NSU: Rechts, wo kein Herz schlägt

NSU: Rechts, wo kein Herz schlägtZehn Morde, zwanzig Sprengstoffanschläge, womöglich versäumte Unterhaltszahlungen, mindestens eine Tätigkeit für den Verfassungsschutz und das Fahren mit gefäschten Bahn-Ermäßigungskarten - als sei das Sündenregister der selbsternannten Miniarmee NSU noch nicht schlimm genug, tauchen jetzt neue Vorwürfe aus dem Untergrund aus. Die FAZ berichtet, dass die drei tödlichen Zwei, deren Einkommen aus Bankraum nur knapp über dem Existenzminimum lag, zur Sicherung des Lebensunterhalts begonnen hatten, ein antisemitisches Monopoly-Spiel herzustellen und zu vertreiben. Das „Pogromly“ genannte Spiel sei "in bis zu 15 Exemplaren hergestellt" (Bild) und "in der Neonazi-Szene verkauft" worden. Zum Preis von 100 Mark, so dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe auf satte 750 Euro Extraeinnahme hofften.
Vergebens: Rechts, wo kein Herz schlägt, regiert der Betrug. André Kapke, einer der Führer des Nationalsozialistischen Oberhauses in Thüringen, war eigentlich mit dem Verkauf und der Weiterleitung des Geldes an die Gründer NSU betraut. Leistete aber bei dieser Gelegenheit antifaschistischen Widerstand: Kapke "zweckentfremdete" (FAZ) das Geld für seinen eigenen Bedarf.
Unterdessen verdichten sich laut "Bild" die Hinweise, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auch für den Bombenanschlag auf die umstrittene Wehrmachtsausstellung im Saarland im Jahr 1999 verantwortlich sein könnten. Diese Gewalttat gilt als eine der wenigen noch nicht aufgeklärten deutschlandweit, die wie der Brandmord von Möhlau dem Nationalsozialistischen Untergrund zugeschrieben werden könnten. Schwierig gestaltet sich der konkrete Tatnachweis, hieß es auf einer Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft. Zwar habe man Proben des beim Anschlag verwendeten Sprengstoffs, aber weder Vergleichsmaterial aus der TNT-Charge, die vor 20 Jahren bei der Bundeswehr gestohlen wurde noch Bestände aus dem NSU-Sprengstofflager. Das sei bisher noch nicht gefunden worden.
Fantasie ist gefragt in dieser Phase, in der ausbleibende Neuigkeiten über die Untaten der NSU die alljährliche Terrorgeschichte in der Vorweihnachtszeit bereits von den Titelseiten haben rutschen lassen. Eine Moment, in der Bernd Wagner genau der richtige Gesprächspartner ist: Der Gründer eines Vereines, der im Auftrag des ehemaligen Wehrmacht-Lieferanten für Simmerringe Nazibrut beim Aussteigen begleitet, klagt im "Spiegel": "Die Behörden hatten keine Ahnung, mit wem sie es zu tun haben", woraus Experten schließen, dass Wagner selbst die ganze Zeit Bescheid gewusst haben muss.
Doch der vor zwei Jahren in Not geratene Chef der Aussteigerinitiative schwieg - und jetzt gestand er erstmals auch, warum. Er gehe davon aus, dass es "noch mehr Terrorzellen wie den Nationalsozialistischen Untergrund" gebe, von denen man nur noch nichts gehört habe, sagte Wagner dem „Spiegel“. Da aber rechte Terroristen im Unterschied etwa zur klassischen Strategie der RAF keine Bekennerschreiben hinterlasse, sondern "die Taten selbst" als "Bekenntnis" sehen, könnten NSU II, III und IV hinter allen Verbrechen stecken, für die nie Bekennerschreiben eingegangen seien. Wagner spricht damit von tausenden oder sogar zehntausenden von Taten, die dem rechten Terror eine völlig neue Dimension verleihen würden. Er vermute überdies "Hintermänner": die Neonazis könnten als Auftragskiller gehandelt haben, die "im Auftrag von regionalen und lokalen Strukturen“ mordete.
NSU: Rechts, wo kein Herz schlägtWagner wollte nicht konkreter werden, gibt mit seinen mutigen Andeutungen aber damit Gerüchten Nahrung, die kürzlich schon der Stern aufgriff: Es gibt offenbar einen geheimnisvollen "Kopf des braunen Sumpfes" (oben), dessen Existenz der NSU-Affäre eine neue Richtung geben könnte. Nach PPQ-Recherchen sitzt der Kopf des Sumpfes im amerikanischen Gainsville – das terrorstück im Staatstheater gewinnt damit nun sogar eine internationale Dimension.
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