Walter, Hilde, Georg, Dora, Michael: Nur die Vornamen sind gewöhnlich. Die Geschichte der Benjamins ist so etwas wie eine deutsche Familiensaga des 20. Jahrhunderts. Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye hat sie aufgeschrieben und auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Das Eulengezwitscher war berichtet von einer geschichtlichen Gratwanderung...
Uwe-Karsten Heye
Die Benjamins
Eine deutsche Familie
Erschienen im Aufbau-Verlag im März 2014. 361 Seiten kosten in der gebundenen Ausgabe 22,99 €.
Uwe-Karsten Heye hat sich viel vorgenommen: Erstens hat er fünf mitunter schwierige Persönlichkeiten zu porträtieren, darunter den Philosophen Walter Benjamin und seine Schwägerin Hilde Benjamin, die spätere DDR-Justizministerin. Zweitens will er anhand eines tragischen Familienschicksals ein Jahrhundert deutscher Zeitgeschichte nachzeichnen. Schließlich (und drittens) möchte er mit seinem Buch über die Benjamins einen Beitrag zu einer gesamtdeutschen Geschichtsschreibung leisten. Für Heye ist es 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer an der Zeit, gegenläufige ost- und westdeutsche Geschichtsdeutungen zugunsten einer gemeinsamen Lesart aufzulösen: Kriegen wir über solche Familiengeschichten - über solche Opfergeschichten - eine gemeinsame Erzählung unserer Geschichte hin?
Das ist ein spannender und lohnenswerter Ansatz und die Bejamins sind dafür eine treffend gewählte Familie, deren Schicksal einem Streifzug durch durch deutsche Geschichte gleicht: Sie haben bürgerliche Wurzeln, sind im Kaiserreich sozialisiert, haben in der Weimarer Republik gewirkt und sind als jüdische Kommunisten von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Walter nahm sich das Leben, sein Bruder Georg wurde im Konzentrationslager Mauthausen ermordet und Schwester Dora stirbt kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Krebs. Hilde Benjamin, die Überlebende, macht in der DDR Justiz-Karriere - und zwar als gnadenlose Richterin, deren Prozessführungen und Urteile nur allzusehr an den Terror in nationalsozialistischen Gerichtssälen erinnern. Jetzt wird Hilde Benjamin vom Opfer zur Täterin und spricht sogar Todesurteile aus. Hier gerät Heye auf seiner Gratwanderung einer gesamtdeutschen Geschichtsschreibung bedrohlich ins Schwanken. Zum einen nimmt er "die rote Hilde" zumindest soweit in Schutz, dass er ihre Schauprozesse nicht auf eine Stufe mit denen der Nationalsozialisten stellen will. Zum Er wirbt um Verständnis für die die politische und persönliche Situation, aus der heraus Hilde Benjamin zur "roten Guillotine" wird. "Man muss sie ja nicht beschönigen," sagt Heye, "aber man muss wenigstens versuchen zu verstehen, welche Haltung und Prägung sie zu der gemacht hat, die sie am Ende war." Das ist ein hehrer (und mutiger) Vorsatz, denn das Sichhineinversetzen birgt die Gefahr des Sichdarinverlierens. Das wiederum sollte einem biografisch arbeitenden Autor nicht passieren. Im Fall von Heyes Buch kann auch eine gesamtdeutsche Perspektive nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hilde Benjamin nicht nur Opfer ist, sondern auch Täterin. Das stellt Heye zwar nicht infrage. Allerdings hat er seine Formulierungen zumindest auf der Buchmesse so akzentuiert, dass die Täterrolle hinter der Opferrolle zurücktritt. Und eine solche Akzentuierung ist - bei allem Respekt für die enormen Verdienste des Benjamin-Buches - kein Dienst an einer gesamtdeutschen Geschichtsdeutung. Würde Heye jedoch von Opfer- und Tätergeschichten sprechen - auch dafür ist das Familienschicksal der Benjamins exemplarisch - würde er wohl seinen eigenen Anspruch besser bedienen.