Das zweite Gast-Ensemble der Oster-Tanz-Tage, das Cloud Gate Dance Theatre 2 aus Taiwan, präsentierte sein Programm Water Stains on the Wall am Karsamstag, 4. April 2015.
Wenn ich an anderer Stelle schon geschrieben habe "mir fehlen die Worte", so gilt das hier in ganz besonderem Maße. Viele Worte werde ich deshalb tatsächlich nicht machen, Worte haben hier etwas Unangemessenes.
Die Darbietung kam aus einer so völlig anderen Welt, Kultur, Tradition, dass ZuschauerInnen aus dem westlich-europäischen Raum nur einen Teil überhaupt erfassen können. Die TänzerInnen bewegen sich auf einer schrägen weißen Fläche (Neigung 8 Grad), über die durch Projektion dunkle Wolkenbilder laufen, wie fließende Tusche auf weißem Reispapier. Die TänzerInnen bewegen sich fließend ganzheitlich, mit Körper, Seele, Geist, aus ihrer ganzen Besinnung und Gesinnung heraus. Sie bewegen sich in der Gruppe, ohne sich je zu berühren, und sind dennoch vollkommen koordiniert und in Verbindung. Es beginnt in völliger Stille, die TänzerInnen tragen unten ein weißes, luftig wirkendes Kleid, der Oberkörper bleibt frei. Bald beginnt Musik (Toshio Hosokawa), die ebenfalls ungewohnt für unsere Ohren klingt, Moderne, die auf Tradition fußt. Aus Musik, Bewegungen, weißer Fläche mit fließender "Tusche" entsteht ein Gesamtkunstwerk das mich mit der seelisch-geistigen Ebene stark berührt hat. Nicht alles bleibt ruhig-friedlich, es gibt auch aggressive Anteile, was sich in einem höheren Anteil dunkler Flächen auf dem weißen Boden widerspiegelt.
Das Training, die Vorbereitung der Tänzerinnen beschränkt sich nicht auf die körperliche Seite - Meditation und Kalligraphie haben mindestens ebenso viel Gewicht, wie der Choreograf Lin Hwai-Min im Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung hervorhebt. Auch unmittelbar vor der Aufführung wird meditiert. Lin Hwai Min erklärt auch den Titel (etwa: Wasserspuren auf einer Wand) mit einer alten Geschichte, bei der sich ein junger und ein alter Mönch begegnen. Der junge zählt auf, was er alles schon zur Vorbereitung gemacht hat; der alte fragt: Hast Du schon die Wasserspuren beobachtet, die in der Natur auf einer Fläche hinablaufen? Er will damit auf organische Vorgänge ohne jedwede Manipulation hinweisen.
Warum Cloud Gate Dance Theatre 2 ? Lin Hwai-Min ist jetzt 68 Jahre alt und möchte bald die Weiterentwicklung jüngeren Menschen überlassen - die TänzerInnen dieser Truppe sind 23 bis 48 Jahre alt.
Zu danken ist der hannoverschen Oper dafür, dass sie uns mit dieser Kompanie, die aus einer ganz anderen Haltung heraus arbeitet, bekannt gemacht hat - und für das Publikumsgespräch.
Weitere Informationen auf der Netzseite der Kompanie.
Text Dr. Helge Mücke, Hannover; Bilder: © Chen-hsiang Liu, Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan (als Pressefotos nicht frei verfügbar).
