Das Thema der aktuellen pädagogischen Dienstage heisst “Hausaufgaben”. Warum braucht es Hausaufgaben? Braucht es sie wirklich? Wie gehen wir am besten mit ihnen um? Was vermeiden wir besser? Wie immer freue ich mich über Anregungen, Meinungen und Diskussionen, hier im Blog, auf Facebook, per Mail oder im direkten Gespräch.
“Vielleicht kannst du an einem Dienstag darüber schreiben, was Mütter tun können, wenn Hausaufgaben zu viel Zeit weg nehmen – oder generell wie man diese am besten gestaltet, damit sie effektiver werden. Aus deiner Sicht als Lehrerin und Mutter.”
Petra von “Klein wird gross” hat mir diesen Vorschlag gemacht, und ich nehme ihn gerne auf. Vielen Dank für die Anregung, Petra!
Es geht heute also um die Triage “Schule – Hausaufgaben – Familie”, und tatsächlich widersprechen sich dabei meine Lehrerinnen- und meine Muttersicht!
Meine Lehrerinnensicht
“Liebe Eltern, Hausaufgaben sind etwas zwischen Ihrem Kind und mir. Sie sollen kein Streitthema sein bei Ihnen zuhause. Wenn das Kind sie nicht machen will oder nicht so, wie Sie das wünschen, dann lassen Sie es einfach. Schreiben Sie mir vielleicht eine kurze Notiz, und ich kläre es dann mit dem Kind in der Schule.”
Ungefähr so lautete mein Standardtext als Klassenlehrerin an den Unterstufen-Elternabenden.
Das klappte prima. Meistens brachten die Kinder tadellose Hausaufgaben mit in die Schule. Ab und zu lag ein verzweifelter Brief in der Hausaufgabenmappe: “Bitte entschuldigen Sie, aber weder mein Mann, noch ich, noch das Kind haben verstanden, was die Aufgabe war.” (Meistens lagen mehrerer solcher Briefe in den Mappen, und ich hatte tatsächlich einen Stuss zusammenkopiert am Tag davor.) Manchmal stand ein zerknirschtes Kind vor mir, das die Hausaufgaben vergessen hatte zu lösen. Es musste dann halt an dem Tag zwei Aufgaben machen zuhause und je nach geltendem Strafensystem verlor es zusätzlich mehr oder weniger Credit. Nur selten hatte ich Schüler oder Schülerinnen, bei denen die Hausaufgaben zum Problemthema zwischen uns wurden.
Worauf ich sehr empfindlich reagierte, waren Aussagen der Kinder wie: “Ich habe dann heute keine Zeit für die Ufzgi, wir gehen noch weg.”
“Für die Ufzgi musst du Zeit haben. Deine Eltern wissen das”, gab ich dann freundlich, schnippisch, drohend oder augenzwinkernd (je nach Stand meines Blutzuckerspiegels) zur Antwort. Und dachte: “Echt, ich fasse es nicht! Eine Viertelstunde pro Tag müssen sie für die Hausaufgaben einsetzen, und sie machen ein Problem draus!”
Meine Muttersicht
Die Hausaufgaben sind eine Sache zwischen Kind und Lehrerin?! Dass ich nicht lache!
Die Hausaufgaben beeinflussen das ganze Familienleben. Das eine Kind eine Viertelstunde pro Tag (mir graut davor, dass es bald schon mehr werden könnte) ruhig und konzentriert an einem Tisch sitzen zu lassen, ist eine echte Aufgabe. Wenn das Kind nach Hause kommt, gibt es Mittagessen. Danach ist Mittagsruhe, in der das Kind spielen will und keinen Schulstoff lösen. Um 14 Uhr klingelt bestimmt ein Gspänli an der Tür, und die Kinder verschwinden zusammen irgendwo. Zvieri, vielleicht noch ein gemeinsames Programm oder eine Freizeitaktivität, und dann ist schon Zeit fürs Nachtessen. Und wer denkt bitteschön am Feierabend ans Hausaufgabenmachen?
Jeden Tag eine Viertelstunde Zeit aufwenden für die Hausaufgaben muss einfach möglich sein? Und an dem Tag, an dem Nachmittags auch Schule ist und wir gleich anschliessend an eine Geburtstagsparty gehen, die bis um 20 Uhr dauert? Okay, dann kann man die Ufzgi immer noch am nächsten Morgen vor der Schule machen…
Natürlich ist es möglich. Vor allem mit einem Kind wie der perfekten Tochter, die meistens speditiv und motiviert arbeitet, und die eine Lehrerin hat, die kein Übermass an Hausaufgaben gibt. Aber der Einfluss auf die ganze Familie ist viel grösser, als ich gedacht habe.
Am Wochenende habe ich mit einem Mami gesprochen, deren Tochter eine ganz ruhige Umgebung braucht, um konzentriert an den Hausaufgaben arbeiten zu können. Schwierig mit zwei kleinen Brüdern und eine tägliche Herausforderung.
Tipps
Ich habe mich gefragt, ob ich wirklich Tipps geben kann und will. Jede Familie ist verschieden, jedes Kind ist verschieden und sogenannte allgemeingültige Tipps sind manchmal eher ärgerlich als hilfreich. Ich habe mich entschieden, es dennoch zu tun und eine Liste zusammenzustellen mit Vorgehensweisen, die ich als hilfreich empfinde. Übrigens – wir halten uns selber nicht an alle!
- Die Hausaufgaben als das sehen, was sie meiner Meinung nach sind: Eine tägliche Pflicht, die es zu erfüllen gilt. So wie ich dreimal am Tag die Küche mache, macht mein Kind einmal am Tag Hausaufgaben. Dabei kann man jammern, schimpfen, sich ärgern, es herausschieben – aber machen muss man es.
- Den Wert der Hausaufgaben relativieren. Es ist wichtig, sie zu machen, es ist aber auch wichtig, Zeit zu haben, um nach draussen zu gehen und für sich zu spielen.
- Darauf achten, in welcher Verfassung das Kind ist, wenn es sich an die Hausaufgaben setzt: Müde, hungrige, erschöpfte oder überreizte Kinder können sich nicht konzentrieren. Also vielleicht lieber nach dem Znacht, wenn alle satt sind, als noch schnell vorher.
- Eine Hausaufgabenzeit festlegen. Möglicherweise kann dies nicht an jedem Wochentag dieselbe Zeit sein, aber dabei kann man auch herausfinden, unter welchen Voraussetzungen das Kind am besten lernt.
- Als Mutter/Vater verfügbar sein, während das Kind die Hausaufgaben macht, ohne sich unnötig einzumischen. Für mich hat es sich bewährt, am Tisch zu sitzen und zu lesen, während mein Kind arbeitet. Ich bin in der Nähe, kann helfen wenn gewünscht, werde aber nicht kribbelig, wenn das Kind etwas anders macht, als ich es machen würde.
- Die Verantwortung dem Kind überlassen. Wenn es findet, es habe genug gearbeitet, wird das so sein. (Und wenn nicht, spürt es die Konsequenzen ziemlich sicher in der Schule.)
- Will das Kind allerdings zu perfektionistisch sein, ist es schön, wenn der Vater/die Mutter korrigierend eingreift und für mehr Lockerheit plädiert.
- Bei Fragen und Problemen Kontakt zur Lehrperson aufnehmen. “Mein Kind konnte diese Aufgabe nicht lösen.” – “Was ist der Sinn dieser Art von Hausaufgaben?” – “Sie sagen, Hausaufgaben sollen eine Viertelstunde dauern, mein Kind braucht immer viel mehr Zeit dafür.” Dies sind für die Lehrperson wertvolle Rückmeldungen.
- Den Kontakt zur Lehrperson aufnehmen, bevor man mit den Nerven am Ende ist. Das ist energiesparend, und die Chancen für ein konstruktives Gespräch liegen höher.
Ergänzung
Es wird eine Zeit kommen, da reicht die Viertelstunde nicht mehr. Da reicht die eigene Kompetenz nicht mehr. Da wird es zwangsläufig eine Sache zwischen Schule und “Kind”. Und doch betrifft es weiterhin die ganze Familie. Schnipseltippse hat dies letzte Woche eindrücklich beschrieben: Lernen extrem
Mit dieser Ergänzung will ich nicht entmutigen, sondern sagen: Das Thema Hausaufgaben bleibt über lange Zeit aktuell. Es lohnt sich, als Familie einen Umgang zu finden, der passt. Immer wieder neu.