Nach der persönlichen Überzeugung Orhan Pamuks, bei dem alles auf eigener Erfahrung aus erster Hand basiert, ist das Gefühl welches das Istanbul der 500 Jahre – also seit dem Zerfall des otomanischen Weltreiches – am besten beschreibt jenes von Bitterkeit das sich mit einem Gutteil Melancholie mischt. Vielleicht eher eines Gefühls der Melancholie dessen Essenz die Bitterkeit ist, was jedoch zu keinem Zeitpunkt die vorbehaltlose Liebe Pamuks für seine Stadt überschattet, der in einigen seiner wichtigsten Bücher der wahre Protagonist ist, für den eine größeren Anzahl seiner Mitbürger nicht so leicht verdaulich ist. Der türkische Schriftsteller hat eingestanden, das er jedes Mal zu der unleugbar glücklichen Spezies gehört, wenn er ließt oder hört, dass jemand sagt, die Melancholie sei das entschiedenste Merkmal des antiken Byzanz. So taucht es auch in in der Büchern der französischen Dichter auf, die es im 19. Jahrhundert besuchten, allen voran dem großartigen Gérad de Nerval, über den man sagt, dass er seine „schwarze Sonne der Melancholie“ von hier mitgebracht hätte und ebenso sein treuer Gefährte und Freund Théophile Gautier, der nie von seiner Seite wich, Autor des herausragenden Kompilationswerkes das „Constantinopla“ betitelt ist. Beiden ist zu verdanken, dass Pamuk sich auf der sichereren Seite fühlt, wenn er so ausführlich über das Gefühl schreibt, das die Stadt auslöst in der er sich sein Leben lang aus freien Stücken aufgehalten hat.
Interessanterweise macht Nerval kein großes Aufsehen wenn er in seiner „Reise in den Orient“ über Istanbul schreibt.Es ist nur, dass sich die Melancholie schwer auf die Haut und die Seele legt und obwohl man sich davon fernhalten will, scheint ein entrinnen nicht möglich. Als er mit 35 Jahren nach Istambul kam, dauerte es nicht lang und sein Herz war in ein vielfarbiges Mosaik aus 1000 scharfkantigen Steinchen zersprungen. Die Schauspielerin Jenny Colon, die große Liebe seines Lebens, die ihn jedoch nie erhörte, hatte diese Welt 6 Monate zuvor verlassen und er selbst wurde immer wieder in Nervenheilanstalten eingewiesen. Seine Umseglung des Orients, die durch romantische Vorstellungen die von Figuren wie Hugo und Delacroix befeuert wurden, war eine Flucht ins Vergessens oder der Versuch seine bedauernswerte Situation zu vergessen. Von hier aus entwarf er ein touristisches und schwärmerisches Istambul, ein Großteil der Geschichten die er erzählt entspringen direkt seiner Phantasie, die er uns jedoch vorführt als wären sie die Wirklichkeit, wobei er immer in der Schuld des großen „Tausend und einer Nacht“ steht.
Gautier hingegen war sehr viel weiter weg und unter Nichtbeachtung der Ratschläge seines Freundes (der es nicht weiter als bis vor die Stadttore schaffte, welche die „schönsten Landschaften der Welt“ bereithielten) entschied er – um es mit den Worten Nervals auszudrücken – „sich hinter die Kulissen zu begeben“. So gelangte er ins Herzen dessen, was Istambul auch für Pamuk zu einer Stadt mit so unübertrefflicher Melancholie werden ließ und seitdem versorgte er seine Leserschaft mit seinem bewundernswerten und beschwörenden malerischen Stil (nicht umsonst läutete Gautier mit 19 Jahren das Dasein als Maler ein als die „Orientalen“ von Victor Hugo las), das in diesem anderen Istambul spielt, das nicht touristisch ist aber inmitten dieses Schatzes der Stadt am Bosporus liegt.