Von Jürgen Voß
Sehr geehrte Frau Schwenn,
wenn Sie in Ihrer Eigenschaft als stolze FAZ-Redakteurin danach gefragt würden, ob Ihre Zeitung, angeblich eine der wenigen deutschen Qualitätszeitungen, die Grundbedingungen differenzierter Berichterstattung und Kommentierung einzuhalten bereit und fähig wäre, würden Sie sicherlich fast beleidigt mit einem „Selbstverständlich!“ antworten.
Im Gegensatz dazu muss ich leider feststellen, dass Ihre Zeitung bei den wie in Wellen immer von neuem auftretenden Demografiediskussionen (die in Wirklichkeit gar keine sind, weil es sich um eine ideologische Schimäre handelt) immer noch im Sinne des neoliberalen Mainstreams argumentiert und kommentiert, vor allem wenn es um das leidige Thema „Rente“ geht.
Sie schreiben wörtlich: „Am Ende ist das die Quittung für eine Gesellschaft, deren Rentensystem aus den Fugen gerät, weil Kinder fehlen.“ Und weiter vorne heißt es in dem Artikel „Komplizierte Rentenformel“: „Das sinkende Rentenniveau ist der Preis dafür, dass wegen der niedrigen Geburtenrate immer weniger Beitragszahler in das Umlagesystem einzahlen“. Beide Sätze zeigen: Sie und Ihr Kollege bzw. Ihre Kollegin haben das Problem entweder gar nicht begriffen (was angesichts Ihrer Profession unverzeihlich wäre), oder aber Sie interpretieren die Zahlen im Sinne des neoliberalen Ansatzes Ihrer Zeitung vorsätzlich falsch (was menschlich vielleicht entschuldbar, gleichwohl ebenfalls fatal wäre).
Denn der Slogan: „Zu wenig Kinder, zu viele alte Leute“ ist der primitivste und zugleich lächerlichste neoliberale Gassenhauer, der – obwohl von vielen geflötet und gesungen – ausschließlich dazu dienen soll, ein an sich glänzend funktionierendes Rentensystem im Sinne ganz bestimmter, klar definierbarer Interessen zu zerstören. Und bei diesem Spiel machen Sie – und nicht nur Sie – offensichtlich vollkommen unkritisch mit.
Ist Ihnen gar nicht aufgefallen, dass schon seit Beginn der Massenarbeitslosigkeit -Mitte der siebziger Jahre – als die sog. geburtenschwachen Jahrgänge noch gar nicht im erwerbsfähigen Alter waren - an der gesetzlichen Rente herum gebastelt wird, weil durch die hohe Zahl der Arbeitslosen die Zahl der Beitragszahler drastisch gesunken ist und damit die Finanzierung seit Jahrzehnten wackelt. Dies ist nunmehr seit 40 Jahren so und hat mit der sinkenden Zahl der Beitragszahler aufgrund mangelnder Geburten überhaupt nichts zu tun, sondern ist allein ein Resultat des Arbeitsmarktes.
Deswegen ist auch die Aussage von „enn.“ falsch, dass durch die geburtenschwachen Jahrgänge – die wir seit 1970 (!) haben - die Zahl der Beitragszahler automatisch sinkt. Woher weiß er /sie das? Sind die Zahlen des Arbeitsmarktes von morgen schon irgendwo bekannt?
Ob diese Zahlen sinken oder steigen, ob die Arbeitnehmer/innen – und das ist wesentlich entscheidender - viel oder wenig verdienen, der abgabenpflichtige Grundlohn also hoch oder niedrig ist, resultiert allein aus dem Arbeitsmarkt und nicht aus der Zahl der Geburten. Die Gleichung: „Kind gleich Beitragzahler“ ist absurd, diese bittere Wahrheit haben alle Geburtsjahrgänge nach 1970 mehr oder weniger eindrücklich am eigenen Leib erfahren müssen. Gleiches gilt für die Gleichung: „Alt gleich Rentner“. Rentner kann nur werden, wer mindestens 60 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und das sind und waren viele Millionen Menschen nicht, nicht zuletzt aufgrund des „deregulierten“ Arbeitsmarktes – auch so eine desaströse Folge der neoliberalen Politik.
Nun steht – nach Ihrer Aussage - unserem Land etwas bevor, was es nirgendwo auf der Welt gibt: Arbeitskräftemangel auf Grund von Kindermangel. Sollte es soweit kommen – was aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich ist - gäbe es doch einen probaten Ausweg: Zuwanderung.
Es ist schon eigentümlich, dass es einerseits zum allgemeinen journalistischen Mainstream gehört, permanent „Europa“ zu beschwören; wenn es aber um den Arbeitsmarkt geht, argumentiert man, als sei Deutschland eine einsame Insel in der Südsee wie Pittcairn, in der die Erwachsenen immer genug Kinder zeugen müssen, um im Alter nicht zu verhungern. Das ist eine Ideologie aus der Zeit der Jäger und Sammler, aber völlig unpassend für einen offenen Arbeitsmarkt von 450 Millionen Menschen, in dem gegenwärtig – statistisch fragwürdig gezählt, und wahrscheinlich weit untertrieben - 25 Millionen Menschen arbeitslos sind, zum großen Teil gut ausgebildet und hoch qualifiziert.
In einer solchen Zeit „Arbeitskräftemangel“ aufgrund mangelnder Geburten als Horrorgemälde an die Wand zu malen, ist angesichts dieses Tatbestandes aber auch erst recht angesichts von immer noch 3,8 Millionen Arbeitslosen im eigenen Land und einer Arbeitsmarktreserve laut Stat. Bundesamt von 9 Millionen Menschen, die überhaupt oder auch mehr und länger als jetzt arbeiten möchten, schlicht verantwortungslos, ja diesen gegenüber sogar verletzend zynisch und hat mit kritischem Journalismus nichts tun.
Eine Zeitung wie die FAZ sollte sich nicht auf dem Niveau einer Maschmeyer - Broschüre bewegen! Leider tut sie es.
Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute und bei Ihrer Arbeit mehr Nachdenklichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Voß
Sehr geehrte Frau Schwenn,
wenn Sie in Ihrer Eigenschaft als stolze FAZ-Redakteurin danach gefragt würden, ob Ihre Zeitung, angeblich eine der wenigen deutschen Qualitätszeitungen, die Grundbedingungen differenzierter Berichterstattung und Kommentierung einzuhalten bereit und fähig wäre, würden Sie sicherlich fast beleidigt mit einem „Selbstverständlich!“ antworten.
Im Gegensatz dazu muss ich leider feststellen, dass Ihre Zeitung bei den wie in Wellen immer von neuem auftretenden Demografiediskussionen (die in Wirklichkeit gar keine sind, weil es sich um eine ideologische Schimäre handelt) immer noch im Sinne des neoliberalen Mainstreams argumentiert und kommentiert, vor allem wenn es um das leidige Thema „Rente“ geht.
Sie schreiben wörtlich: „Am Ende ist das die Quittung für eine Gesellschaft, deren Rentensystem aus den Fugen gerät, weil Kinder fehlen.“ Und weiter vorne heißt es in dem Artikel „Komplizierte Rentenformel“: „Das sinkende Rentenniveau ist der Preis dafür, dass wegen der niedrigen Geburtenrate immer weniger Beitragszahler in das Umlagesystem einzahlen“. Beide Sätze zeigen: Sie und Ihr Kollege bzw. Ihre Kollegin haben das Problem entweder gar nicht begriffen (was angesichts Ihrer Profession unverzeihlich wäre), oder aber Sie interpretieren die Zahlen im Sinne des neoliberalen Ansatzes Ihrer Zeitung vorsätzlich falsch (was menschlich vielleicht entschuldbar, gleichwohl ebenfalls fatal wäre).
Denn der Slogan: „Zu wenig Kinder, zu viele alte Leute“ ist der primitivste und zugleich lächerlichste neoliberale Gassenhauer, der – obwohl von vielen geflötet und gesungen – ausschließlich dazu dienen soll, ein an sich glänzend funktionierendes Rentensystem im Sinne ganz bestimmter, klar definierbarer Interessen zu zerstören. Und bei diesem Spiel machen Sie – und nicht nur Sie – offensichtlich vollkommen unkritisch mit.
Ist Ihnen gar nicht aufgefallen, dass schon seit Beginn der Massenarbeitslosigkeit -Mitte der siebziger Jahre – als die sog. geburtenschwachen Jahrgänge noch gar nicht im erwerbsfähigen Alter waren - an der gesetzlichen Rente herum gebastelt wird, weil durch die hohe Zahl der Arbeitslosen die Zahl der Beitragszahler drastisch gesunken ist und damit die Finanzierung seit Jahrzehnten wackelt. Dies ist nunmehr seit 40 Jahren so und hat mit der sinkenden Zahl der Beitragszahler aufgrund mangelnder Geburten überhaupt nichts zu tun, sondern ist allein ein Resultat des Arbeitsmarktes.
Deswegen ist auch die Aussage von „enn.“ falsch, dass durch die geburtenschwachen Jahrgänge – die wir seit 1970 (!) haben - die Zahl der Beitragszahler automatisch sinkt. Woher weiß er /sie das? Sind die Zahlen des Arbeitsmarktes von morgen schon irgendwo bekannt?
Ob diese Zahlen sinken oder steigen, ob die Arbeitnehmer/innen – und das ist wesentlich entscheidender - viel oder wenig verdienen, der abgabenpflichtige Grundlohn also hoch oder niedrig ist, resultiert allein aus dem Arbeitsmarkt und nicht aus der Zahl der Geburten. Die Gleichung: „Kind gleich Beitragzahler“ ist absurd, diese bittere Wahrheit haben alle Geburtsjahrgänge nach 1970 mehr oder weniger eindrücklich am eigenen Leib erfahren müssen. Gleiches gilt für die Gleichung: „Alt gleich Rentner“. Rentner kann nur werden, wer mindestens 60 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und das sind und waren viele Millionen Menschen nicht, nicht zuletzt aufgrund des „deregulierten“ Arbeitsmarktes – auch so eine desaströse Folge der neoliberalen Politik.
Nun steht – nach Ihrer Aussage - unserem Land etwas bevor, was es nirgendwo auf der Welt gibt: Arbeitskräftemangel auf Grund von Kindermangel. Sollte es soweit kommen – was aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich ist - gäbe es doch einen probaten Ausweg: Zuwanderung.
Es ist schon eigentümlich, dass es einerseits zum allgemeinen journalistischen Mainstream gehört, permanent „Europa“ zu beschwören; wenn es aber um den Arbeitsmarkt geht, argumentiert man, als sei Deutschland eine einsame Insel in der Südsee wie Pittcairn, in der die Erwachsenen immer genug Kinder zeugen müssen, um im Alter nicht zu verhungern. Das ist eine Ideologie aus der Zeit der Jäger und Sammler, aber völlig unpassend für einen offenen Arbeitsmarkt von 450 Millionen Menschen, in dem gegenwärtig – statistisch fragwürdig gezählt, und wahrscheinlich weit untertrieben - 25 Millionen Menschen arbeitslos sind, zum großen Teil gut ausgebildet und hoch qualifiziert.
In einer solchen Zeit „Arbeitskräftemangel“ aufgrund mangelnder Geburten als Horrorgemälde an die Wand zu malen, ist angesichts dieses Tatbestandes aber auch erst recht angesichts von immer noch 3,8 Millionen Arbeitslosen im eigenen Land und einer Arbeitsmarktreserve laut Stat. Bundesamt von 9 Millionen Menschen, die überhaupt oder auch mehr und länger als jetzt arbeiten möchten, schlicht verantwortungslos, ja diesen gegenüber sogar verletzend zynisch und hat mit kritischem Journalismus nichts tun.
Eine Zeitung wie die FAZ sollte sich nicht auf dem Niveau einer Maschmeyer - Broschüre bewegen! Leider tut sie es.
Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute und bei Ihrer Arbeit mehr Nachdenklichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Voß