De mortui nihil nisi bene.Man soll über Tote nicht schlecht redenTrotzdem, Gerechtigkeit muss auch für sie gelten. Und es scheint mir, dass Oskar Pastior, sein Securitate- Deckname „Stein Otto“, im jüngsten Berliner Symposion zu gut, zu harmlos weggekommen ist. So als hätte er in seinen Securitateberichten niemandem geschadet. Was nicht stimmt. Er hat geschadet. Es gibt Belege in meiner Akte.Vorweg die Tatsache: Pastior ist nachweisbar der mich damals gefährdente Spitzel, ich der Bespitzelte.
Und es gibt Belege auch dafür, dass ich damals sehr gefährlich lebte, mit einem Fuß im Gefängnis war, der Spionage für die BRD verdächtigt wurde! Pastiorberichte bestärkten die Securitate leider darin, dass mein Eintreten für die Moderne gegen das kommunistische System und seine Ideologie höchst gefährlich war. Ebenso ein Kreis junger Poeten um mich.Nur mein NL-Chef, ZK-Mann, rettete mich vor dem Knast.
Ernest Wichner, der die Rolle Täter und Opfer umkehren möchte, war damals schon Bundesbürger. Kannte 1965/66 weder mich noch Pastior. Und auf das Zeitwissen und auf die Zusammenhänge jener Zeit kommt es an, um zu urteilen.
Die Securitatezeit war alles andere als harmlos. Ich war in jenen Jahren 1959-1970 junger Redakteur der Zeitschrift NEUE LITERATUR in Bukarest und versuchte mit Enthusiasmus die verknöcherte rd Literatur aus ihrem Reservat heraus und in die Moderne zu führen, was gelang. Es führte später zur Aktionsgruppe und dann bis zum Nobelpreis. Ich plädierte auch für einen Widerstand gegen das System als „Versteckspiel in der Metapher“ im modernen Lyrikstil.Und genau deshalb wurde ich von der Securitate verfolgt, wie jetzt aus meinen Akten hervorgeht. 5 Hauptspitzel, alles „Freunde“, was mich sehr trifft, meine Erinnerungen ruiniert, und etwa 20 Nebenspitzel waren deshalb auf mich angesetzt- Der wichtigste Hauptspitzel war Oskar Pastior, der mich oft einlud, wohl um mich auszuhorchen,
In den Akten heisst es: Dieter Schlesak wird verfolgt… wegen seinen „feindlichen Manifestationen“ und wegen feindlicher Studien zur westdeutschen Literatur. D.h, also wegen meines Eintretens für die Moderne (die aus dem Feindesland Westen) kam. Ja, ich wurde wegen meiner westdeutschen Kontakte sogar der Spionage verdächtigt, und auf Spionage stand die TODESSTRAFE. Man sieht, harmlos war also das alles, wie Ernest Wichner behauptet, waren auch Pastiors Berichte beileibe nicht! Alle Belege gibt es in meinen Akten.In meinen Akten erscheint das mit der Spionage, mit der Todesstrafe. Der Westen war ja Feindesland! Ich war also in großer Gefahr damals.
Die die Pastiorberichte noch vergrößerten. Gefährlich war meine Arbeit für die moderne rd. Literatur in der Gefängnis- und Diktaturzeit also. Ernest Wichner informiert aus Unkenntnis der Zeit, aber auch um den Pastior-Preis zu retten, FALSCH über den IM Pastior und seine Rolle bei diesen Gefahren. Und: Akteneinsicht allein reicht bei weitem nicht aus, wichtiger ist die traumatische Erfahrung der Diktatur.
Schon meine Securitate-Akten, im Ganzen weit über 1000 Seiten, zeigen deutlich genug Pastiors subtile Denunziation. In einem Bericht vom November 1965 beschreibt er sogar meine „dekadente“ Kleidung und mich als westlich beeinflussten Bartträger, der sich mit dem Tod beschäftige. Pastiors zumindest schädliche, wenn nicht gar gefährliche Tätigkeit durch SpitzelBerichte gegen die angeblich feindliche Dekadenz und Moderne, ist absurd genug, da er ja selbst auch damals der modernste Lyriker der rd. Literatur war! Man muss seinen Securitate-Antimodernismus zumindest als Feigheit, wenn nicht gar als Gewissenslosigkeit ansehen. In Gedichten beschreibt er versteckt sogar seinen Gewissenskonflikt, ja seine Schuld bei seiner Securitatemitarbeit.
In meinem neuesten Buch, Titel: „Securitate“, das ich zum Verlag Wallstein geschickt habe, ist das detailliert aufgearbeitet.Wenn man die Berichte oder auch Berichtlosigkeit aller meiner Spitzel vergleicht, hat Pastior, das ist jetzt klar, mehr denunziert als (auch aus Angst) nötig gewesen wäre. Viele haben damals geschwiegen oder sich verweigert.
Wie sehr ihn seine Feigheit beschäftigt hat, zeigt, dass er auch versteckt in Gedichten, seine Spitzeltätigkeit wie eine Schuld aufgearbeitet hat.Wie schon Richard Wagner betonte, ist es nicht angebracht im Schatten dieser Pastior-IM-Tätigkeit einen Pastior-Preis zu vergeben.