Peinlich berührt

Peinlich berührtEr ist schon etwas gebrechlich, der Maler. Etwas schlurfend ist sein Gang, da es ihn in der Hüfte hat. Seine etwas schütteren Haare sind ganz weiß. Etwas gebückt ist seine Haltung.

Nun sitzt sie ihm gegenüber. Interessiert mustert er ihr Gesicht und bleibt an ihren Augen hängen. „Sie haben schöne Augen“, meint er. Verschämt schlägt sie die Lider nieder. Solche Komplimente ist sie nicht gewohnt und derartiges ist ihr unangenehm. Sie sagt leise: „Danke.“

„Wie alt sind sie“, fragt er. – Sie: „Sechsundzwanzig.“

„Kommen wir zum Wesentlichen. Sie kommen jeweils dienstags um fünfzehn Uhr. Ich bereite uns einen kleinen Imbiss vor. Dann ordnen sie meine Belege und anschließend arbeiten wir an meiner Biographie. Ich zahle ihnen achtzig Schilling in der Stunde. Ihre Vorgängerin hat sie sicher über alles genau informiert. Sind sie einverstanden?“

„Ja“, sagt sie. Sie kann das Geld gut gebrauchen, da sie nur einen halben Tag arbeitet und nicht allzu viel verdient. Mehr kann sie an Arbeitsverpflichtung jedoch nicht übernehmen, da sie ein Abendgymnasium für Berufstätige besucht. Sie will die Matura auf diesem Weg nachholen.

„Und dann möchte ich, dass sie mich gleich dieses Wochenende nach Triest begleiten. Ich habe dort in einem Hotel meine Bilder ausgestellt und möchte gerne nach dem Rechten sehen. Die Reisekosten übernehme selbstverständlich ich. Wir fahren mit meinem Auto, das heißt sie fahren. Ich kann mir eine derartig lange Strecke nicht mehr zumuten. Darf ich mit ihnen rechnen? Ich zahle gut…“

Sie überlegt einen Moment und sagt dann spontan zu. Das hat sie sich eigentlich schon immer gewünscht … als Privatsekretärin zu arbeiten, wenn auch nur für ein paar Tage.

„Gut“, meint der Maler. „Sie kommen am Freitag fünfzehn Uhr mit ihrem Gepäck in mein Atelier. Dann fahren wir los. Haben sie noch Fragen?“

„Nein“, sagt sie. „Dann sind wir für heute fertig, ich entlasse sie für heute“, er zwinkert mit einem Auge und lächelt über ihr verdutztes Gesicht.

Sie verabschiedet sich und geht.

Tausend Gedanken sausen ihr durch den Kopf, einerseits große Bedenken, da sie ihn ja noch nicht einmal kannte, nur aus Erzählungen von ihrer Vorgängerin. Diese meinte, er sei recht großzügig und ein ehrenhafter Mann. Andererseits dachte sie an das, was ihr die Reise einbringen würde. Ein bisschen Angst hatte sie auch davor, was sie mit ihm die ganze Zeit über reden sollte. Aber dann beruhigte sie sich damit, dass der Maler ja ein weltgewandter Mann sei und er sie ja unterhalten könne.

Die Reise verlief dann ganz gut und ohne Zwischenfälle. Besonders schön fand sie den Wellness-Bereich in dem schönen Hotel. Diesen nutzten beide sooft sie konnten, sie in ihrem gelben Badeanzug, er in seinen blauen Badeshorts. Besonders war, dass er sich nicht neben sie auf eine Liege legte. Nein, er platzierte sich immer genau auf der anderen Seite des kleinen Schwimmbeckens. Lag sie auf der einen Seite, war er auf der anderen Seite und umgekehrt.

Sie hatte nicht viel zu tun. Er wollte nur, dass sie ihn überallhin begleitete. Er inspizierte seine Arbeiten. Mächtig staunte sie über seine Werke. Sie waren allesamt surrealistisch angehaucht, überdimensional groß und erinnerten sie an die Bilder von Salvador Dalí.

Seine Kamera hatte er immer dabei und er fotografierte die ganze Zeit über. Er erklärte ihr, dass er nach seinen Fotos male. Das störte sie nicht, solange er nicht sie fotografierte und das tat er nicht.

Er benahm sich überhaupt sehr zuvorkommend und wahrte einen ehrenhaften Abstand zu ihr. Das freute sie und sie fühlte sich wohl. Manchmal bat er sie darum, sich bei ihr einhängen zu dürfen, da ihn seine Hüfte oft sehr schmerzte. Bereitwillig tat sie das.

Gesprochen haben sie nicht viel. Er war sehr wortkarg. Aber es machte ihr nichts aus. Während der Hin- und Rückfahrt schlief er die meiste Zeit über.

Zu Hause angelangt verabschiedeten sie sich und er wies sie darauf hin, am nächsten Dienstag um fünfzehn Uhr bei ihm im Atelier zu erscheinen. Wie vereinbart sagte sie zu und ging nach Hause.

Am Dienstag klopfte sie pünktlich an seine Türe. Lange hörte sie nichts, dann langsam näher kommende schlurfende Geräusche. Er öffnete. Müde sah er aus. Etwas mehr gebückt als sonst ging er langsam zum Tisch und setzte sich. Sie beobachtete ihn und er sie. Verwundert und beschämt darüber, dass er sie so direkt ansah drehte sie sich zur Seite.

Da stand die Staffelei … mitten im Zimmer. Ein gemaltes Bild war darauf. Eine junge Frau in einem gelben Badeanzug war zu sehen. Sie erkannte sich und erschrak sehr. Man sah auf dem Werk nur ihren Rumpf und ihre Beine. Der Oberkörper war ausgeblendet. Überdimensional starrte ihr ihr Hinterteil entgegen. Über dem Bild hing ein Foto von ihr.

Tiefrot im Gesicht und aufs peinlichste berührt starrte sie auf das Bild. Sie brachte kein Wort über ihre Lippen. Er hatte sie zutiefst verletzt.

Da sie der Meinung war, dass ihr Po etwas groß geraten sei, trotz der zweiundfünfzig Kilos die sie wog, hatte sie schon oft gehungert, nur um noch etwas mehr abzunehmen. Aber sie nahm immer an den für sie falschen Stellen ab.

Im Umdrehen begegnete sie seinem erwartungsvollen Blick. Sie setzte sich wortlos ihm gegenüber und begann die Belege, die schon auf sie warteten zu sortieren. Kein Wort sagte sie. Und er … er sagte auch nichts.

Am nächsten Dienstag war das Bild verschwunden. Sie redeten nie darüber.

© Text und Bild Maria Fasching


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