Wenn Dawud Gholamasad in seinem Buch “Irans neuer Umbruch” gelang, eine soziologische Theorie zur Geschichte Iran zu entwickeln, so muss Peyman Jafaris Buch als dazugehörige politisch-gesellschaftliche Ergänzung gesehen werden. Anders als Gholamasad fragt er nicht, was die Menschen individuell und die Gesellschaft insgesamt dazu brachte, im Sommer 2009 auf die Straße zu gehen. Sondern er fragt vor allem, welche innen- und außenpolitischen Ursachen dazu führten.
Bekannt ist, das so gut wie nichts bekannt ist. Wir wissen nur wenig über dieses Land, dass vor zwei Jahren in den Schlagzeilen erschien und genauso schnell wieder verschwand. Das Bild des Westens über das Land Iran ist spätestens seit Bush es der “Achse des Böden” zurechnete, ein eher getrübtes. Wir sehen vor allem die aktuelle Diktatur, die noch heute (und ohne Medienbegleitung) Menschenrechte mit Füßen tritt und dessen selbsternannter Präsident Amadinedschad meist mit israelfeindlichen, antisemitischen Bemerkungen auffällt. Ein Land, das still und heimlich an der atomaren Bewaffnung arbeitet. Aber wir wissen wenig darüber, wie es dazu kam, dass dieser knallharte Neokonservative bei der ersten Wahl tatsächlich gewählt wurde.
Welch tiefgreifende Desillusionierung muss ein Volk erleben, dass es diese Ausgeburt der Rückständigkeit einmal für den Retter der Nation hielt. Was geschah mit den Reformideen eines Chatamie? Und weshalb sind diese gescheitert?
Jafari beginnt mit der Geschichte Irans (Persiens) früh. Das wird schnell und in groben Schritten abgehandelt, lässt aber verstehen, dass dieser Vielvölkerstaat einen (wie auch immer zu bewertenden) Nationalstolz besitzt, der uns vielleicht befremdlich vorkommt, der aber seit Jahrhunderten diese Nation formte und zusammen hielt.
Spannend und auf die aktuelle politische Lage bezogen wird das Buch aber vor allem, wenn es über die erste (konstitutionelle) Revolution 1905 berichtet. Ein Land, dass um seine bürgerliche Mitbestimmung kämpfte und – bedroht von Russland im Norden und den Engländern im Süden – sich permanent zur Wehr setzen musste gegen die Großmächte. Dieses Auf und Ab, dieses Hoffen und Enttäuschen prägt das Land seit mehr als 100 Jahren. Immer wieder gab es Demokratiebestrebungen und immer wieder wurden sie – von Innen wie Außen – niedergeschlagen. Wenn es etwas wie ein kollektives (oder gesellschaftliches) Gedächtnis gibt wird klar, welche Hintergründe auch bei der “grünen Bewegung” heute eine Rolle spielen.
Es ist der – als ewig wahrgenommene – Kampf zwischen Reformern und Reaktionären. Der Iran war nie kolonialisiert; aber er wurde genau so behandelt. Und in dieser Schere zwischen dem tiefen Misstrauen gegen “den Westen” und aber auch der Ablehnung durch diesen lavriert sich das Land seit mehreren Generationen.
Es versteht sich von selbst, dass Jafari sich auch1 vor allem mit der Revolution von ’79 befasst. Ein Ereignis, das nicht nur den Iran, sondern den gesamten Orient dauerhaft veränderte. Jafari legt dar, weshalb es Chomeini gelang, das gesamte politische Spektrum für seine Zwecke einzuspannen. Und vor allem: weshalb es möglich wurde, dass sich die linken und liberalen Kräfte zu Handlangern des totalitären klerikalen Systems machen ließen. Einer der Gründe: die lernten nicht, gegen den gemeinsamen Gegner vorzugehen, sondern zerfleischten sich lieber gegenseitig.
Auch Jafari nennt das derzeitige politische System “Theokratie” – obwohl meines Erachtens nach “Militärdiktatur” angemessener wäre. Er beschreibt, wie aus Stiftungen, die sich dem Wohl der Armen widmen sollten, mächtige Kartelle entstanden. Kartelle, die heute fest in der Hand einiger Mullahs sind. Hier kommt auch der – für eine Öffnung gegenüber dem Westen eintretende – Rafsandschani ins Spiel, den Jafahr “neoliberal” nennt. Er beschreibt Chatami als einen mehr an der eigenen Macht hängenden Politiker denn als Reformer (der dieser am Beginn sicherlich war). Und deshalb hält er Amadinedschads (erste) Präsidentschaft für eine Antwort auf die Enttäuschung, die die “Reformer” um Chatami dem einfachen Volk bereitete.
Denn auch das verschweigt Jafari nicht: dass es unter den reaktionären Regierungen für die Landbevölkerung, für die Immer-Ausgeschlossenen Verbesserungen gab. Und noch heute gibt.
Das Buch läuft auf die Ereignisse nach dem 12. Juni 2009 hinaus. Die letzten Seiten des Buches beschreiben detailliert die Situation nach der Wahlfälschung, die Amadinedschad die zweite Präsidentschaft einbrachten.
Es endet mit diesen Sätzen: “Die Machthaber im Iran können mit Verhaftungen und Hinrichtungen eine Bewegung, die so tiefe historische Wurzeln hat, nicht auslöschen. Mehr noch: die Proteste vom Sommer 2009 markieren den Anfang vom Ende der islamischen Republik [...] Dieses Ende wird ein langwieriger und schwieriger Prozess sein – aber es ist unvermeidlich.”
Abschließend: ich halte dieses Buch für ein wichtiges Buch. Es ist einfach genug geschrieben, dass auch Menschen, denen das Thema bisher fremd war, etwas über die historischen Zusammenhänge verstehen. Und es ist auch für “Wissende” zu empfehlen weil es in guter, eingängiger Sprache Dinge in einem manchmal neuen Licht beleuchtet.
Nic
weitere Links:
Bloghaus: Aus dem Vorwort
Das Parlament: Schuld sind immer die anderen
Nahaufnahmen (CH): Ein missverstandenes Land
Dutch Foundation for Literature: Peyman Jafari
Bundeszentrale für politische Bildung: Der andere Iran (Kaufquelle)
- “auch” im Bezug auf Gholamasad ↩