Opfer bringen

Tragisch, wirklich tragisch. Wenn es Menschen Bomben regnet. Metall klirrt und Schreie ertönen, die dann unterm Schutt erstummen. Schlimm, wirklich schlimm. Wenn unter Brocken tote Kinder von toten Eltern toter Großeltern liegen. Hinterbliebene im Geröll suchen und hoffen, noch keine Hinterbliebenen zu sein. Abscheulich, wirklich abscheulich. Wenn sie dann Steine zur Seite stemmen und dann sind da nur Reste. Von Betten, von Schränken, von Großmutter. Unschön, wirklich unschön. Wenn sie dann weinen und klagen und laut den Himmel und seine Düsenjäger verfluchen und einen Hass kriegen, der ihnen die Fäuste in die Höhe recken lässt. Ekelhaft, wirklich ekelhaft. Wenn sie dann so gefilmt werden, in Fernsehkanälen ausgestrahlt und als die Brut des neuen Terrorismus deklariert werden, weil sie so böse anzusehen sind. Lernen es diese Wilden denn nie?

Das ist alles wirklich unerträglich, aber wir müssen den Regierungen unserer Breitengrade wohl danken. Sie sichern uns damit unsere Art zu leben. Unseren Way of Life. Den Wohlstand, die Ressourcen, die wir dazu benötigen. Sie erziehen die Völker dieser Erde zur notwendigen Einsicht, dass man bloß die Chuzpe haben muss, sich zu nehmen, was man will, was man braucht, was einem in den Sinn kommt. Wer auf dem Boden lebt, unter dem die Rohstoffe schlummern, das ist dabei zweitrangig, man kann ja Verträge aufsetzen und Funktionseliten schmieren. Und wenn diese verwirrten Kerle, die den Koran als Totenbuch missbrauchen, dann endgültig mit vielen unbeteiligten Kollateralschäden, die auf Mama oder Papa oder »mein Kind« hörten, diese Erde verlassen haben, dann probieren wir es wieder, exakt so wie vorher. Vielleicht geht es ja diesmal gut. Vielleicht radikalisieren sich die Verlierer unserer globalen Ökonomie, unserer Weltordnung ja mal ausnahmsweise nicht und alles geht glatt. Zu wünschen wäre es uns. Wir hätten den friedlichen Wohlstand allemal verdient, wir Leute von der oberen Nordhalbkugel.

Vielen Dank, ihr Regierungen! Es geht weiter wie immer, gemütlich und üppig. Ich habe die satte Auswahl an Lebensmitteln, an exotischen Ingredienzien, kann Erdbeeren im Winter essen und geschälte Nordseekrabben aus Marokko, kann relativ günstig durch Städte kariolen, Gas geben, bremsen, Gas geben, bremsen, Reifen quietschen, Gummiabrieb ist nicht schlimm, neues Kautschuk kommt morgen an, die Plantagenarbeiter sind ja so fleißig, so fleißig, sie singen sogar bei der Arbeit. Auch Erdöl kommt nach. Es steckt ja noch genug in den Böden. Nicht bei uns. Aber uns gehört bekanntlich die ganze Welt. Also was spielt es dann für eine Rolle, wo es drinsteckt? Hat der Schöpfer uns nicht eine Welt ohne Grenzen geschenkt? Ich telefoniere und surfe mit meinem neuen Mobiltelefon, alle zwei Jahre eines neues Teil, was ich auch muss, denn nach zwei Jahren allerspätestens, gibt das Ding seinen Geist auf, oh Obsoleszenz, du riesiger Absatzmarkt! Die unbrauchbaren Siliciumplatten schicken wir rüber, zu den Schwarzen, die bauen sich daraus Girlanden für ihre Wellblechhütten. Jeder soll was vom Fortschritt haben. Sie kriegen Schmuck - wir seltene Erden. So sind wir. Es ist ein Geben und Nehmen. Ein Nehmen. Ein Nehmen. Ein Nehmen. So ist Leben eben. Unsere Art zu leben eben.
Um die zu erhalten braucht man Maßnahmen. Freihandelsabkommen. Regelungen. Einsätze. Weltordnung. Währungsfonds. Zentralbanken. Militärpräsenz. Waffen für Halunken, die die ihren in Schach halten. Und halt manchmal Krieg. Als letztes Mittel dessen, was wir Politik nennen. Als allerletztes Mittel. In Syrien fallen Sprengladungen auf die Köpfe. Damit es immer weitergeht, immer so weitergeht. Sie sind da für uns, die Uniformierten. Kämpfen für uns. Töten für uns. Dezimieren, löschen aus, verstümmeln. Für uns. Auch für mich. Ja, für mich! Ich brauche noch weitere Telefone, Krabben, Erdbeeren auf dem Weihnachtsmarkt. Wohlstand ist schön. Dafür muss man eben Opfer bringen.

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