AB 22. DEZEMBER IM KINO! ©Universal Pictures
Kunstwerke entstehen auch in einer Grauzone des guten Geschmacks, zwischen Profanität und Hintersinn, Morbidität und unscheinbarer Eleganz. „Nocturnal Animals“ von Tom Ford vereint all diese Eigenschaften. Die Buchadaption stößt seine Zuschauer vor den Kopf nur um sie Sekunden später wieder aufzufangen. Der Film treibt seine Handlung voran, verliert sich aber mit Wonne in den feinen Verästelungen seiner Erzählebenen. „Nocturnal Animals“ ist eine nächtliche Autofahrt ins Ungewisse, voller Traumgebilde am Straßenrand, die schon vorübergezogen sind ehe man den Kopf drehen konnte.
Es geht um geplatzte Träume, die sich Jahre später wie Tentakel um die Leben der Protagonisten winden. Aber auch um Geborgenheit und Hoffnung, um gescheiterte Existenzen und unterschiedliche Lebensentwürfe. Um das Monstrum Liebe, das den Menschen überfällt, bis die Realität gnadenlos zuschlägt. Oder gesellschaftliche Zwänge. Oder die Erwartungen der Eltern. Oder ein bisschen was von allem. Die Träumer gehen unter, die Realisten fügen sich – ein Kreislauf, der keinem genügt.
"Nocturnal Animals": Hochglanz und Leere - wo bleibt der Faktor Mensch?
Amy Adams (Arrival) wird in diesen Reigen aus glitzernder Oberfläche und brodelnder Langeweile darunter geworfen. Die von ihr als Ausstellungsleiterin Susan gezeigten Kunstwerke bedeuten ihr nichts, der makellos aufgetragene Lidstrich ist nicht mehr als kühle Fassade. Regisseur und Drehbuchautor Tom Ford seziert ihren Charakter mit geübtem Auge und bringt ihre Welt mit einem Buch ihres Ex-Mannes zum wanken. Geschickt verwebt er die Geschichte des Buches mit Susans tatsächlichen Leben. Eine kräftige Metaphorik lauert unter dieser Parallelhandlung, die so subtil platziert ist, dass sie dem unaufmerksamen Zuschauer entgehen könnte.
Nicht umsonst werden Erinnerungen an die Werke eines David Lynchs (Der Elefantenmensch) wach. Wie kein anderer vermag er es, den Menschen auf sein Innerstes zu reduzieren (oder zu erhöhen?) und im Unterbewusstsein nach Antworten zu fischen, die herkömmliches Storytelling niemals offenlegen könnte. Um in Lynche Höhen bzw. Tiefen vorzudringen, vertraut Ford allerdings zu sehr auf konventionelle Erzählmuster. „Nocturnal Animals“ wagt sich zwar relativ weit in die menschliche Seele und ihren Widersprüchen vor, den letzten Schritt macht er nicht.
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Das ist mäkeln auf sehr hohem Niveau. Schließlich darf Ford auf eine gewaltige Riege an Darstellern vertrauen. Aaron Taylor-Johnson macht seinen „Avengers“-Unfall völlig vergessen, Jake Gyllenhaal (Nightcrawler) fügt seinen starken Performances der letzten Jahre eine weitere hinzu. Doch ist es Amy Adams, die den Film an sich reißt. Ihre Susan ist eine getriebene Figur voller ambivalenter Wünsche. „Nocturnal Animals“ gibt ihr die Freiheit, zwischen unbeschwert-liebenswert und verhärmt-desillusioniert zu wechseln und es ist eine Freude ihr dabei zuzusehen. Ihre Augen strahlen eine Traurigkeit aus, die ihr in einem besonders einprägsamen Moment sämtliche Zuschauerherzen zufliegen lassen. Kein Wunder, dass Gyllenhaal die Traurigkeit Momente später erwähnt und man im Kinosessel zustimmend nickt.
Fazit
Auf Gefühlsebene lässt „Nocturnal Animal“ zwar etwas nach, seine durchtriebene Inszenierung entschädigt dafür jedoch völlig. Lange ist es her, dass das Kino einen so bösen und kompromisslos durchgezogenen Thriller produziert hat, der nur Verlierer kennt und seine Protagonisten in einem Strudel aus Rache, Hass und verpasster Chancen gemeinsam einsam untergehen lässt. BEWERTUNG: 7,5/10Titel: Nocturnal AnimalsFSK: ab 16 freigegebenLaufzeit: 117 MinutenErscheinungsjahr: 2016Autor/Regisseur: Tom FordDarsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Ellie Bamber, Armie Hammer, Andrea Riseborough, Jena Malone