Om Shanti Om

Ivan und ich waren auf den Weg in die Stadt. Ich wollte zum Yoga, Ivan wollte mal wieder Gesellschaft. Wenigstens konnte ich ihn diesmal überreden, in meine Jutetasche zu klettern. Dort saß er nun auf meiner Yogamatte, sein Kopf ragte heraus und sah sich interessiert um. Ich brauche wahrscheinlich nicht extra erwähnen, dass ich auch eine Wärmflasche für ihn mitnehmen musste. Und sein Müsli. Es ist ein wenig so, als ob man mit einem Kleinkind unterwegs ist.

Auf dem Weg zur U-Bahn fiel mir ein neuer Laden auf. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, eine Mischung aus alternativem Buchladen, Esoterik-Klitsche und veganer Backstube. Kurzum: ich musste da rein. Ein untrüglicher Geruch von Räucherstäbchen umgarnte mich beim Eintreten, begleitet von dem leisen Klimbim eines Glockenspiels über der Tür. Links waren ein paar Regale mit verramschten Büchern, deren Titel selbst für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr an Ufos und rette sich wer kann-Mentalitä erinnerten. Gegenüber der Tür war eine Theke, von der aus unidentifizierbare Dinge verkauft wurden (und wenn ich das schon als unidentifizierbar bezeichne, dann ist es echt schlimm), man wusste nicht genau, Tee oder Suppe? Und selbstgemachtes Brot? Oder Space Cookies?
“Friede!” tönte es plötzlich von meine rechten Seite. Erschrocken machte ich einen Satz zur Seite und wäre fast in einem Stapel sehr ernsthafter New Age-Literatur gelandet. Die Stimme gehörte einem Wesen, das auf einem Beanbag thronte. So, wie er aussah, muss auch Jesus mal ausgesehen haben, jedenfalls, wenn er Dreadlocks getragen haben sollte. Der Typ war etwa Mitte 40. Er trug eine weite Hose aus Leinen in weiß und dazu ein farbliches passendes Oberteil aus grobgewebten Material, das sehr unbequem aussah. Um seinen Hals hingen diverse Malas, von seinen Handgelenken mal ganz zu schweigen. Er grinste mich selig an, und so wie er dieses “Friede” hervorgehaucht hatte, erwartete ich jeden Moment, dass er die Finger seiner rechten Hand zum Gruß der Vulkanier erhob. Den Gefallen tat er mir aber nicht. Ich merkte, wie Ivan interessiert seine Haare anstarrte und sich bereits vorstellte, wie sich seine Krallen wohl darin machen würden, weshalb ich ihn hektisch in die Tiefen der Tasche zurückschob, was er nur unter Protest ertrug.
“Welche deiner irdischen oder spirituellen Gelüste kann ich dir zu erfüllen helfen?” fragte der Kerl, als ich mich wieder halbwegs stabilisiert und Ivan sicher verstaut hatte. Ich konnte mir nicht helfen, diese Frage fand ich irgendwie SEHR unangemessen.
“Wer BIST du?” brachte ich schließlich heraus.
“Entschuldige, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Shanti und ich bin ein erleuchtet. Meinen Weg zur Erleuchtung möchte ich mit meinen Mitmenschen teilen. Was kann ich für dich tun?”
“Shanti? An der Tür steht: Inhaber Fritz Mayer.” gab ich irritiert zurück. Er sah mich mitleidig an. Dann reckte er die Handflächen gen Himmel und erklärte mir:  Ich bin, wie gesagt, erleuchtet. Daher habe ich meine irdischen Wurzeln abgelegt, Mein spirituelles Ich, welches meinen Geist und meinen Körper beherrscht, hört nun auf den Namen Shanti.”
“Ah, aber die Gewerbeaufsicht anscheinend nicht.” sagte ich mit Blick auf das Schild an der Tür. Shanti verlor kurz den verzückten Ausdruck auf dem Gesicht, fing sicher aber schnell wieder.
“Und welches Geschöpf von Mutter Erde trägst du herum?” fragte er und deutete auf Ivan.
“Das ist Ivan.” erklärte ich ihm. “Aber seine Mutter war wahrscheinlich auch eine Katze.”
Shanti überging meinen bösen Seitenhieb.
“Wieso hast du ihn Ivan genannt? Welche Bedeutung hat das für dich?”
Wo war ich gelandet? Machte der Typ gerade gerade eine tiefenpsychologische Analyse von mir, oder was?
“Ich weiß, nicht, Fritz…”
“SHANTI!” rief er.
“Ok, meinentwegen, Shanti. Ich weiß nicht, warum er so heißt. Hat irgendwie zu ihm gepasst.”
Shanti überlegte kurz. Nun, es sagt sicher etwas aus über dich… über deine Vergangenheit… was assoziierst du denn mit Ivan?”
“Tierarztrechnungen in Höhe von etwa 1200 Euro?”
Shanti sah mich jetzt doch recht unspirituell an. Irgendwie schien ich nicht das zu sein, was er sich in seinem Laden vorgestellt hatte. Dann setzte er wieder sein seliges Lächeln auf.
“Möchtest du mit mir meditieren?” fragte er.
“Nein.” entgegnete ich höflich.
“Ein Buch kaufen?”
“Hab schon eins.”
“Space Cookie?”
“Nein!” rief ich entschieden aus.
“Was willst du dann?” fragte er verwundert. In meinem Kopf rief etwas im Chor: MAOAM, MAOAM, aber heraus kam nur: “Gehen, und zwar sofort.” Ich schnappte mir Ivan und rannte schnellstens aus der Tür, bevor Shanti mir noch Literaturempfehlungen geben konnte.

Irgendwie habe ich so das Gefühl, dass das noch nicht meine letzte Begegnung mit Shanti war…


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