Nurejew – The White Crow
5BiopicObwohl er in Gestalt des Ballettlehrers Aleksander Pushkin dem Publikum wörtlich unter die Nase reibt, der Inhalt einer Kunstaufführung sei bedeutender als deren äußere Form, vermittelt Ralph Fiennes auffällig wenig in seiner dritten Regiearbeit.
Das betrifft sowohl die Ära als auch Rudolf Nureyev (passabel: Oleg Ivenko), dessen Ausnahme- und Außenseiterstatus die Titelbezeichnung hervorheben soll. Stattdessen wird sie zum indirekten Verweis auf den Substanzmangel der biografischen Episode, die sich mit expressivem Zeitkolorit und ästhetischer Stilisierung aufhält.
Die anämische Inszenierung erweckt die fragmentierte Story von Theaterautor David Hare einzig in wenigen Tanzszenen zu der magnetischen Präsenz, die den Protagonisten trotz technischer Schwächen über die Ballettwelt hinaus berühmt machten. Einstudiert wie die Ensemblestücke wirken auch Dialoge und Figureninteraktion. Chronologische und lokale Sprünge zwischen der in fahlen Farben erstarrten SU, dem einladend strahlenden Paris und schneebleichen Sibirien zerstreuen nur noch mehr die biografischen Bruchstücke des unfertigen Mosaiks. Nichts erhält darauf ausreichend Kontur oder Intensität.
Talent und Charisma des arroganten Egozentrikers, dem Männer und Frauen wie die einflussreiche Clara Saint (Adéle Exarchopoulos) oder Pushkins Gattin (Chulpan Khamatova) verfallen, bleiben bloße Behauptung. Temperamentsausbrüche und obskure Rückblenden reißen (psycho)logische Leerstellen in die Episode, die zahlreiche dankbare Motivansätze böte: physische und intellektuelle Leidenschaft, politische und sexuelle Ambiguität, Gefahr und Risikoverlangen. Umso frustrierender ist die allseitige Apathie der unscharfen Persönlichkeitsskizze, die ausgerechnet der steife Formalismus erstickt, von dem Nureyev seinen Tanz befreite.
Regie: Ralph Fiennes, Drehbuch: David Hare, basierend auf dem Roman von Julie Kavanagh, Darsteller: Oleg Ivenko, Ralph Fiennes, Louis Hofmann, Adèle Exarchopoulos, Sergei Polunin, Olivier Rabourdin, Filmlänge: 127 Minuten, Kinostart: 27.09.2019