenthaltstitel an einer eher neoliberal angehauchten Nützlichkeitserwägung, klebt quasi dem Asylrecht ein Preisschild auf. Letzteres scheint mir weniger bedeutsam, weil sich die drei Vorschläge komplementär zum bisherigen System verstehen, nicht ersetzend.
  2. Migranten über 18 Jahren, die einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, deren Gehalt/Lohn eine bestimmte Grenze überschreitet (über Armutsgrenze, unter Durchschnittslohn), werden vor Abschiebung geschützt. Sobald sie diese (oder andere) Beschäftigungen eine bestimmte Zeit (irgendwo zwischen 10 und 20 Jahren) ausgeübt haben, erhalten sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Vorteil hier ist, dass diese Menschen dem Staat ohnehin keine Kosten verursachen und es daher wenig Grund gibt, sie abzuschieben. Gleichzeitig sorgt der Mindestverdienst dafür, dass sie nicht als Lohndrücker eingesetzt werden können. Der Nachteil ist einmal mehr die Bindung an Arbeit, und natürlich kann ein Arbeitgeber den prekären Status zur Erpressung nutzen. Der rechtliche Rahmen ist zudem ebenfalls hoch problematisch, denn solche Jobs sind natürlich in diesem Aufenthaltsstatus nur schwer zu erlangen. Hier hilft 3.
  3. Migranten über 18 Jahren, die keinen Job nach 2. haben, können sich für einen neu zu schaffenden Dienst verpflichten, der sich in etwa am alten Zivildienst orientiert. Hier erhalten sie, so notwendig, Bildungsbestandteile (wenn diese nicht bereits nachgewiesen werden können: das typische VAB-Programm, also Deutsch, Staatsbürgerkunde, etc) und arbeiten in gemeinnützigen Stellen, die nicht durch normale Arbeitsverhältnisse abgedeckt werden (erneut um Lohndrückerei zu vermeiden). Das entlastet den sozialen Sektor und andere wenig attraktive, aber dringend benötigte Berufsfelder. Für die Arbeit erhalten die Migranten eine Art Taschengeld, der Rest wird über die üblichen Sozialleistungen abgedeckt. Teilnehmer können diesen Dienst jederzeit beenden, wenn sie sich für 2. qualifizieren, oder wenn sie keine Lust mehr haben. Die Dauer ist identisch mit 2., am Ende steht die Staatsbürgerschaft. Die Idee ist hier, dass selbst wenn eine Person dann keine Anstellung mehr bekommt und in die Sozialsysteme rutscht, sie trotzdem 10-20 Jahre lang der Gesellschaft gedient hat - der Gewährung der staatsbürgerlichen Rechte steht also eine Leistung gegenüber, es ist kein Gnadenakt. Der Vorteil ist, dass einerseits die Leute etwas vernünftiges zu tun bekommen und selbst wenn sie keine Aussicht auf Abitur haben einen klaren Pfad zur Staatsbürgerschaft (wenn auch steinig) haben. Der Nachteil ist, dass die Sektoren, in denen sie eingesetzt werden, wahrscheinlich einen Imageabfall erleben und natürlich Leute dabei sein werden, die nicht vernünftig arbeiten und hoffen, so durchzurutschen. Aber das hat man in jedem System und jedem Job und lässt sich nie vermeiden.
Dieses System ist sicherlich nicht perfekt und hat vermutlich noch eine ganze Latte bisher nicht erwähnter Nachteile, auf die die Kommentatoren hinweisen werden. Ich denke aber, dass es das aktuelle Problem deutlich entschärfen könnte und zudem eine Identifikationsmöglichkeit für Migranten mit einem Staatswesen dient, das ihnen sonst eher adverserial gegenübertritt. Der Integration kann das nur gut tun. Gleichzeitig sorgt die Koppelung an Arbeit/Bildung dafür, dass Ressentiments in der deutschen Gesellschaft niedrig gehalten werden, weil man klar kommuniziert, dass den Migranten nichts hinterhergeworfen wird. Sie müssen es sich verdienen, es steht eine klare Gegenleistung gegenüber. Das sollte der politischen Durchsetzbarkeit spürbar helfen. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass all das ergänzend zu verstehen wäre. Wessen Asylantrag anerkannt wird oder wer auf die bisherige Methode die deutsche Staatsbürgerschaft erhält kann dies natürlich auch weiterhin tun. Zudem sind alle diese Wege rein freiwillig. Nun bin ich auf euer Feedback gespannt.

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