Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!

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Das Parlamentsgebäude in Wien – Foto: © Brigitte Buschkötter / pixelio.de

Justizminister Brandstetters Ignoranz für Gewaltopfer

Was Andrea Juen und Sabine Pockreiter erleben – “Die Justiz” ist das grösste Problem im wirksamen Vorgehen gegen körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, wissen Opferschutzeinrichtungen und Frauenorganisationen. Natürlich werden auch alle anderen Formen von Gewalt kaum geahndet, nicht wahrgenommen, die Opfer werden verspottet oder ignoiert. Täterschutz geht damit einher, dass Opfer via Seilschaften in der Justiz, die oft auch Angehörige der Polizei umfassen, schikaniert werden.

Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder – Die Fälle sind nicht immer “einfach”

Es ist nicht ungewöhnlich, eine lange Liste an verletzten Strafgesetzbestimmungen aufzuzählen, einerseits durch Täter, andererseits durch jene Organe der Verwaltung, die Recht und Ordnung wahren und durchsetzen müssten. Verständlich, dass Opfer, sofern sie nicht gebrochen klein beigeben, vor Verzweiflung einfach nach Wien fahren, um einmal bei anderen Stellen Gehör zu suchen.  Andrea Juen und Sabine Pockreiter beschlossen nach einem Telefonat mit dem Team von “Schauplatz Gericht” und “Bürgeranwalt”, am Morgen des 31. Jänner den ORF zu besuchen, mit tonnenweise Akten im Gepäck. Peter Resetarits und Ludwig Gantner nahmen sich die Zeit, ihnen zuzuhören, sodass sie komplexe Fälle der systematischen Verletzung ihrer Rechte und der ihrer Kinder zumindest ansatzweise zu schildern.

Eine Odyssee

Ich begleitete die beiden, die mich vorher per Handy verständigten und abholten. Dann wollten sie, weil das Wochenende nahte, in den Heimatort von Justizminister Wolfgang Brandstetter fahren und diesen oder seine Ehefrau ansprechen. “Rein journalistisch” betrachtet ist so ein Vorhaben wohl nicht erfolgversprechend, aber wer sich mit solchen Schicksalen befasst und selbst einiges erlebt hat, weiss, dass konventionelle Mittel versagen. Und es geht ja nicht darum, was nicht direkt Betroffene, aber Mitfühlende tun würden, sondern was Betroffene wollen. Tatsächlich hat Frau Pockreiter kurz mit Frau Brandstetter gesprochen, die meinte, wir sollten uns an das Ministerbüro wenden, da sie nichts entgegennehmen dürfe. Da Andrea und Sabine dann auf dem Heimweg nach Tirol von einem ORF-Mitarbeiter angerufen wurden, der mit ihnen persönlich reden will, kamen sie am 5. Februar wieder nach Wien.

Weil das Wochenende dazwischen lag und es auch notwendig ist, die “Fälle” zunächst schriftlich zusammenzufassen, habe ich Ministerien, Parteien, Einrichtungen angemailt und teils auch telefoniert. Dies immer mit der Ankündigung, dass Andrea und Sabine nach Wien fahren und dann gerne mit denen persönlich sprechen würden, die sich kurzfristig Zeit nehmen. Klar, dass die erste Station das Justizministerium war, wo jedoch der Portier einen Zettel hatte, auf dem stand, dass Frau Juen und Frau Pockreiter wegzuschicken sind. Er grinste auch und drohte mit der Polizei, doch Frau Pockreiter, die ich begleitete, während Frau Juen und eine weitere Mitstreiterin, Marie Salmhofer, zunächst im Auto warteten, wollte sich davon nicht einschüchtern lassen. Ich rief dann bei Frau Greulberger im Ministerbüro an, mit der ich am Vortag gesprochen hatte und die mir da noch auf normal freundliche Art sagte, dass ich das Anliegen mailen solle und es dem Kabinettchef vorgelegt werde.

Nun aber legte Greulberger einfach auf, als ich meinte, dass die beiden verzweifelten Frauen zumindest kurz mit jemandem im Ministerium reden müssten. Sabine ging dann zur Einlaufstelle, wobei der Portier sicher gegen sie handgreiflich geworden wäre, hätte es nicht mich als Zeugin gegeben. An der Einlaufstelle, wo Sabines Akten, die sie im Auto mithatte, abgestempelt und entgegengenommen werden müssten, standen dann drei Männer plus Portier und grinsten nach dem Motto “wir nehmen nix entgegen, ihr habt’s da nix verloren, ihr Weiber”.

Ich wies sie darauf hin, dass sie die Unterlagen in Empfang nehmen müssten, und dass sie Frauen nicht so behandeln dürfen, denn Österreich hat die Europaratskonvention gegen Gewalt gegen Frauen unterzeichnet – und beide Frauen bzw. ihre Kinder sind unter anderem Gewaltopfer, die von der Justiz den Eindruck haben, dass es ausschliesslich Gewalttäterschutz gibt. Wir erlebten auch sozusagen Opferwegweisung aus dem Justizministerium, während in Tirol in manchen Gegenden die Polizei offen sagt, dass sie Täter nicht nach dem Gewaltschutzgesetz wegweist.

Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!
Zutritt verboten für Gewaltopfer
(Andrea Juen beim Justizministerium)

Dann gingen Andrea und Marie voran, wurden jedoch sofort von drei Personen, zwei Männern und einer Frau, die auf dem Weg zur Arbeit ins Ministerium waren, angegrinst und ebenfalls mit der Polizei bedroht. Wir überlegten, ob wir es darauf ankommen lassen sollten, da dann ein Protokoll aufgenommen würde, waren aber immerhin zu zweit bzw. dann zu viert, sodass wir auch so bezeugen können, wie wir behandelt wurden. Später im Verlauf des Tages erfuhren wir mehr darüber, wie zäh die Gespräche über den Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt verlaufen, welcher Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ein besonderes Anliegen ist.

Und da die Justiz seit Jahren unverändert als das grosse Hindernis im Gewaltschutz gilt, klärt unser Erlebnis die Fronten auf eine Weise, wie es ein Schlagabtausch in Presseaussendungen nicht bewirken kann. Ich erzählte den anderen, dass ich oft bei Pressekonferenzen und Veranstaltungen war, wo meist allgemein, manchmal untermauert mit Fallbeispielen (aber sehr selten in der Form, dass Betroffenen selbst sprechen) über Gewalt und Gewaltschutz geredet wird. Auf eine Pressekonferenz der Frauenministerin, der Interventionsstellen, der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Frauenhäuser, der Wiener Frauenhäuser, der Frauenstadträtin und anderer Politikerinnen würde das Ministerium unverbindlich reagieren, mit dem Minister in den Mund gelegten Aussagen, dass der Kampf gegen Gewalt wichtig sei und keine Frau im Stich gelassen werden dürfe.

Tags darauf lese ich auf der Webseite des Justizministeriums: “Herzlich willkommen beim Bundesministerium für Justiz – Das Bundesministerium für Justiz ist eine Verwaltungsbehörde des Bundes und hat die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in der Organisation und eine die Rechtsschutzinteressen der Bevölkerung wahrende Rechtspflege sicherzustellen. Die politische Leitung des Justizressorts obliegt dem Bundesminister für Justiz. Er gehört – wie alle Bundesminister/innen – zu den obersten Verwaltungsorganen des Bundes und ist Mitglied der Bundesregierung.” Und zur Rolle des Ministers steht: “Der Bundesminister für Justiz steht an der Spitze der Justizverwaltung; ihm ist das Bundesministerium für Justiz beigeordnet. Der Bundesminister für Justiz gehört zu den obersten Verwaltungsorganen des Bundes und ist Mitglied der Bundesregierung. Ihm obliegt die politische Leitung, Koordination und oberste Aufsicht über das Justizressort (samt Strafvollzug) und alle dazugehörenden Dienststellen.”

“Eine die Rechtsschutzinteressen der Bevölkerung wahrende Rechtspflege sicherzustellen” sieht also in der Praxis so aus, dass diesen Frauen und vielen anderen jedes Recht, jedes Rechtsschutzinteresse abgesprochen wird. Hingegen wird, wenn Andrea, Sabine und ihre UnterstützerInnen Eingaben machen, Auskünfte verlangen, auf die angebliche Unabhängigkeit der Justiz verwiesen. Unabhängig ist diese vielfach aber von jedem Rechtsempfinden, fast allen Bestimmungen der Bundesverfassung, von der Europäischen Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta, UN-Konventionen, dem Staatsvertrag, dem Strafgesetzbuch und vielem anderen. Allenfalls wird selektiv, nämlich gegen Opfer, die vergeblich vor Tätern und Taten geschützt werden wollen, auf Paragrafen Bezug genommen.

Wir haben eine Menge Adressen und Telefonnummern, ich schlage aber spontan vor, dass wir zu den Grünen gehen, wo ich die Abgeordneten Albert Steinhauser, Berivan Aslan und Judith Schwentner vorab per Mail informiert habe. Unterwegs ruft Sabine bei SPÖ-Bundesfrauensekretärin Andrea Brunner (zuvor im Frauenministerium) an, erreicht nur eine Mitarbeiterin, wird dann aber nicht zurückgerufen. Ich melde mich wie am Montag vereinbart bei Sigrid Nitsch, einer Referentin der Frauenministerin, doch diese ist leider erkrankt. Mir wird versprochen, dass eine andere Mitarbeiterin in Kenntnis gesetzt wird und mich anruft, wobei ich am Telefon kurz schildere, was im Justizministerium passiert ist.

Bei den Grünen haben wir Glück, denn es sind zwar die vorinformierten Abgeordneten nicht da, doch der Tiroler Georg Willi. Seine Themengebiete sind eigentlich Verkehr und Infrastruktur, aber als vorher langjähriger Landtagsabgeordneter ist er mit vielen Bereichen vertraut. Er nimmt sich die Zeit, Andrea und Sabine schildern zu lassen, was ihnen über die Jahre widerfahren ist, wobei sie nur ein ungefähres Bild zeichnen können, einige, aber nicht alle Details erwähnen und Marie und ich helfen, manches zusammenfassend zu erklären. Dass andere auf diese Weise unterstützend wirken, trägt nicht nur dazu bei, die Dramatik der Ereignisse zu vermitteln, es ist auch für Mitfühlende, aber nicht direkt Betroffene leichter, darüber zu sprechen. Etwas abstrakt wird der Widerstand gegen Gewalt als Retraumatisierung bezeichnet, mit der sich Opfer auseinandersetzen müssen, etwa wenn sie vor Gericht gehen.

Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!
Zutritt verboten für Gewaltopfer
(Angestellte – u.a. im Bild – drohen mit Polizei)

Wenn beispielsweise in Verhandlungen über den Nationalen Aktionsplan Maßmahmen gefordert werden, geht es auch um den Umgang mit Retraumatisierung. Dass Prozessbegleitung dies berücksichtigt, ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, solange Richter (und leider auch einige Richterinnen) Frauen und Kinder nicht vor Gewalt schützen wollen. Wenn Opfer dann auch noch über Jahre schikaniert werden, sie durch den Kampf gegen Unrecht und das permanent zugefügte weitere Unrecht alles verlieren, kommt massiver existentieller und psychischer Druck hinzu, was zusammen mit der nicht abgeschlossenen Gewalterfahrung auch traumatisiert. Willi ist jedenfalls erschüttert, als Andrea und Sabine berichten, dass sie selbst Gewaltopfer sind, von Polizei und Justiz nicht geschützt wurden, dass ihre Kinder bzw. die Kinder von Sabines Lebensgefährten Missbrauch ausgesetzt waren.

Andrea sagt, sie fand ihre Tochter weinend auf dem Boden liegen und fragte ihren Ex-Mann, was er in deren Zimmer getan habe; sie trennte sich von ihm, verarbeitete ihre Erfahrungen in Romanform, was zu neuerlichen Bedrohungen auch an ihrem dadurch verlorenen Arbeitsplatz führte. Der Ex-Ehemann bekam den Wert des Andrea vom mittlerweile verstorbenen Schwiegervater unwiderruflich geschenkten Hauses via Versicherung ausbezahlt, obwohl er die Aufteilungsfrist versäumte. Er hatte eine Erbverzichtserklärung unterzeichnet, doch seine Freunde bei Gericht sprachen ihm auch das Haus zu, ohne Andrea je anzuhören. Andrea steht vor der Delogierung, während Sabine nach dem geschilderten Wienbesuch vor ein paar Tagen von der Raika Seefeld via Gericht geklagt wurde.

Sie sollen 9000 Euro bezahlen bei Androhung mit Haft, wenn sie diese Summe nicht aufbringen kann. Dass ihr Konto überzogen ist, liegt daran, dass sie und ihr Partner am Limit leben, man ihnen nicht nur ihr Recht vorenthält, sondern auch Transferleistungen, auf die sie und die Kinder Anspruch hätten. Sabine wurde von ihrem Ex mit der Waffe in ihrer Arbeit als Kindergruppenleiterin bedroht, was sie ihren Job kostete. Man sagt ihr bei der Bezirkshauptmannschaft zynisch, sie solle doch arbeiten gehen, wenn es sich finanziell nicht ausgeht – davon abgesehen, dass sie wie Andrea vogelfrei ist, kümmert sie sich um die Kinder ihres Partners, die durch Gewalt und Missbrauch durch die leibliche Mutter traumatisiert sind (diese wiederum putzt bei den Personen, die Sabine und teils auch Andrea zusetzen oder / und wegsehen).

Andrea und Sabine geben den Grünen Teile aus ihrem Aktenberg, die sofort kopiert werden und denen als Information dienen, die sich der Sache annehmen werden. Georg Willi meint, er habe früher geglaubt, man müsse sich immer an die Obersten wenden, aber das stimme in der Praxis nicht. Er riet ihnen, jemanden zu finden, der ihnen zuhört, am besten einen pensionierten Juristen, der sich dann mit Leidenschaft engagiert, weil er selbst die Schattenseiten des Systems kennenlernte. In einer halben, dreiviertel Stunde können wir zwar bei Gesprächspartnern Betroffenheit wecken und so bewirken, dass sie tun, was sie können. Es handelt sich aber um Personen, die permanent mit Mißständen oder einfach auch komplexen Themen konfrontiert werden, sich jedoch nicht ausschliesslich in eine Sache hineinknien können.

Beim Abschied sagt Georg etwas, das Sabine zum Weinen bringt: er findet es so wunderbar, dass sie sich um die Kinder kümmert, sie tut etwas, das Menschen eigentlich tun sollen, wenn sie sehen, wie Kinder behandelt werden. Das hat bisher kaum ein Mann zu ihr gesagt, erklärt Sabine, ihre Tränen, die diesmal welche des Glückes sind. Während Andrea meist berechtigterweise emotional wird, kommen Sabine immer wieder die Tränen, wenn sie spricht – beide Reaktionen sind verständlich, wenn man traumatische eigene Erfahrungen beschreiben muss. Es ist ohnehin nicht möglich, von der benötigten Zeit abgesehen, mehr als ein paarmal am Tag davon zu sprechen; das berücksichtige ich, als ich so viele potenzielle AnsprechpartnerInnen wie möglich notiere.

Als nächstes gehen wir ins Café Eiles, wo wir einen freien Mitarbeiter des ORF treffen, Arpad Hagyo, der uns ein Begriff ist, weil er am Fall Föger mitrecherchierte, einem einige Jahre zurückliegenden Mord, bei dem offenbar der falsche Täter gefasst und verurteilt wurde. Hagyo war es, der Sabine und Andrea am Freitagabend auf dem Rückweg nach Tirol angerufen hat und unbedingt in einem persönlichen Gespräch mehr wissen wollte. Was alle anderen zunächst sehr überrascht, muss man Hagyo allerdings nicht erklären: dass in Tirol mit Todesfällen, wenn keine natürliche Ursache naheliegt, anders als in CSI-Serien umgegangen wird.

Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!
Vor dem Parlament

Andreas Bruder Markus Juen war im Dezember 2012 in der Psychiatrie in Hall auf Alkoholentzug und wurde um den 11./12. Dezember zum letzten Mal lebend gesehen. Am 16. Dezember wurde seine halbbekleidete Leiche im Schnee weit oberhalb von Hall gefunden, Gerichtsmediziner Walter Rabl (auch bekannt durch “Fälle” wie Angelika Föger, Duncan McPherson, Susi Greiner, Raven Vollrath und Jörg Haider) erkannte (wie so oft) auf simplen Tod durch Erfrieren ohne Fremdeinwirkung. Während Raven Vollraths Eltern noch eine Leiche exhumieren lassen konnten, an der deutsche Gerichtsmediziner einen Mord feststellten, wurde Markus Juen verbrannt, was Andrea erst später erfahren hat.

Mit Obduktions- und Fundortfotos in der Hand schildert Andrea Herrn Hagyo, was sie und Sabine am Montag in der Psychiatrie erlebt haben. Sie hatte einen Termin mit dem Arzt vereinbart, der Markus zuletzt behandelt hatte. Dieser erschien in Begleitung eines “120 Kilo-Pflegers” und behauptetete, da Andrea nicht allein war, sie habe sich ein Gespräch “erschlichen”. Er wurde auffahrend, aggressiv, emotional, während sie Fragen nach Medikation und Markus’ Abgängigkeit um den 11./12.12. stellte. Andrea und Sabine sind überzeugt,  dass Andrea eingesperrt worden wäre, wäre sie allein gekommen. Tags darauf, also am Dienstag, informierte sie Andrea Riedel, die Pressesprecherin der österreichischen Ärztekammer darüber. Zunächst wollte Frau Riedel ein Gespräch und meinte, Andrea solle sich beim Wienbesuch melden; wie sich zeigen sollte, war die Ärztekammer dann aber doch nicht so interessiert, Näheres zu erfahren.

Dass der Richter, der Andrea das Haus wegnehmen will, in einer Buchveröffentlichung über ihre Ehehölle “groben Undank” sieht, ist für Hagyo nicht so aussergewöhnlich, gerade wenn es um Besitz geht. Er erzählt uns, dass eine Kollegin Fälle bearbeitet, bei denen es ebenfalls unter anderem um Liegenschaften geht, und dass diese Formulierung oft vorkomme. Allerdings beruht da die Einschätzung meist darauf, dass schriftlich Verfügbares eben nicht so eindeutig ist wie bei Andrea, also mit Erbverzichtserklärung und unwiderruflicher Schenkung. Vielfach ist nämlich die Vorstellung, dass ein Mensch sterben könnte, nicht so konkret, als dass es schriftliche Festlegungen zuvor gäbe, sodass sich dann die Hinterbliebenen darüber streiten, wer was wann zu wem gesagt, was wem versprochen hat.

Der Fall Föger, ein Thema bei “Schauplatz Gericht” am 6. Februar, hat übrigens Andrea und Sabine miteinander bekannt gemacht. Beide sassen unter den Zuhörerinnen, als Angelikas Witwer Walter wegen angeblicher Verleumdung und Falschaussage (weil er den Mord immer noch aufklären will, nicht lockerlässt) verurteilt wurde. Später dann, im Jänner dieses Jahres, wurde auch Andrea wegen dieser Bestimmungen verurteilt, in Feldkirch in Vorarlberg, und vor Gericht bedroht, denn sie wagte es, die Amtsfähigkeit diverser Innsbrucker Richter anzuzweifeln (danach wurde der “Weisenrat” Brandstetters informiert, der jedoch Mißstände konsequent ignoriert).

Inzwischen haben Andrea und Sabine immer mehr Querverbindungen zwischen ihren beiden “Fällen” rekonstruiert, was übrigens auch nach dem Wienbesuch weitergeht. Sie sind beim Gespräch mit Hagyo davon ausgegangen, dass sich die gegen sie aktive Täter – und Täterschützerseite schon lange kennt und teilweise identisch ist, sie selbst aber einander durch einen Föger-Prozess kennenlernten. Andrea hat, auch dank ihrer Freundin Marie, wesentliche Eckpunkte ihres “Falles” oder besser der Fälle mit Auszügen aus Protokollen, Urteilen etc. und Erläuterungen knapp aufbereitet dabei. Sabine hat bislang alles gesammelt und daher Berge von Akten, aus denen andere ebenfalls das herausdestillieren müssten, was entscheidende Aspekte vermittelt und Verständnis für die Gesamtsituation bewirkt.

Sie erzählt Hagyo, dass sie als Kindergruppenleiterin arbeitete, auch mal den Job verlor, weil ihr Ex-Mann sie in der Arbeit bedrohte; wegen ihrer beruflichen Qualifikation kümmerte sie sich 2008 zum ersten Mal zunächst als Pflegerin um die beiden Söhne ihres nunmehrigen Lebensgefährten, der mit der Mutter um das Sorgerecht kämpfte und es inzwischen immerhin auch bekommen hat. Die Buben wurden auch nach Gutachten schwer misshandelt und missbraucht, erzählt Sabine mit stockender Stimme. Sie weint, als sie sagt, dass sie nach wie vor immer sehr viel essen, obwohl sie inzwischen Normalgewicht haben, aber damals unendlich mager waren. Natürlich ist die prekäre existentielle Situation der beiden Menschen, die alles für die Kinder tun, also von Sabine und Pavo, für die Buben ebenfalls bedrohlich, gerade weil sie früher hungern mussten. Aus der Sicht von Sektionschef Pilnacek soll Sabine zur Schuldnerberatung gegen und zu Tiroler Beratungsstellen wie dem DOWAS für Frauen; beides mag gut gemeint sein und soll wohl helfen, wird aber nichts an der Grundproblematik ändern, die auch im Verantwortungsbereich des Justizministeriums liegt.

“Sabine kann nichts mehr vom Konto abheben”, ist nämlich das erste, was mir Andrea am Morgen nach dem Wienbesuch am Telefon sagt. Sie und andere sich um Hilfe seitens wohltätiger Organisationen kümmern. Zwar arbeitet Pavo als Reisebusfahrer, ihm bleibt jedoch kaum etwas, weil ihm Ex-Frau und Ex-Schwiegervater mit Gerichtshilfe alles wegnehmen (wie sehr dies “rechtens” sein kann siehe Umgang mit Andrea – es sind stets dieselben Personen, die so agieren). Der ältere der beiden Buben hat besser verkraftet, was ihm angetan wurde, sagt Sabine, der Jüngere zeigte damals für einen Achtjährigen unangemessen sexuelles Verhalten ihr gegenüber. Darauf falle er auch heute immer wieder zurück, erzählt sie, wenn es ihm schlecht gehe, und sie sage ihm immer wieder geduldig, dass man das nicht mache.   Sabine kann nicht, wie man ihr auf der Bezirkshauptmannschaft geraten hat, einfach arbeiten gehen – davon abgesehen, dass auch Pavo an seinem Arbeitsplatz keineswegs sicher ist (nicht sein Job, denn er kann auch auf Solidarität seiner Kollegen zählen) und dies für Sabine ebenfalls gelten würde, muss sie immer für den Jüngeren da sein.

Dass die Familie mit allen Mitteln fertiggemacht wird, erstreckt sich auch auf Sabines 19jährige eheliche Tochter, denn sie dürfte die einzige Studentin in Österreich sein, die trotz Anspruch weder Familien- noch Studienbeihilfe bekommt. Mit dem Unterhalt seitens des Vaters wurde auch immer getrickst, obwohl dieser zwei Firmen besitzt und die zweite heimlich in Deutschland eingerichtet hat. Und wie reagiert “der Staat” mit seiner angeblich “unabhängigen Justiz”, in die niemand eingreift, weil sie ein Eigenleben führt, das an süditalienische Zustände denken lässt? Frau Pockreiter wird mit Bankschulden als Hebel mit Gefängnis bedroht, Frau Juen wurde vor Gericht gedroht, dass sie eingesperrt gehöre, was Richter offenbar ganz normal finden. Wahrscheinlich sind Drohungen gegen Frauen ganz einfach “milieubedingt”, während jedes Wort gegenüber einem Richter auf die Goldwaage gelegt wird. Die Wiener Frauenhäuser etwa haben erlebt, dass ein Täter Mitarbeiterinnen bedrohte, die Justiz drüber aber nur lachte, während er für die Beschimpfung eines Richters verurteilt wurde.

Herr Hagyo verabschiedet sich von uns mit einem Stapel an Unterlagen, während wir kurz bei Volkshilfe und Katholischer Frauenbewegung vorbeischauen, weil wir wissen wollen, wen Andrea und Sabine vor Ort kontaktieren können. Einerseits brauchen sie konkrete Unterstützung, andererseits ist es aber auch wichtig, sich mal bei anderen aussprechen zu können, woanders Anschluss zu finden. Denn natürlich bekommt man den Eindruck, es werde gemauert, wenn man schon vergeblich bei den Stellen war, die im Bereich Gewaltschutz und Kinderschutz tätig sind. Unterwegs ruft uns Georg Willi an, er hat mit Sektionschef Christian Pilnacek im Justizministerium gesprochen. Dieser hat auf die “Unabhängigkeit” der Justiz hingewiesen und darauf, dass sie ja ohnehin von uns mit Mails überschüttet würden. Wenn es um den Verdacht strafbarer Handlungen im Bereich der Justiz geht, müsste dies geprüft werden.

Schon 2011 hat Sabine dem Ministerium Akten übergeben, die dann aber offenbar verschwunden sind. Es gibt also seit Jahren einiges zu “prüfen”, offenbar ohne dass man zu einem Ergebnis kommen wollte. Was für Täter natürlich ein Freibrief ist, wie man auch an fortdauernden Schikanen erkennt. Pilnacek habe ihm gesagt, dass sich Frau Juen und Frau Pockreiter doch an die Volksanwaltschaft wenden sollten – was wir dann auch tun, zumal wir in deren Nähe sind. Dort teilen wir uns auf: Sabine und ich reden mit einer Mitarbeiterin, Andrea und Marie mit einer anderen. Offenbar wird Sabine besser behandelt, da ich auf das Justizministerium verweise, denn sie erhält zuerst einen Termin bei Volksanwalt Peter Fichtenbauer (FPÖ), wenn dieser das nächste Mal in Tirol ist.bei Sprechtagen in den Bundesländern steht in der Regel mehr Zeit zur Verfügung, erfahren wir, während der Andrang in Wien größer ist.

Als wir uns schon draussen hingesetzt haben und auf die anderen warten, kommt die Mitarbeiterin noch einmal her und sagt, dass Gertrude Brinek (ÖVP) bereits nächste Woche in Tirol sei und Sabine am 11. Februar einen Termin haben könne. Natürlich betrifft der “Fall” sowohl Justiz (eines ihrer Themen) als auch Polizei (Fichtenbauer), aber das ist oft so, und da hört sich ein Volksanwalt die gesamte Causa an und dann wird die Arbeit untereinander aufgeteilt. Andrea und Marie wird hingegen gesagt, dass die Volksanwaltschaft sich überhaupt nicht zuständig fühlt, obwohl der “Fall” jenem von Sabine in vielem ähnlich ist, es um vergleichbare Abläufe und um einen sich überschneidenden Personenkreis geht. Andrea sollte sich an die Rechtsanwaltskammer wenden und fragen, ob man einen Notariatsakt einfach seitens eines Richters in einer Verhandlung ändern kann (was natürlich nicht geht). Die Mitarbeiterin hat ausserdem für Andrea und Sabine den “freundschaftlichen” Rat, aufzupassen, dass sie nicht besachwaltet werden.

Bei Andrea wollte dies einmal ein sogenannter Verfahrenshelfer, der dann in einer Wiener Kanzlei arbeitete, erwirken. Wir hätten ihn heute auch besuchen können, wäre er noch im Bestand jener Kanzlei, zu der er aus Tirol wechselte. Seltsam nur, dass die Volksanwaltschaft sich als “Menschenrechtshaus der Republik” feiern lässt, auch weil man zuerst erfährt, was alles nicht untersucht wird und anscheinend selbst bei Menschenrechtsverletzungen kein Problem ist. Amtsmissbrauch abzustellen steht zwar auf der Agenda, es ist aber auch bekannt, wo Amtsmissbrauch in der Regel von der Volksanwaltschaft toleriert wird, etwa im Bereich Verteidigungsministerium.

Ironischerweise ist gegenüber vom Eingang zur Volksanwaltschaft jener zur Finanzprokuratur der Republik – der Stelle, wo der Staat für Schaden durch den Missbrauch der öffentlichen Verwaltung haftbar gemacht wird. Im Grunde müssten wir dort vorsprechen, zumal der Schaden für Opfer dieses Missbrauchs ja mit jedem Tag grösser wird, den er anhält – und damit auch der Schaden für Österreich, die BürgerInnen schädigendes Verhalten zulässt, aber dafür haftbar ist. Wir müssen aber weiter zu unserem letzten Termin, mit Maria Rösslhumer, der Geschäftsführerin des Vereins der Autonomen Frauenhäuser Österreichs. Die AÖF ist unter anderem gemeint, wenn die Frauenministerin die Einbeziehung von NGOs in die Erstellung des Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt erwähnt.

Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!
Andrea Juen und Sabine Pcokreiter

NGOs, die sich immer wieder öffentlich bemerkbar machen, hatten auch bei Brandstetters Vorgängerinnen im Justizressort, Claudia Bandion-Ortner und Beatrix Karl nicht den Eindruck, dass ihnen der Schutz vor Gewalt ein Anliegen ist. Die Erwartungen in Brandstetter, der sich uns gegenüber ja bereits als Herrenminister erwiesen hat, sind daher ausgesprochen gering. Karl wird nur in Erinnerung bleiben, weil ihr zu einem in der U-Haft vergewaltigten Jugendlichen, ohne die fragwürdigen Umstände seiner Inhaftierung zu kennen, zunächst einfiel, dass der Strafvollzug nun einmal kein Paradies sei. Nach einem Sturm der Entrüstung gelobte sie Besserung, hat aber nichts dazugelernt, wie ihr Kommentar zur Ausbeutung einer Modeschülerin für ihr Ballkleid zeigt. Das Kleid sei das teuerste, das sie jemals besessen habe, meint die nunmehrige EU-Kandidatin der ÖVP, denn neben 300 Euro Materialkosten habe sie dem Mädchen auch noch 300 Euro für 150 Arbeitsstunden gegeben (zuerst nur ein Trinkgeld in der Höhe von zehn Euro).

In einer Welt jenseits der Ballkleider und der abgehobenen, verächtlichen Bemerkungen über Menschen, die ihrem Schutz anvertraut sind und deren Schicksal sie nicht kennt, geht es um das Allerallernötigste. Andrea sagt, sie habe zeitweise keine Waschmaschine gehabt, für sich und die Kinder (nun ist der Jüngste noch bei ihr, die anderen sind erwachsen) mit der Hand gewaschen. Sabine verfügte lange nicht über eine Küche, bloss über ein Waschbecken und eine Kochplatte. Als Andrea kein Auto mehr hatte, ging sie eben weite Strecken zu Fuss – weil es gehen muss, weil man sich irgendwie behelfen muss, wenn einem durch Unrecht alles genommen wird, wenn die meisten einfach wegsehen. Ob eine Politikerin, ein Politiker, aber auch BeamtInnen oder NGO-VertreterInnen in der realen Welt oder unter Ballkleidern leben, zeigt sich an allgemeinen Aussagen nur selten.

Diese folgen einer gewissen Choreografie, sodass man sich ansehen muss, wer wirklich handelt und wer nur pro forma das sagt, was von ihm oder ihr erwartet wird. Die AÖF wirbt gerade für die Unterstützung der Europaratskonvention gegen Gewalt gegen Frauen. Unter www.ichunterstütze.org und auf einem Plakat hat sich etwa neben Frauenministerin Heinisch-Hosek auch SPÖ-Frauensprecherin Gisela Wurm aus Tirol eingetragen (die jetzt auch Vizepräsidentin der parlamentarischen Versammlung des Europarates ist). In der Praxis gehört sie aber zu jenen PolitikerInnen, die Andrea vergeblich um Hilfe gebeten hat. Dabei fällt auf, dass seitens der SPÖ für uns niemand zu sprechen war, es weder einen Anruf von den SPÖ-Bundesfrauen noch vom Frauenministerium gab.

Liegt das daran, dass sich die Partei, jedenfalls wenn es nach “Genossen” in den Medien geht, nach wie vor als “Partei des kleinen Mannes” versteht? Seitens der ÖVP gab es, vom Erlebnis im Justizministerium abgesehen, übrigens noch ein Bedauern, keine Zeit zu haben, da alles verplant ist (Frauensekretärin Theresia Leitinger für sich und Frauenchefin Dorothea Schittenhelm) bzw. eine Art Unzuständigkeitserklärung (Sven Pöllauer, Pressesprecher von Familienministerin Sophie Karmasin; er will Sabine und Andrea “keine falschen Hoffnungen machen”, da das Ministerium konkret nichts unternehmen kann).

Maria Rösslhumer gehört in die Kategorie der Handelnden, was wir auch daran erkennen konnten, dass sie sofort auf meine Mail mit den Vorabinfos antwortete und meinte, sie wolle Sabine und Andrea unbedingt treffen (obwohl sie zuvor Termine hatte u.a. Rahmen des Netzwerks WAVE – Women Against Violence Europe). Wir vereinbaren schließlich das Café Ritter bei der Mariahilferstrasse und kommen auch pünktlich zu Fuss an. Wer in Wien “ist nicht weit von da aus” sagt, meint natürlich andere Distanzen, als wenn man in Innsbruck oder einer anderen Stadt nur einige Straßen weiter geht. Daher habe ich immer ein bisschen auf Tempo geachtet und stets erklärt, wo wir uns gerade befinden und was in der Nähe zu besichtigen wäre, hätten wir mehr Zeit bzw. wären aus einem anderen Anlaß hier.

Zum vierten Mal an diesem Tag schildern Andrea und Sabine ihre Erlebnisse, nicht eingerechnet, dass wir auch unterwegs immer wieder Details erörtern. Maria ist in der Praxis immer wieder mit entsetzlichen Geschichten konfrontiert und meint, dass ihr Verein und andere NGOs in die Verhandlungen zum Nationalen Aktionsplan eine lange Liste an Forderungen einbringen. Am zähesten ist das Gespräch seit Jahren mit VertreterInnen der Justiz und des Ministeriums, wobei es die eine oder andere aufgeschlossene Person gibt. Ingesamt findet man aber in anderen Bereichen mehr Menschen, die verstanden haben, auch bei der Polizei. Zu Andreas und Sabines diesbezüglichen Erfahrungen meint sie, dass offenbar vom Gebiet abhängt, wie Frauen behandelt werden. Denn aus anderen Bereichen Tirols werden durchaus Wegweisungen gemeldet, wie auch aus den Statistiken hervorgeht.

Wir möchten wissen, ob die Causen nicht geeignet wären für den Verein österreichischer Juristinnen, der in exemplarischen Einzelfällen Frauen vor Gericht vertritt, um so Mängel in Gesetzgebung und Vollzug aufzuzeigen. Das sollten wir auf jeden Fall versuchen, meint Maria, die mit dem Verein auch in Kontakt ist. Während wir unterwegs waren, hat mir Vereinsvorsitzende Anja Oberkofler, eine Anwältin, die viele Termine hat, geantwortet, dass sie meine Schilderung an die Vereinsfrauen weitergeleitet hat.

Österreich: Nur Ignoranz für Gewaltopfer übrig? Wer sich wehrt kann was erleben!

Maria rät zum Weg an die Öffentlichkeit über die Berichterstattung auf Ceiberweiber hinaus, die ja nur ein Anfang sein kann. Eine Frau, die Vergewaltigung in einer Beziehung anzeigte (also etwas, wo Personen mit sehr traditionellen Vorstellungen auch in der Justiz besonders gerne am Opfer zweifeln), wandte sich an Florian Klenk vom “Falter”, der eine ausführliche Geschichte schrieb, die der Frau dann auch beim Durchsetzen ihrer Rechte half. Wichtig wäre natürlich, dass die Infos so aufbereitet sind, dass sich Klenk oder ein/e andere/r JournalistIn schnell einen Überblick verschaffen können. In einzelnen Aktenstücken wühlen manche dann ja ohnehin recht gerne. Wir haben sowieso vor, weil Sabine bislang nur eigene Zusammenstellungen hat, ihr dabei zu helfen, alles für die Volksanwaltschaft nachvollziehbar zu machen.

Manche wollen lieber anonym bleiben, betont Maria, deshalb nimmt die Helpline gegen Gewalt (rund um die Uhr unter 0800 22 55) ja auch anonyme Anrufe entgegen. Sehr wichtig ist aber, dass sich immer wieder Frauen (und Kinder, die auf ihre Kindheit zurückblicken) finden, die über ihre Erfahrungen sprechen wollen. “Machen wir sofort”, sagen Andrea und Sabine, und das gilt auch für die Kinder, Andreas ältere Kinder und den älteren Sohn von Sabines Lebensgefährten. Als ich diesen Bericht schreibe, sehe ich die Ankündigungen für “One Billion Rising for Justice”, eine weltweite Aktion, bei der Frauen und Mädchen in vielen Ländern gegen Gewalt protestieren. Unter zahlreichen Events in Österreich am 14. Februar 2014 gibt es auch welche in Wien, Innsbruck und Imst, zudem eine Pressekonferenz in Wien am 12. Februar.

Wenn aufbereitete persönliche Schicksale in die Arbeit am Nationalen Aktionsplan einfliessen und generell zeigen, wo das von PolitikerInnen gerne gelobte Gewaltschutznetz Löcher hat, kann das ebenfalls allen Betroffenen zugute kommen. Würde eine Regisseurin die Erlebnisse von Andrea und Sabine verfilmen, wären “Tatort Gericht” oder “Verloren im Gewaltschutznetz” passende Titel. Außerdem müsste die Freundschaft, die zwischen den beiden entstanden ist, ein guter Ansatzpunkt für eine filmische Aufarbeitung sein. Doch zuerst geht es darum, Medienöffentlichkeit herzustellen – dabei kann jede/r wertvolle Beiträge leisten, denn gerade als JournalistIn häuft man so nebenbei eine Menge an Wissen und Kontakten an, die sich als hilfreich herausstellen. Selbst auf den ersten Blick weit entfernte Themen wie Landesverteidigung bieten Inputs etwa angesichts der Debatte um Weisungsrecht in Ministerien nach der Abberufung von General Entacher, die sich als rechtsungültig herausstellte.

Wenn also das Justizministerium und Gerichtspräsidenten auf “Unabhängigkeit der Justiz” hinweisen, kann man mit rechtsungültigen Weisungen kontern. Denn diese sind im Spiel, wenn Menschen wie Andrea und Sabine über Jahre hinweg systematisch geschadet wird, getreu der Definition, dass Weisungen dann nicht gelten, wenn Personen nicht weisungsbefugt sind (so auf die Art, “geh, schau, die da, deren Kinder haben Anspruch auf das, das will ich aber nicht”) und wenn sich Ausführende strafbar machen (beispielsweise jene, die bei Gericht denen untergeordnet sind, die beide Frauen und ihre Familien im Visier haben). Journalistische Erfahrung ist auch deswegen eine wertvolle Ergänzung, weil Frauen wie Andrea und Sabine eigentlich zunächst einmal das taten, was “die Gesellschaft” von ihnen erwartet hat. Sie haben früh geheiratet und Kinder bekommen, zeitweise gearbeitet, in Bereichen, in denen viele Frauen tätig sind.

Zuerst fordert die Gesellschaft von Frauen, Mütter zu sein, sorgt auch nicht für gute Rahmenbedingungen für Berufstätigkeit, und dann sind die Frauen damit allein, dass dieses Modell oft scheitert. Dabei ist nicht die Trennung an sich das grosse Problem, sondern wie sich Männer vor und nach der Scheidung verhalten, die Frauen nicht auf Augenhöhe begegnen. Die Zeit, in der sie einen ganz anderen Lebensweg verfolgten als etwa eine Frau, die Anwältin wird, richtet man dann auch noch gegen die Betroffenen, nutzt aus, dass sie manches aufgrund eines anderen Alltags nicht wissen oder sich vorstellen können. Es ist klar, dass Frauen, die einen andere Laufbahn einschlugen, ihr Know How ergänzend zur Verfügung stellen können, unter anderem Erkenntnisse aus Erfahrungen in “Männerdomänen”. Merkwürdig übrigens, dass der ÖVP Familie zwar wichtig genug für ein Ministerium ist, an “Fällen” aber niemand Interesse hat.

Kraft haben Andrea und Sabine selbst genug und sie sind auch zu allem bereit, sie sind mutig angesichts keineswegs ungefährlicher Gegner. Wer sich darauf einlässt, ihre Geschichte zu hören, sieht Österreich mit anderen Augen, fragt sich, was noch alles möglich ist, versteht nicht, wie man “Gewalt” zum abstrakten Thema von Presseaussendungen machen kann. Berichterstattung und das Kontaktieren vieler Personen und Einrichtungen verändert zunächst einmal noch nichts, doch so wird signalisiert, dass die Frauen nicht allein sind, dass sie Unterstützung haben, dass ihr Schicksal berührt, dass ihnen durch das Wissen vieler ein Schutz gegeben werden soll, der dem Justizminister kein Anliegen ist.

Zum Abschluss die ersten paar Tage dieser Woche in Stichworten: Am Montag, den 3. Februar hat Andrea den starken Verdacht, dass sie in der Psychiatrie festgehalten worden wäre, hätte sie keine Begleitung mitgehabt, als sie Auskünfte zum Tod ihres Bruders wollte. Am Dienstag, den 4. Februar ist Sabine zuerst in der Bank, wo niemand etwas zu ihr sagt, alles wie immer ist, und hat dann in mehrfacher Ausfertigung die Klage der Bank via Gericht auf 9000 Euro bei Androhung von Haft in der Post.

Am Morgen des 5. Februar kommt zur Belastung dadurch die Erkenntnis, dass der jüngere Sohn von Sabines Freund im Herbst, noch ehe sich Andrea und Sabine kannten, von Andreas Ex-Mann an mehreren Tagen beobachtet wurde, was auf Querverbindungen hinweist. Und als wir jemanden im Justizministerium sprechen wollen, erfahren Andrea und Sabine, dass Gewaltopfern mit der Polizei gedroht wird. Von positiven Erlebnissen im weiteren Verlauf des Tages abgesehen warnt eine Mitarbeiterin des “Menschenrechtshauses” Volksanwaltschaft, dass die beiden Frauen aufpassen müssen, dass man sie nicht besachwaltet. Einschüchterung am laufenden Band, permanente Versuche, den beiden ihren letzten Spielraum zu nehmen – ob verständnisvolle und mitfühlende, hilfsbereite Menschen ermessen können, was das bedeutet?

- als der Artikel am 7. Februar ins Netz geht, ist klar, dass Sabine vor Ort geholfen wird, jedoch beide nach wie vor Willkür via Justiz ausgeliefert sind. Und dass die Querverbindungen zwischen Andreas und Sabines “Fällen” intensiver sind als zunächst angenommen….

Herrenminister Brandstetters “Weisenrat” wollten wir auch mal ausprobieren, schliesslich wurde er vor einem Monat eingerichtet. Die Zusammensetzung versprach jedoch von vornherein, dass nichts geschehen wird, sind doch die Rechtsschutzbeauftragten von BMJ und BMI beteiligt und der Leiter der Generalprokuratur. Diese versteht sich als “Rechtswahrerin” der Republik und tritt dann öffentlich in Erscheinung, wenn sie einen neuen Prozess gegen eine Richterin und weitere Gerichtsmitarbeiter wegen Testamentsfälschungen oder einen Schuldspruch für Ex-Minister Ernst Strasser empfiehlt. Wie es in Tirol zugeht, scheint ihr bislang aber entgangen zu sein, trotz des Engagements Betroffener.

Allerdings spricht Brandstetters Aussendung vom 8. Jänner 2014 für sich, erlebt man, was dieser Minister beispielsweise unter “Ich stehe für vernünftige, konsensorientierte Sachpolitik” versteht: “Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter hat heute im Ministerrat über seine Pläne zur Reform des Weisungsrechts berichtet. ‘Ich war immer für eine Reform des Weisungsrechts in seiner derzeitigen Form, um das Vertrauen in die Justiz zu stärken, und ich bin auch zuversichtlich, dass wir das gemeinsam schaffen werden’, betonte der Minister im Anschluss an die Regierungssitzung. ‘Zentral ist bei so einem wichtigen rechtsstaatlichen Thema aber, dass man mit der nötigen Ruhe eine gediegene Lösung erarbeitet, die letztlich auch von einem möglichst breiten Konsens getragen ist. Ich stehe für vernünftige, konsensorientierte Sachpolitik.’
‘Ich werde daher noch im Februar eine hochkarätige Expertenkommission einsetzen, die ohne Vorgaben verfassungskonforme Reformvorschläge erarbeiten soll’, so der Minister. ‘Es gibt verschiedene Alternativmöglichkeiten für eine Reform des Weisungsrechts und ich werde mich dann als Justizminister – sobald die Ergebnisse der Kommission vorliegen – um eine baldige politische Einigung bemühen.’
Angesichts des guten Gesprächsklimas mit dem Koalitionspartner und mit den Justizsprechern aller Parlamentsparteien hoffe er und sei
zuversichtlich, dass eine Reform noch im laufenden Jahr gelingt.
Mit dem heutigen Tag wird nun bereits ein Weisenrat eingerichtet, welcher in Fällen der Befangenheit, bei Verfahren gegen oberste
Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie in Verfahren, in denen eine inhaltliche Weisung gemäß § 29a Abs. 1 StAG erteilt werden soll, in die Entscheidung einbezogen wird.
Dem Weisenrat gehören an:
– Der Leiter der Generalprokuratur Dr. Franz Plöchl (Vorsitzender)

– Der Rechtschutzbeauftragte des BMI Univ. Prof. Dr. Dr. Manfred
 Burgstaller

– Der Rechtschutzbeauftragte des BMJ Generalprokurator iR Dr. Gottfried Strasser”

Was die “hochkarätige Expertenkommission” betrifft, besteht sie wohl zu 99,99% aus älteren Männern und wird zu 100% ausserstande sein zu erkennen, dass “Justiz” in Österreich sehr oft bedeutet: vollkommen unabhängig von Verfassung, Gesetzen, Menschenrechten und internationalen Konventionen agieren….

von Alexandra Bader, Wien

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Quellen – weiterführende Links

Foto Parlamentsgebäude: © Brigitte Buschkötter / pixelio.de
Text und alle anderen Fotos: © Alexandra Bader, http://www.ceiberweiber.at


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