Palenque - San Cristóbal: Wir kommen im Fernsehen!

So, das wird für einmal keinen Riesentext geben, denn in diesen vier Tagen ist nicht allzuviel seltsames oder sonst wie komisches passiert. Es ging hauptsächlich auf und ab, dabei viel mehr auf als ab. Absolut widerlich waren die Rekordmengen Schweiss, die wir produziert haben, ich kann mich nicht erinnern, dass es zuvor schon einmal soo schlimm gewesen war. Aber diese feuchte Hitze und dazu noch längere Steigungen sind wohl nicht die empfehlenswerte Kombination. Aber gut, dank dem Bus-Ausflügli kannten wir die Strecke des ersten Tages flüchtig, unser Ziel war es, ungefähr bis zur Abzweigung zu der Cascada de Agua Azul zu fahren, dort aber nicht hinunterzufahren, sondern entlang der Hauptstrasse eine Schlafmöglichkeit zu finden. Wir waren etwas unsicher, da wir gehört hatten, dass die Leute in der Region Fremden gegenüber manchmal etwas zurückhaltend und skeptisch waren. Das hänge anscheinend mit dem Zapatisten-Aufstand der 90er-Jahre zusammen, der sich gegen die (weisse) Regierung in Mexiko City gerichtet hatte, von der sich die indigenen Bauern unterdrückt gefühlt hatten.

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Zapatisten-Territorium: Hier regiert das Volk,
die Regierung gehorcht.


Die meisten Leute waren jedoch nett und freundlich und als wir am Nachmittag gerade wieder einmal in einer steilen Steigung steckten und am Strassenrand ein kleines Lädeli mit kalten Getränken stand, nutzten wir die Gelegenheit zu einer kurzen Pause. Gatorade hat sich hier in Mexiko wegen des hohen Preises leider disqualifiziert, ist ja aber auch nicht konkurrenzlos. Wir hatten kaum unsere Flaschen geöffnet, als zwei Männer anspaziert kamen, einer davon mit einer Filmkamera und Stativ, worüber wir uns ziemlich wunderten. Sie sprachen uns aber gleich an und klärten die Sache. Sie waren nämlich Reporter und auf der Suche nach Material zum Thema "Deporte de Aventura en Chiapas", Abenteuersport in Chiapas. Wir fühlten uns zwar nicht gerade wie Abenteuersportler, aber warum sollten wir uns den Herren nicht interviewen lassen, wenn die solche Freude an uns und unserer Reise hatten. Ich hatte zwar etwas Zweifel an unserer Professionalität in Sachen Interviewgeben, sie schienen damit jedoch kein Problem zu haben und filmten auch unsere Abfahrt, als sie uns im Auto überholten und später nochmals aus dem "Hinterhalt" im Strassengraben. Nette Herren, schade, dass wir unseren Fernsehauftritt selber nicht sehen werden.
Das einzige eher negative Erlebnis an jenem Tag war, dass wir bei einem Früchtekauf ziemlich abgezockt wurden, aber dass kann überall passieren und hatte wohl wenig mit Zapatisten zu tun. Da wir nach den Megagewittern in Palenque keine grosse Lust zum campen hatten und abgesehen davon, dass es auch nicht leicht gewesen wäre, einen brauchbaren Ort zu finden, stoppen wir nach 66 km und 5:43 Stunden im  kleinen Dorf Xhalina um nach einer überdachten Unterkunft zu fragen. In dem Moment, in dem wir hielten, waren wir umringt von einer riesigen Kinderschar, die extrem neugierig waren und alles anfassten und haben wollten (Drachen, Schlangen, Schildkröten). Ich zücke versuchsweise meine Kamera und es dauerte keine zwei Sekunden und alle waren weg. Anscheinend haben mexikanisch Indígena ähnliche Ansichten betr. fotografieren, wie diejenigen in Bolivien, Perú und Ecuador. Die Kids waren aber auch schnell wieder da, sobald kein Fotoaparat mehr in Sicht war und ein herziger, recht verträumt und naiv wirkender Junge störte sich sowieso nicht daran und wurde von den Mädels jeweils richtiggehend weggezerrt.
Wir waren von einem netten Señor an den Comedor La Selva verwiesen worden, dort würden anscheinend Zimmer vermietet. Die Chica meinte aber, es sei alles belegt, ein junger Herr, der gerade auftauchte, war aber durchaus bereit, mir für P. 100 ein Zimmer abzutreten. Das war zwar klein, mit einem einzigen Bett drin, würde es aber für eine Nacht durchaus tun. Gleich hinter dem Haus floss ein kleiner Fluss durch, der  wunderschön hellblaues Wasser führte. Auf unsere überraschte Frage, wie das den komme, wenn alle anderen Wasserläufe braun seien, meinte der Señor, das Wasser entspringe einer Quelle nicht weit von seinem Haus entfernt. Bei Regen werde das Wasser zwar ganz leicht trüb, aber nie so richtig schmutzig. Das freute uns natürlich besonders, den ganzen heissen Tag lang hätten wir viel dafür gegeben, in so ein Flüssli jucken zu können, nun hatten wir eins vor der Haustür. Blöderweise begann es kurz nach unserer Ankunft zu regnen und es kühlte auch markant ab. Davon liessen wir uns aber nicht abhalten, das Bad wurde zwar recht frisch und entsprechend kurz, war aber trotzdem äusserst belebend.

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Perfekte Badi.


Am Morgen darauf sprangen wir vor der Abfahrt nochmals kurz ins Wasser, wieder unter den verwunderten Blicken der einheimischen Kinder, die sich wohl fragten, warum die Gringas immer bei Regen und/oder morgendlicher Kühle badeten. Dann ging es auch schon weiter, immer schön den Berg hoch. Wie schon tags zuvor waren die Leute zwar nett, die Kinder, die die ganze Zeit entweder Geld oder unsere Mascotas wollten, begannen langsam auf die Nerven zu gehen. Und nicht nur die Kinder, auch die Schwellen, hier ebenso zahlreich wie in Guatemala und auch hier oft nicht markiert, weder farblich oder per Tafel, waren mit der Zeit nicht mehr so lustig. Aber klar, irgendwie muss man die Autofahrer zum bremsen zwingen und viele andere Möglichkeiten dazu gibt es wohl nicht. Auf dem höchsten Hügel des Tages, auf etwa 1'200 müM änderte sich zumindest die Vegetation von tropisch zu Nadelwäldern und wieder zurück als wir ins Tal von Ocosingo auf 900 m (53 km, 5:14 h) runterfetzten.

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Grün mit einem gelegentlichen Farbtupfer.


Wer hatte den eigentlich je behauptet, Chiapas sei günstiger als z.B. Yucatán? Dem war überhaupt nicht so, auch unser Hotel in Ocosingo, das überhaupt keinen hohen Standart aufweisen konnte, kostete P. 220. Das eine Günstigere, das wir gefunden hatten, hatte so kleine Zimmer, dass da nicht einmal all unser Gepäck reingepasst hätte. Dann war auch die Restaurantsuche am Abend wie schon verschiedentlich in Mexiko gar nicht so einfach. Die Restaurants schliessen früh, als einzige Alternative bleiben oft Tacos (ähnlich wie Panuchos: kleine Tortillas mit Fleisch und anderem drauf) u.ä., die aber eigentlich eher als Snack gemeint sind und von denen man einen ganzen Haufen essen muss um satt zu werden.
Der nächste Morgen begann kühl und selbverständlich mit einer Steigung. Und mit der Begegnung des perversesten Typen der gesamten bisherigen Reise. Wir strampelten gerade aus der Stadt heraus als da dieser Schwüggel hinter einer Brettermauer hervortrat, nur mit T-Shirt bekleidet, das er hochhob und seinen Pimmel vor mir herumschwenkte. Was er dazu sagte, habe ich nicht mitgeschnitten und als einzige Antwort, die mir einfiel, zeigte ich ihm einen auch nicht nett gemeinten Finger. Keine Ahnung, was der halb nackt draussen vor dem Haus wollte, aber dass der mal auf gut Glück auf radelnde Gringas gewartet hatten, ist ja eher unwahrscheinlich.

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Kein Foto vom Schwanzschlenkerer!


Nun, der Exhibitionist war bald verdrängt und vergessen, wir waren eher wegen den drohenden Wolken besorgt, die uns das Leben hier in den Bergen vermiesen könnten. Netterweise machten sie das aber den ganzen Tag lang nicht, im Gegenteil, sie spendeten Schatten und wir schwitzten weniger. Von der einen Version Strassensperren, die wir an jenem Tag sahen, hatten wir schon gehört. Da wird ein Seil über die Strasse gespannt, sei es, um sich die Weiterfahrt bezahlen zu lassen, oder um die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf die zu verkaufenden Waren zu lenken. Wir wurden aber ohne Geldabzocke durchgelassen. Die zweite Blockade war heftiger, zumindest für Autofahrer. Da lagen nämlich von unten vernagelte Bretter auf der Strasse, als Auto muss man da stoppen, ob man nun will oder nicht. Was die Männer dort wollten, wissen wir nicht, ich sah einige mit Clipboards und Papieren, möglicherweise war das eine politische Aktion, für uns wurden die Bretter aber anstandslos weggezogen.
Wir hatten bis Santo Tomás Oxchuc etwa mit 50 km gerechnet, waren aber schon nach 45 km dort, für die wir immerhin 5:31 Stunden gebraucht hatten. Das Dorf hatte sogar ein richtiges Hotel, das mit P. 120 bisher das günstigste war. Eigentlich. In Palenque hatten wir P. 150 bezahlt für ein schönes Zimmer mit zwei bequemen, breiten Betten und privatem Bad. Hier hatten wir für 30 Pesos weniger einen kleinen Bunker, ein durchhängendes Bett und draussen ein Klo. Ok, und eine durchaus warme Dusche. Aber in Relation gesetzt war das gar nicht günstig. Das gleiche Spiel wie abends zuvor auf der Suche nach Futter, Restaurants waren keine offen, blieben wieder Tacos.
Blieben noch  55 km bis San Cristóbal. Diesmal ging es rauf bis auf über 2'400 m, das meiste davon im Nebel, der uns gehörig einnässte. Wenn man etwas von der Landschaft sah, hätte das auf den ersten Blick in den Alpen sein können: Kiefernwälder und von Felsblöcken durchsetzte Wiesen dazwischen, alles schön von Nebelschwaden bedeckt. Bei näherem Hinschauen sah man schon, dass einige Details nicht stimmten, oft blickten wir aber auch nur knapp vor uns auf die Strasse um nicht allzuviel Regen ins Gesicht zu kriegen. Dass wir da keinen trockenen Platz zum Zmittag essen finden würden war klar, und leider gab es in der Region mehr politische Schilder als Comedores an der Strasse. Schliesslich fanden wir doch eine "Cocina economica", eine "Günstige Küche". Billiger als anderswo war das Futter dort zwar nicht, aber die beiden Indígena-Frauen gaben sich Mühe, uns mit ihren beschränkten Spanischkenntnissen zu erklären, was für Essen sie im Angebot hatten und sie brachten uns auch ein kleines Öfeli, da wir offensichtlich nass waren und frohren.
Eineinhalb Stunden später, nun satt nach einer Hühnersuppe und den besten Tortillas in ganz Mexiko, dazu auch schon fast trocken, wagten wir uns wieder hinaus. Die Strasse stieg nochmals kurz an, kann kam ein flaches Stück und schon sausten wir hinunter nach San Cristóbal. Um 14 kamen wir in den Aussenbezirken an, wo uns sogar ein schüchterner Sonnenschein empfing. Wir hatten eine Hostalempfehlung für San Cristóbal, El Hostalito, das einem spanischen Ciclista gehört. Es ist herzig eingerichtet, Joaquin ist ein super sympatischer Typ und als überzeugendstes Argument hat das Hostal auch eine Küche. Im Vergleich zum Standard ist es zwar nicht unbedingt günstig, als Ciclistas haben wir aber einen Spezialpreis erhalten. Und die vermeintlichen 55 km waren schlussendlich nur 52 km gewesen (4:47 h).

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Avenida Miguel Hidalgo.

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La Merced.


San Cristóbal ist eine hübsche, koloniale Stadt auf 2'120 müM und einem angenehmen Klima. Tagsüber wird es (wenn es nicht gerade regnet) schön warm, in der Nacht kühlt es jedoch auch wieder ab und man kann gut schlafen, zumindest wenn man genug warme Decken hat. Leider musste ich hier wegen Zahnschmerzen schon wieder einen Besuch beim Dentista einschalten und bin nun wieder etliches an Kohle los. Dafür hat Joaquin meine Gangschaltung behandelt, die seit längerem total desaströs ist. Muss das noch ausprobieren, hoffe aber, das das funktioniert hat, die Bicicleterías haben hier nämlich die Teile nicht, die ich früher oder später werde ersetzen müssen. Nach einer grösseren Putzaktion sind jetzt auch alle Bidons wieder blitzblank sauber, die Camping-Matte ist geduscht und Seidenschlafsack gewaschen. Somit ist jetzt alles bereit zum wieder verschmutzt werden.

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