Schon einmal konnte mich Abbas Khider mit Rasuls unglaublicher Odyssee in Der falsche Inder begeistern. Auch in Khiders neuem Roman Ohrfeige geht es um einen Flüchtling, der sich auf eine unfreiwillige Odyssee begeben muss. Diesmal sind es jedoch nicht verschiedene europäische Länder, die der Protagonist durchläuft, sondern Flüchtlingsheime und deutsche Behörden.
Karim Mensy wollte eigentlich nach Frankreich. Tausende Euros zahlte er, um mithilfe eines Schleppers vom Irak nach Paris, wo sein Onkel lebt, zu gelangen. Doch Karim strandet in Deutschland, mitten in einer bayerischen Provinz nahe Dachau. Der orientierungslose Flüchtling wird von der Polizei in Gewahrsam genommen. Als „illegaler Flüchtling“ muss Karim ihnen seine letzten 500 Euro lassen, sogar seine drei Packungen Zigaretten nehmen sie ihm weg. Er muss nach Zirndorf, dann nach Bayreuth, danach nach Niederhofen an der Donau. Karim wird von Asylunterkunft zu Asylunterkunft und von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter weitergereicht. Sein Leben wird von anderen Menschen sowie Langeweile und Warten bestimmt.
Nach drei nervenaufreibenden Jahren voller Bemühungen wird Karim letztlich doch noch abgeschoben. Er dreht durch und sucht die Sachbearbeiterin Frau Schulz, für die er nur „Asylant 3873 oder so“ war, auf. Hier steigt der Roman ein, zunächst bedrohlich, weil Karim die Beamtin ohrfeigt, fesselt und knebelt. Er will ihr aber nur seine Geschichte erzählen. Auf arabisch. Selbst wenn sie arabisch reden würde, würde sie Karim doch nicht verstehen, denn sie weiß nicht, wie sich das Leben eines Flüchtlings anfühlt.
Abbas Khider gibt in Ohrfeige jenen eine Stimme, über die in Deutschland zurzeit so viel gesprochen wird. „Die Deutschen sollten einmal die Klappe halten“, fasste Khider lachend in Autorengespräch mit der F.A.Z auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse zusammen. Den Roman habe er jedoch schon vor der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr beendet, sich sogar von allen Nachrichten abgeschottet, um sein Schreiben nicht zu beeinflussen. Aus der Perspektive eines Flüchtlings schildert Khider das Zurechtfinden eines Menschen in einem fremden Land, das jedoch wegen Sprachbarrieren und einer absurden Bürokratie scheitert.
Der Roman stimmt traurig, da Karims Geschichte stellvertretend für so viele Flüchtlinge von heute stehen könnte: Wer sich um 2000 integrieren will, steht immer wieder vor einer großen Hürde an Bürokratie. Ein Sprachkurs ist erst möglich, nachdem sie ein Jahr lang gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Eine Arbeit ohne ausreichende Sprachkenntnisse zu finden, grenzt an Unmöglichkeit. Wer um 2000 in Deutschland eine neue Heimat sucht, muss politisch verfolgt, homosexuell oder einer Minderheit angehören. Ist ein Flüchtling in keine dieser Situationen, muss er eine Geschichte erfinden. Wehe, er sagt die Wahrheit. „Flüchtlingsbehörden sind wahre Romanfabriken“, so Khider. Flüchtlinge müssen in den Asylantenheimen ihre Zeit mit Nichtstun totschlagen. Und doch suchen sich viele von ihnen einen anderen Weg, um an eine Aufgabe oder ein bisschen Geld heranzukommen. So dealen manche mit Drogen, klauen oder verkaufen ihre Körper an reiche Einheimische, Rudolph Mooshammer lässt grüßen. Andere wiederum verschreiben sich dem Islam, widmen sich ihren Kochkünsten oder drehen vollständig durch.
Mit Ohrfeige trifft Khider einen Nerv der deutschen Gesellschaft. Doch der Autor sieht sich nicht als Moralapostel, der seine Stimme in Krisen erhebt. Vielmehr ist es ihm zuwider, Profit aus schrecklichen Schicksalen zu schlagen. „Das ist erbärmlich!“, kommentiert Khider im Autorengespräch. Seine Arbeit ist Kunst, Ohrfeige schrieb er weder in der Rolle als Flüchtling noch als Deutscher. Deswegen bricht er auch mit jeglichen Mustern und Erwartungen, die man von Flüchtlingen hat. So ist Karim nicht politisch verfolgt, homosexuell oder einer Minderheit angehörig, sondern leidet an einer körperlichen Krankheit, für die er ins Ausland gegangen ist.
Ohrfeige ist nicht nur wegen seiner Brisanz rund um das Thema Flüchtlinge lesenswert. Es ist wieder diese lakonische Sprache, die typisch für Khider ist. Wie in Der flasche Inder schafft er es wieder, einem düsteren und schwer anmutenden Szenario eine heitere Stimme voll Wortwitz zu verleihen, die berühren und gleichzeitig zum Schmunzeln bringen.
Abbas Khider: Ohrfeige, Hanser, München 2016, 224 Seiten, 19,90 Euro.