Ich war Anfang 20, studierte Architektur, hatte viel mit Kunst am Hut und noch wenig mit Literatur. Bis in die Nacht entwarf und zeichnete ich und nebenbei sorgte der Fernseher für die Hintergrundgeräusche. Auf 3sat lief eine Dokumentation über Peter Handke. Ich hatte bislang nie von ihm gehört aber danach hatte es mich gepackt.
Biographie
Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. 1966 erscheint sein erster Roman Die Hornissen im Suhrkamp Verlag. Im selben Jahr erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main. Seitdem hat Peter Handke mehr als siebzig Erzählungen und Prosawerke sowie knapp zwei Dutzend Stücke verfasst. Darüber hinaus hat er viele Werke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen. Für sein Schaffen ist Peter Handke mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt worden. (Quelle: Suhrkamp Verlag).
Ich war auf der Suche nach Inspiration, nach einem geistigen Gefüge, das meinen Entwürfen einen Rahmen, wenn nicht gar eine Rechtfertigung gab. Und da hörte ich diesen Schriftsteller in seinem Kärtner Dialekt ganz bedachtsam Sätze aussprechen, von denen mich jeder einzelne im Mark traf. Wie in einer Vorlesung über Kunsttheorie lauschte ich andächtig und fühlte mich danach unendlich bereichert und vor allem unendlich neugierig gemacht auf die Werke, die dort besprochen wurden.
Es klingt klischeehaft, aber ich verschlang nahezu alles von ihm. Wobei „verschlingen“ und Handke nicht gerade recht zusammengehen. Handke lesen heißt auch immer sich als Leser anstrengen müssen. Er ist kein Geschichtenerzähler, kein Unterhalter. Besonders in seinem Frühwerk brach er mit jeder Form der traditionellen Erzählweise und arbeitete sich an der Erschaffung einer Sprachwelt ab. Handke beschreibt in diesen frühen Büchern nicht die Wirklichkeit, sondern nähert sich dieser durch eine phänomenologische Rekonstruktion an. Das klingt sehr kompliziert und eher wenig nach Lesevergnügen. Rückblickend betrachtet stimmt das auch, aber damals deckte sich Handkes suchender künstlerischer Selbstfindungsprozess mit meinem eigenen.
Als ich im Rahmen meines Blogs eine Rezension über einen Handke schreiben wollte, las ich erneut „Nachmittag eines Schriftstellers„. Einges vom ursprünglichen Zauber war leider verflogen und ich konnte bei einigen der markierten Textpassagen nicht mehr nachempfinden, was sie mir mal bedeutet hatten. Was ich jedoch trotz aller im Laufe der Jahre eintretenden Entfremdung nach wie vor an Handke schätze, ist seine Ernsthaftigkeit, mit der er seiner Berufung nachgeht. Wenn man ihn liest, spürt man, dass er aufs Ganze geht. Mit jedem einzelnen Satz – wenn nicht Wort – setzt er seine Persönlichkeit aufs Spiel. In der TV-Dokumentation sprach er davon, wie er Monate unter seiner Sprachlosigkeit litt. Tag für Tag saß er stundenlang vor einem weißen Blatt und brachte kein Wort heraus. Viele andere wären in einer solchen Phase Kompromisse eingegangen und hätten mit einem etwas weniger gelungenen Satz gelebt. Handke kann das nicht. Eher riskiert er ein Scheitern als mit seinem Anspruch zu brechen. Eine solche Haltung ringt mir auch heute noch Bewunderung ab.
An den Orten, zu denen ich gefahren wurde, bin ich nie gewesen. Nur im Gehen öffnen sich die Räume und tanzen die Zwischenräume! Nur im Gehen drehe ich mich mit den Äpfeln im Baum. Nur dem Gehenden wächst ein Haupt auf den Schultern. Nur der Gehende erfährt die Ballen an seinen Füßen. Nur der Geher spürt einen Zug durch den Körper. Nur der Geher erfaßt den hohen Baum im Ohr – die Stille! Nur der Geher holt sich ein und kommt zu sich. Nur was der Geher denkt, gilt.
Weniger Bewunderung hege ich für sein jähzorniges Wesen, für das er berühmt und berüchtigt ist. Kein namhafter Feuilleton-Journalist, dem nicht schon einmal ein Interview mit ihm aus der Hand geglitten ist, kein Literaturkritiker, der sich nicht schon seiner ätzenden Polemik ausgesetzt sah. In seiner wilden Zeit sollen gar schon mal die Fäuste geflogen sein. Dazu seine strittige Haltung im Jugoslawien-Konflikt, über die schon alles geschrieben wurde. Eklats, zurückgegebene und abgelehnte Literaturpreise – Handke hat alles hinter sich.
Ich war gesellschaftsunfähig, weil ich wütend war; ich wurde gesellschaftsfähig, als ich traurig wurde.
Ich kann Handke heute befreiter lesen als damals, als ich jeden Satz auf seine Tragfähigkeit zur Konstruktion einer gestalterischen Idee überprüfte. Dadurch lese ich ihn etwas oberflächlicher, aber mit dafür umso größerer Bewunderung für seine sprachliche Kunstfertigkeit. Denn seine Sätze sind Ereignisse und seine Sprache eine Gewalt, die man bewundern und genießen muss. Nur verschlingen mag ich ihn nicht mehr.
Lesetipps
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. 1970.
Der kurze Brief zum langen Abschied. 1972.
Wunschloses Unglück. 1972.
Nachmittag eines Schriftstellers. 1987.
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Forschungsplattform Peter Handke der Österreichischen Nationalbibliothek