„Peace. Nagasaki.“ (II)


Von Kyoto könnte ich schwärmen, ist es doch die Hochburg des Zen-Buddhismus. Im Ryoanji-Tempel mit seinem berühmten Steingarten können Sie sich am Tsukubai, dem Steinbecken der Teezimmer, mit einer hölzernen Schöpfkelle Erfrischung verschaffen. Die Zimmer selbst sollten Sie schon aufgrund der bemalten Schiebewände genauestens inspizieren. Nur einen kleinen Fußmarsch entfernt liegt der Kinkakuji-Tempel (Rokuon-ji), der durch seinen Goldenen Pavillion viele Einheimische anzieht. Er ist 1994 zum Weltkulturerbe erklärt worden und vereint in seinen drei Stockwerken die Architektur von Palästen, Samurai-Häusern und Zen-Tempeln. Im Kyoto Handicraft Centre finden Sie Porzellan, Lackwaren, Puppen, Noh-Masken und Fächer, die sich als Mitbringsel eignen und weder billig wirken noch sind. Einer Bekannten sollte ich einen Kamm aus besonderem Holz beschaffen, der sage und schreibe 170 Mark kostete. Ins Geld gehen übrigens auch die Eintrittspreise, die sich in Museen und Tempeln bis zu 30 Mark hochschaukeln. Etwa genausoviel muss man täglich fürs Essen ausgeben, wenn man sich bescheiden von Nudelsuppen in kleinen Restaurants und von abgepackten Sushi aus dem Supermarkt ernährt.    Ein kleiner Geheimtipp ist das abenteuerliche Nijo Jinya in der Nähe der Nijo-Burg. Dieses Haus wurde während der Tokugawa-Zeit von einem Samurai gestaltet und als Aufenthaltsort von Fürsten (Daimyos) genutzt, die in Kyoto zu Besuch waren. 1944 zum Nationalschatz erklärt, ist es bis heute in seiner alten Form erhalten. Nur eine begrenzte Zahl von Besuchern kann an Führungen teilnehmen, für die man sich vorher offiziell anmelden sollte. Ich schloss mich einem irgendwie Englisch sprechenden Paar an, das dort einen Termin hatte und auf meinen Vorschlag behauptete, ich würde zu ihnen gehören. Leider war die Führung dann nur auf Japanisch. Das Haus ist voller Fallen, es gibt zum Beispiel eine abwärts führende Fluchttreppe, deren Stufen man weklappen konnte, damit Verfolger ins Bodenlose stürzten. Auch schalldichte Kammern, in denen sich Leibwächter versteckten, und feuerfeste Fenster wurden uns demonstriert. Die Decke eines Flures war besonders niedrig konstruiert, um Schwertkämpfe zu unterbinden.    In Kyoto übernachtete ich in einem Ryokan, einer Unterkunft im traditionellen Stil. Das Hotel bestand also aus Zimmern, die keine Toilette und kein Bad hatten, mit Tatami-Matten ausgelegt und spärlich möbliert waren. Man schläft darin auf dem Boden im Futon, isst vor einem niedrigen Tisch sitzend und kann außer dem obligatorischen Tee nur noch TV genießen. Zur Körperpflege muss man ins Gemeinschaftsbad, wo ultraheißes Wasser in einem Becken vor sich hin dampft – sauber, denn Japaner duschen sich, bevor sie ins Badewasser steigen. Dafür standen ringsherum kleine Höckerchen unter den Duschbrausen, daneben Spender für Seife und Shampoo. Weil ich es gewohnt bin, allein zu baden, wartete ich ab, bis niemand mehr zu sehen war. Nach dem Bad warf ich mich in meinen Yukata, den Haus- und Bademantel, in dem ich alle anderen Ryokan-Bewohner  durchs Haus stapfen sah. Ich setzte mich auf einen Massagestuhl, warf eine Münze ein und ließ mir den Rücken von zwei automatischen Schlegeln bearbeiten. Dann trieb ich meinen Schabernack mit den alten Putzfrauen. Im Ryokan muss man stets die Schuhe ausziehen, schon unten am Eingang, bevor man aufs Zimmer geht. In den Etagentoiletten stehen  Pantoffeln, in die man eigens schlüpft, solange man sich auf dem Klo aufhält. Wenn man es verlässt, zieht man sie wieder aus. Ich ärgerte mich, dass keine Pantoffeln in meiner Größe vorhanden waren und nahm ein zu kleines Paar mit aufs Zimmer. Am nächsten Morgen hörte ich aufgeregte Stimmen im Gang und sah die zwei alten Putzfrauen sich gegenseitig Schlappen vors Gesicht halten. Da bekam ich doch Mitleid und trug mein blaues Pärchen zurück, was mir mit Kichern gedankt wurde.    Nun wurde es Zeit, meinen einwöchigen Japan Rail Pass zu nutzen. Um dieses Teil beneideten mich viele Japaner, die mir vorrechneten, was Zugfahrten normalerweise kosten. Für uns Ausländer gibt es die Möglichkeit, in unserem Heimatland (aber nicht in Japan!) den Rail Pass für die Dauer von einer, zwei oder drei Wochen zu erwerben. Kosten ca. 600 – 1200 DM. Mit Schnellzügen kommt man so fast in ganz Japan herum, in entlegenere Gebiete muss man gelegentlich Tickets anderer Bahnlinien lösen. Man spart locker zwei Drittel der üblichen Reisekosten, wenn man das Ticket täglich nutzt. So fuhr ich auf die westliche Insel Kyushu, um mich in Nagasaki, der katholischsten und angeblich liberalsten Stadt Japans, im Atombombenmuseum umzusehen. Eindrucksvoll wird hier anhand einiger historischer Figuren der Kampf von Menschen gegen ihren körperlichen Verfall dokumentiert. Draußen kann man vor großen Statuen meditieren, die vor allem an die Kraft der Mütter Japans erinnern. Der Anblick von Nagasakis Hafen lässt beinahe mediterrane Stimmung aufkommen.    Besinnlich ging es auch im Sofukuji-Tempel zu, der im Ming-Stil erbaut wurde. Gerade, als ich den Abt in Robe fotografieren wollte, zog er sich zurück. Ich folgte, rief ihn und kam inzwischen der englischsprachigen Aufforderung auf einem Schild nach, eine kostenlose Tasse Tee aus der Thermosflasche zu trinken. Da kehrte der Abt in einem bedruckten T-Shirt zurück, auf dem Anzüglichkeiten in Englisch standen. Ich sprach ihn darauf an. Er wunderte sich – viele Japaner trügen diese T-Shirts, ohne zu wissen, was die Worte darauf bedeuteten. Wir unterhielten uns über seinen Tempel, den ältesten der Obaku-Sekte, einer chinesischen Zen-Spielart, die von Ingen Ryuki Mitte des 17. Jahrhunderts in Japan etabliert wurde und neben der Rinzai- und Soto-Schule eher ein Schattendasein führt. Der Abt erklärte mir, wie stark Ingen die Kultur Japans beeinflusste, seine Schrift, die Tee-Zeremonie und vieles mehr. Das größte Problem des Abtes schien zu sein, eine passende Frau zu finden. Das Leben an der Seite eines Priesters sei nicht besonders beliebt, meinte er, und so gäbe es bisher keinen Nachkommen, der einmal seinen Tempel weiterführen könne, so wie der Abt ihn einst von seinem Vater übernommen hatte. Wir unterhielten uns so lange, dass ich abends schließlich durch ein Seitentor dem bereits verschlossenen Tempel entschlupfen musste.    Was sind gute Geschenke für Japaner? Ich erkundigte mich bei einer Musikstudentin aus Fukuoka (Hakata), die mich zu einem Konzert dorthin eingeladen hatte, das sich mit meinem Reiseplan gut verbinden ließ. Ihre Eltern sorgten dafür, dass ich die besten Sushi und Fleischgerichte (vor allem am Spieß) vorgesetzt bekam und mein Urteil über die schwach gewürzte und viel zu saure japanische Küche revidieren musste. Könnte ein guter Trick für Reisende sein, deren Kasse knapp wird. Man behaupte einfach, alles in Japan sei schön und wunderbar und unübertroffen und einmalig in der Welt, nur das Essen schmecke nicht. Das will kein Japaner auf sich sitzen lassen. Jedenfalls sollte man sich stets revanchieren können. Ich hatte Haushaltsscheren von Zwilling dabei, außerdem kleine weiche Handtücher von – ja sowas, ich hab die Marke schon wieder vergessen, aber in Frankfurt gibt es eigens für solche Sachen einen japanischen Laden, in dem lauter Dinge ausliegen, die Japaner gern geschenkt bekommen.

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