NSU: Honeckers rechte Rache

NSU: Honeckers rechte RacheDie große Spurensuche geht weiter, gefragt sind jetzt die Drahtzieher und Inspiratoren des rechtsextremen Terrors aus Zwickau. Neue Publikationen in "Spiegel" und "SZ" geben die Richtung vor: "Es ist kein Zufall, dass die braune Mörderbande aus dem Osten kommt", schreibt Constanze von Bullion in letzterer, denn "in den neuen Ländern ließ man rechtsextremistische Milieus blühen."
Gemeint ist nicht das preußische Landjunkertum, der niedere Adel, der in Hitler einst eine Chance sah, die festgebackenen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen und in einem Krieg die Möglichkeit, schneller Karrriere im Heer zu machen. Nein, hier nehme vielmehr wohl "eine Generation Rache an den sozialistischen Eltern". Dreimal gedreht, fünfmal gewendet, dann ist die Sache klar: "Ein Professorensohn und ein Hilfsarbeiter aus Thüringen haben Rache genommen an der Gesellschaft. Begleitet von einer Gärtnerin sind sie aus ihren postsozialistischen Elternhäusern zu einem Feldzug aufgebrochen, der das ganze Land erschüttert", wenn auch nur "pothum", wie von Bullion ohne weitere Erklärung vermerkt.
Eine Art unbemerkte Rache, historisch einzigartig. Doch es gehe eben um einen Kreuzzug gegen eine "verkommene pluralistische Gesellschaft und den Rechtsstaat, der weg muss", weil er "in vielen Köpfen, vor allem ostdeutschen", "ein fremder Planet geblieben" sei.
Im Unterschied zur Wehrsportgruppe Hoffmann, der rechtsradikalen "Gruppe Ludwig", zum Oktoberfestanschlag des Bombenlegers Gundolf Köhler und der Bückeburger Wehrsportgruppe Werwolf, die nur rein zufällig im Westen Deutschlands wirkten, ist es nach Überzeugung der Autorin diesmal "kein Zufall, dass die braune Mörderbande aus Jena stammt und nicht aus Detmold". Wer die Landkarte rechter Tötungsdelikte anschaue, könne "das braune Gewimmel im Osten nicht leugnen": Die Landkarte (Screeshotn Spiegel) zeige ein klares Muster: Mehr als die Hälfte aller Täter komme aus dem Osten, obwohl dort nur ein Fünftel der Bevölkerung lebe.
Offenbar, so geht es weiter in einer flockigen Hochrechnung der NSU-Taten minus aller jemals in Mölln, Solingen, Erlangen und Nürnberg geschehenen Anschläge, führten "ausgerechnet die Kinder ehemaliger Antifaschisten die braunen Truppen an". Von Bullion kleidet ihre These in einer Frage, meint sie aber natürlich als Antwort: "Nimmt da eine Generation Rache an den sozialistischen Eltern? So wie einst die Rote Armee Fraktion auszog, es den braunen Vätern heimzuzahlen?"
Honeckers Rache ist somit die Rache von Honeckers Enkeln an Honecker. Der DDR-Staat hat seine Kinder durch Pionierorganisation und Ferienlager, durch FDJ-Bluse und Morgenappell einer Prägung unterzogen, die selbst bei einer zum Zeitpunkt des Mauerfalls gerade 15-Jährigen wie der NSU-Nachlassverwalterin Beate Zschäpe länger währt als deren bewusstes Leben in der DDR dauerte, glaubt die preisgekrönte Reporterin aus der alten Bundesrepublik: In zehn Jahren schaffte es das sozialistische System, aus seinen Kindern Schläfer zu machen, die noch nach 20 Jahren im neuen Deutschland bereit sind, für ihren Hass auf Honecker, auf ihre Eltern und ihre Kindergärtnerinnen zu morden.
Constanze von Bullion weiß nicht, wovon sie redet. Die Maßangaben geraten ihr durcheinander. Gehörtes purzelt mit Angelesenem zusammen, Wahres gesellt sich zu Unwahrem. Die Familie, das sei in der DDR Zuflucht vor staatlicher Drangsal gewesen, aber "noch öfter Hort ideologischer Schulung". Gleichzeitig? Wer schulte da wen warum? Der Professor den Sohn in Staatsfeindlichkeit? Die Mutter die Tochter in Drangsal?

Auch Bullion weiß es nicht. Sie ahnt es nicht einmal. Irgendwas wird gewesen sein, schließlich sind drei oder vier oder sogar fünf aus einer Anzahl von rund zwei Millionen etwa Gleichaltrigen in den Terrorismus abgerutscht. "Bei allem Respekt, den auch Angehörige eines Mörders verdienen", insistiert die Autorin da, die Familie müsse "sich fragen lassen, ob sie bei der Vermittlung menschlicher Werte, von Mitgefühl, auch Emotion, nicht versagt haben, mit verheerenden Folgen."
Die Toten von den Döner-Buden, sie werden aufs Konto der zweiten deutschen Diktatur gebucht werden müssen. Dort, wo die Emma-Journalistenpreisträgerin "im Rückblick" (von Bullion) Dinge entdeckt, die es so in der guten alten Bundesrepublik nicht gegeben hat: "Eine erstaunlich niedrige Betriebstemperatur bei der Aufzucht des Nachwuchses", etwa, die, wenn das auch grammatikalisch nicht zusammenpasst, auf eine "Überhöhung der Gemeinschaft, Einordnung in autoritäre Denkmuster, ins große Ganze, für dessen Erhalt persönliche Überzeugungen, weichliche Emotionen und Skrupel zurückzustellen waren" gerichtet gewesen ist.
Sowas kommt dann von sowas, Mord und Totschlag sind, von München aus betrachtet, eigentlich die logische Konsequenz dieser als Erziehung zum bedingungslosen Kollektivismus getarnten Erziehung zu Skrupellosigkeit, Autoritätsgläubigkeit und Emotionslosigkeit". Am Ende noch einmal ein Schwung kollektivistischer Verallgemeinerung Bullionscher Art, die außen vor lässt, dass es auch Funktionäre, Lehrer und Polizisten waren, die die DDR am Ende nicht mehr haben wollten.
Nach deren Ableben "blieben funktionslose Funktionäre zurück, gedemütigte Lehrer und Polizisten", flunkert die Märchenfee aus München sich ein Bild zurecht, das zu ihrer Ursprungsthese passt. "Sie vermittelten den Jungen das Gefühl, auf einem wüsten Planeten zu leben", weiß sie. Das habe sich festgesetzt, "vor allem bei den Verlierern, die Sicherheit in militanten Kampfverbände suchten". Auch die lange Zeit, die das Mördertrio unentdeckt bleiben konnte, erklärt sich so: Hier zeige sich "die Verschwiegenheit der ostdeutschen Gesellschaft", in der niemand über früher spreche. Dadurch "schleicht das Gift der Diktatur in die nächste Generation".


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