NSU: Zwölf Quadratmeter Zweifel

NSU: Zwölf Quadratmeter ZweifelAcht Monate, und noch immer wird immer unklarer, was eigentlich wirklich geschah im Jahrhundertkriminalfall NSU, von dem sich die großen Medien mittlerweile wegen zunehmender Unübersichtlichkeit abgewandt haben. Andreas Förster, in jungen Jahren von den treuen Lesern der Berliner Zeitung nicht ohne Grund der "Monothematische" genannt, muss deshalb jetzt schon auf den "Freitag" ausweichen, um ketzerische Wahrheiten zum "deutschen 11. September" (BKA-Chef Zierke) unters Volk zu bringen.
Hier aber legt der in der Vergangenheit immer eher behördengläubige Kriminalreporter auch jetzt wieder ein Stück vor, das mehr Platz für Zweifel hat als falsche Gewissheiten zu predigen, wie das die sich nur noch gelegentlich um die Flamme des Verbrechens versammelnden Kollegen zu tun pflegen.
Nein, Förster scheint den Glauben an ein gutes Ende des Verfahrens verloren zu haben, das mit etwa so viel Ungereimtheiten begann wie ein zeitgenössisches Grass-Gedicht ungereimte Zeilen hat. Fast schon spöttisch schreibt er "Tappen statt ertappen" über den ausführlichen Bericht zum Stand der Dinge, der im Grunde nicht mehr verrät als dass der Staatsanwalt, der hier "noch vor dem Herbst" (dpa) Anklage erheben soll, wenig zu beneiden ist.
Denn was weiß man schon? Dass der eine Verfassungsschutzchef zurücktritt, weil Akten verschwunden sind, während der andere gehen muss, weil unerwartet welche auftauchen. Und dass Zschäpe die Buchnummer 4876/11/3 hat und seit acht Monaten in einem zwölf Quadratmeter großen Haftraum mit Toilette neben der Tür, einem vergitterten Fenster und einem Fernseher sitzt, wie Förster recherchiert hat.
Der Raum ist voller Zweifel und Fragwürdigkeiten. "Noch immer kann nicht zusammenhängend erklärt werden", greift Andreas Förster lange zurückliegende PPQ-Berechnungen auf, "wie das Trio all die Jahre über arbeitete und funktionierte. Wie es sich finanziert hat."
Welche Banküberfälle haben sie denn nun begangen? Haben sie überhaupt welche begangen? Waren sie eine terroristische Vereinigung? Die Bundesanwaltschaft glaube ja, schreibt Förster, denn es gebe einen "Beleg für eine innere Übereinstimmung des Trios in seiner politischen Überzeugung", also eine „Gruppenideologie“. Als belastend werde auch der Umstand gewertet, dass Beate Zschäpe, obwohl ihr eigenes Ermittlungsverfahren bereits 2003 wegen Verjährung eingestellt worden war, all die Jahre hinweg mit ihren beiden Freunden im Untergrund verblieb. Was auf die beiden Spießgesellen ebenso zutrifft: Nach 2006 drohte keinem von ihnen mehr eine Strafverfolgung, dennoch blieben sie im Untergrund - wie übrigens zwischen 100000 und einer Million andere im Inland lebende Personen auch.
Alles Terroristen? Alles NSU-Mitglieder? Zschäpe habe innerhalb der Gruppe die „anstehenden logistischen Aufgaben bewusst und gewollt zur Förderung der Ziele des NSU“ erledigt, zitiert Andreas Förster amtliche Dokumente. Sie sei 2001 auch "dabei gewesen sein, als Mundlos und Böhnhardt eine Waffe übergeben wurde". Eine Waffe übrigens, die nie zu irgendeiner Tat verwendet wurde, weshalb der Überbringer Holger G. bereits vor zwei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen wurde.
Weder an den Briefumschlägen, in denen die Bekenner-Videos verschickt wurden, noch an den DVDs konnten Fingerabdrücke oder DNA-Spuren von Zschäpe gesichert werden. Einzig und allein eine Wette um eine Hungerkur, die der Verlierer bezahlen sollte, indem er "200 Videoclips schneidet", führt die Bundesanwaltschaft als Beleg dafür, dass die braune Braut Vollmitglied der NSU war - was besonders wichtig ist, da die ganze "terroristische Vereinigung" überhaupt nur existiert haben kann, wenn sie mindestens drei Mitglieder hatte.
Dünn, dünn, dünn und wird nicht dicker. Strittig sei die Frage, ob Beate Zschäpe von den Morden wusste und an ihrer Planung und Durchführung mitgewirkt hat. "Bislang gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie zur jeweiligen Tatzeit an einem der Tatorte oder auch nur in dessen Nähe gewesen ist." Zwei glücklicherweise in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung gefundene Zeitungsausschnitte mit ihren Fingerabdrücken, in denen es um den Sprengstoffanschlag in Köln und die Ermordung eines Migranten in München geht, beweisen immerhin, dass Zschäpe zwei Zeitungen in der Hand hatte, in denen es um zwei Taten ging, die seit dem November 2011 dem NSU zugeordnet werden. "Andere Zeitungsartikel dieser Art sind auch im NSU-Video verwendet worden", schreibt Förster - was beweist, dass auch andere Zeitungen Artikel "dieser Art" produzierten, während die zuständigen Behörden fest schliefen. Ob dagegen mit Fingerabdrücken aus Zeitungen zu beweisen sein wird, dass der Fingerbesitzer andere Zeitungen ähnlicher Art zur Herstellung von Bekenner-Videos verwendet hat...
Das wird der Prozess zeigen müssen. Der aber scheint trotz harter Arbeit einer 500-köpfigen Sonderermittlungsgruppe mit dem fetzigen Namen "Besondere Aufbauorganisation Trio“ auf ein Debakel zuzusteuern. "Die Ermittler können bislang nicht eindeutig nachweisen, dass Mundlos und Böhnhardt wirklich an allen zehn Morden beteiligt gewesen sind, die dem NSU zur Last gelegt werden", weiß Andreas Förster. Er hofft ja noch, dass das daran liegt, dass "es noch andere Täter aus der möglicherweise größeren NSU-Gruppe gab". Aber kein Nachweis für die Banküberfälle? Kein Nachweis für alle zehn Morde? Keine Fingerabdrücke an den DVDs? An den Umschlägen? Ein einziger Zeuge nur konnte für zehn Morde und ein Dutzend Banküberfälle eine Personenbeschreibung geben, die auf eine Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos hinweist. Nicht einmal die Anmietung eines Fahrzeugs zur Tatzeit durch Mundlos oder Böhnhardt konnte nach Försters Angaben für jeden Mordfall nachgewiesen werden.
Bleiben noch die Tatwaffen in der Wohnung des Trios. Da droht eine Bewährungsstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes, zumindest, wenn nachgewiesen werden kann, das Beate Zschäpe von der Waffenkammer wusste. Die illegale Benutzung von Ermäßigungsfahrkarten der Bahn. Ein Bußgelddelikt. Der dringende Verdacht auf Bleaching. Und die schwere Brandstiftung, die man dank Brandbeschleuniger-Spuren an Zschäpes Schuhen sicher nachweisen kann, weshalb sie gleich zum Vorwurf des versuchten Mordes an einer 89-jährige Frau in der Nachbarwohnung aufgebohrt werden wird: Die hätte ja ums Leben kommen können, weil die durch das Feuer ausgelöste Explosion die Wand zu ihrer Wohnung hätte zerstören können, was Beate Zschäpe, um eine Mordabsicht zu verfolgen, eigentlich natürlich vorab hätte wissen müssen. Was zu beweisen wäre.
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